Die Kinobranche bangt ums Überleben, Öffnungsschritte wurden nun (in Österreich) zwar für Ende Mai in Aussicht gestellt, insbesondere in Wien ist das aber alles andere als in Stein gemeißelt. Die vielen Wiener Traditionskinos gehen ganz unterschiedlich mit der tristen Lage um, Österreichs größtes Premierenkino, das Gartenbaukino, nutzt die Zeit für eine umfassende Sanierung. Film plus Kritik traf Geschäftsführer Normal Shetler (telefonisch) zum ausführlichen Interview.
von Paul Kunz
Film plus Kritik: Hallo, Norman! Wie geht es dir? Wie laufen die Sanierungsarbeiten im Gartenbaukino?
Norman Shetler: Mir geht es gut! Ich bin gerade auf der Baustelle und es ist ganz spannend, die Entwicklungen zu sehen. Es schaut recht wüst aus, aber in einem guten Sinne. Was weggerissen gehört, ist weggerissen und was eingerüstet gehört, ist eingerüstet.
Film plus Kritik: Es geht also gut voran, aber es muss auch noch viel passieren?
Norman Shetler: Ja, es muss noch viel passieren! Die Baustellensicherung ist erfolgt, die Decken im Foyer und in den WCs sind weggerissen. Im Saal steht ein riesiges Gerüst bis oben hin, dort wird die Decke gereinigt. An allen Ecken und Enden passiert was!
Film plus Kritik: Ein Teil der Bauarbeiten soll ja einige Elemente, die seit den 60ern umgebaut wurden, wieder in den Originalzustand zurückversetzen. Welche Elemente betrifft das denn?
Norman Shetler: Das ist zum einen die Decke im Foyer: Die war vorher viel schöner und verspielter gestaltet, das waren eigens gegossene Gipsplatten mit einer sehr regelmäßigen Struktur. Und auch das originale Beleuchtungskonzept wird dadurch wiederhergestellt. Im Moment haben wir ja dieses Neonlicht, das nicht besonders schön ist. Das wird durch Einzelglühbirnen ersetzt, die auf einem Raster angebracht sind. Das hat etwas sehr Strukturiertes und Schönes.
Beleuchtungstechnisch gibt es noch ein paar andere Sachen. An den Säulen im unteren Foyer sind zum Beispiel gerade Beleuchtungskörper angebracht, die früher ebenfalls schöner und verspielter waren: Schwanenhalslampen, ein bisschen wie ein Blumenstrauß, die dieses Strenge durchbrochen haben. Die werden rekonstruiert!
Das Buffet wird auch ans Design von damals angelehnt. Alles wird ein bisschen luftiger, ein bisschen heller und auch verspielter. Auf der Decke über dem Buffet, also der Unterseite der Galerie, war früher ein gemaltes florales Muster, das wir teilweise freigelegt haben. Es komplett freizulegen wird nicht möglich sein, aber man wird es nachbilden können.
Film plus Kritik: Corona war, soweit ich weiß, der Anlass für den Sanierungsstart, aber ich nehme an, die grundsätzliche Idee das Gartenbaukino zu sanieren, gab es schon vorher? Oder war es wirklich so, dass ihr euch dachtet: „Es ist Pandemie, sanieren wir halt!“
Norman Shetler: (lacht) „Ja, dann machen wir das auch gleich!“ Naja, es ist weniger eine Idee als eine Notwendigkeit gewesen, vor allem, was die Haustechnik betrifft! Wir haben eine Klimaanlage, die seit 15 Jahren nicht funktioniert. Es ist alles sehr sehr alt, das ist natürlich nicht unproblematisch. Ich habe die letzten 10 Jahre in der Subventionsabrechnung gegenüber der Stadt immer wieder gesagt: „Irgendwann muss man etwas tun. Irgendwann funktioniert das alles nicht mehr.“
Lange ist nichts passiert, aber mit der Unterschutzstellung durchs Bundesdenkmalamt haben wir auch in der Absprache mit der Stadt Wien erstmals seriösere Überlegungen gemacht: Was würde es bedeuten, eben nicht nur die Haustechnik, sondern das gesamte Ensemble nach denkmalpflegerischen Kriterien zu sanieren? Und so ist das ins Rollen gekommen. Es gab eine Ausschreibung für ein Sanierungskonzept – wir haben viele verschiedene Büros eingeladen und unterschiedlichste Ansätze vorgestellt bekommen. Die Bereitschaft der Stadt war relativ schnell da.
Und eigentlich hatten wir die Sanierung immer für März 2021 geplant. Die Pandemie ist uns eher dazwischengekommen. Letztes Jahr haben wir eine Woche vor Beginn des ersten Lockdowns das fertige Sanierungskonzept in den Händen gehalten. Dann lag alles einige Monate brach. Erst im Herbst letzten Jahres haben wir gemerkt, dass das alles noch länger dauern könnte und dass der ursprünglich gedachte Zeitplan eigentlich noch idealer geworden ist.
Film plus Kritik: Ach, spannend! Ich dachte wirklich, dass die Pandemie der Auslöser für die Sanierungsarbeiten war...
Norman Shetler: Ich denke, das hat die Prozesse beschleunigt. Vor einem Jahr hätten wir noch gesagt, es ist wurscht, ob wir das 2021 machen oder 2022. Aber jetzt war klar, dass der Zeitpunkt ein günstiger war, um die Sache anzugehen.
Film plus Kritik: Und die Wiedereröffnung ist im Moment für Oktober geplant?
Norman Shetler: Nicht nur im Moment! (lacht) Es muss passieren!
Film plus Kritik: Aber was denkst du denn, unabhängig von Sanierungsarbeiten, wie lange die Kinos generell noch geschlossen bleiben müssen?
Norman Shetler: Ich weiß es nicht. Du kannst mich das jeden Tag fragen und ich werde jeden Tag was anderes sagen. Inzwischen habe ich aufgehört Prognosen zu erstellen. Ich mache ja auch den Stadtkino Filmverleih – und beim Filmverleih ist es eher notwendig, langfristiger zu denken. Wir planen gerade Filmstarts für Juni, für September, Oktober, November. Selbst da wissen wir überhaupt nicht, ob das möglich sein wird.
Ich kann mir schon vorstellen, dass im Juni oder vielleicht sogar schon im Mai wieder etwas möglich sein wird. Aber man weiß ja nicht unter welchen Auflagen. Ich glaube ein Normalzustand wird sich erst nächstes Jahr wieder einstellen. Vorher würde es mich wundern.
Film plus Kritik: Für viele war die Überbrückungs-Lösung der Umstieg auf Streaming-Plattformen. Während der Pandemie wurde deshalb auch öfter der Tod des Kinos prophezeit. Wenn du gerade das Gartenbaukino sanierst, nehme ich an, du siehst das anders?
Norman Shetler: Ja, ich muss es natürlich anders sehen! Ich bin kein Fan von Streaming-Angeboten. Ich habe alle Abos, die man haben sollte und nutze sie auch, ich denke aber, dass sich eine gewisse Müdigkeit einstellt und dass die Leute eine Sehnsucht nach einem kollektiven Erlebnis haben – jetzt schon und im Herbst wird es noch mehr so sein. All die Vorzüge und die schönen Seiten eines Kinobesuchs, das kann man nicht ersetzen! Man kann die Inhalte in einen anderen Bereich transponieren, also auf die Bildschirme zu Hause, aber das Drumherum ist unersetzbar. Ich bin überzeugt davon, dass Kino wieder funktionieren wird.
Aber es wird Zeit brauchen, bis die Leute sich wieder sicher fühlen und bis das Filmangebot in der Fülle wieder da ist. Normalzustand ist relativ: 2022 können die Kinos vielleicht wieder mit normalen Rahmenbedingungen aufsperren, aber ob die internationale Produktions- und Verleihsituation zu dem Zeitpunkt wieder so funktioniert wie es vorher war, das wird man erst sehen.
Film plus Kritik: Du hast gesagt, du hast alle wichtigen Streaming-Plattformen. Was sind denn die wichtigen?
Norman Shetler: Wenn man Kinder hat, ist Disney+ nicht unwichtig! Und um Netflix kommt man nicht wirklich herum, das nervt mich aber am allermeisten. Ich habe oft das Gefühl, das ist so eine Müllhalde. Was ich großartig finde, ist der Criterion Channel! Den habe ich seit ein paar Monaten und das ist unglaublich bereichernd. Er ersetzt nicht den Kinogenuss aber vielleicht die Videothek. Die Möglichkeit, schnell mal in einen Pasolini-Film hineinzuschauen und sich etwas in Erinnerung zu rufen, ist fantastisch. Mubi habe ich noch nicht aber ich denke, das werde ich mir auch einmal leisten.
Film plus Kritik: Was war denn ein schönes Kinoerlebnis vor dem ersten Lockdown, an das du dich erinnern kannst? Oder das letzte, bevor die Kinos schließen mussten?
Norman Shetler: Der Run von „Once Upon A Time In Hollywood“ war toll. Wir haben sechs Wochen durchgehend Analogfilmprojektion gemacht, was inzwischen so selten ist. Das war sehr schön, super besucht und das Publikum hat auch toll reagiert. Und im Sommer letzten Jahres, als wir doch ein bisschen aufsperren konnten. Wir haben „Bacurau“ gespielt von Kleber Mendonça – diesen wahnsinnigen brasilianischen Film. Ich war einmal da, und es war wirklich großartig! Volksfeststimmung!
Die Viennale war auch super. Sie hat die Befürchtungen beiseite geräumt, dass sowas nicht funktionieren kann. Es war natürlich eingeschränkt in der Kapazität, aber man hat trotzdem dieses Flirren und diese Spannung gespürt! Aber als dann während der Viennale der nächste Lockdown angekündigt wurde, hat mich das dann wieder auf den Boden zurückgeholt. Das war nicht so fein.
Film plus Kritik: Das Aufsperren der Kinos im Sommer war so ein Aufatmen. Ich habe bei mir vorab nachgeschaut, was der letzte Film war, den ich vor dem ersten Lockdown im März 2020 gesehen hab. Das ist im Gartenbaukino gewesen – die Sondervorstellung von „Die Dohnal“ am Internationalen Frauentag.
Norman Shetler: Oh ja, das war super! Und toll besucht auch!
Film plus Kritik: Wie empfindest du denn diesen Mangel an Kinoerlebnissen und Kulturveranstaltungen generell? Nicht nur als Kinobetreiber sondern als Privatperson?
Norman Shetler: Ich find‘s ziemlich schlimm. Ich war zwischenzeitlich mit meinem Sohn im Museum bei der Spoerri-Ausstellung und ich mag es jetzt nicht überpathetisieren, aber es war wirklich wie ein Aufatmen! Von Kunst und Kultur umgeben zu sein und sich in diesen Räumen zu bewegen war ein bisschen wie eine Neuerfahrung. Also ja, es geht mir extrem ab!
Es ist ein Lebensmittel und ich finde es gar nicht überzogen, es so zu bezeichnen. Ich glaube aber auch, dass es ein Lebensmittel ist, das man vielleicht erst dann schätzt, wenn man es wieder hat. Wenn man sich wieder daran erinnert. An der Oberfläche betrachtet kann man ja auch ohne gut leben. Aber wenn man diese Erfahrung wieder macht, wenn man wieder drin ist, dann merkt man erst, dass einem das extrem gefehlt hat. Dieser Museumbesuch hat das bei mir wieder aufgerufen. Das hat einen emotionalen und intellektuellen Mehrwert, der stark abhandengekommen ist. Und gerade Film kann diese unterschiedlichen Sparten so gut bedienen. Das vermisse ich sehr.
Film plus Kritik: Wenn dieser Mehrwert wegfällt – und auch, weil du vorhin gesagt hast, dass du nicht abschätzen kannst, wann wir diese Erfahrungen wieder machen können: Spürst du da eine Wut oder Enttäuschung über die Politik? Dass hier nicht genug getan wird?
Norman Shetler: Das ist eben das, was es erfordert. Was uns wahnsinnig gemacht hat und die Arbeitsabläufe extrem erschwert hat, war dieses „Happen zuschmeißen“: Pressekonferenzen, in denen gesagt wird, wann entschieden wird, wann vielleicht wieder irgendetwas öffnen kann… Das ist ökonomisch total schwierig, weil man eine gewisse Vorlaufzeit braucht. Du kannst ja nicht von heut auf morgen aufsperren!
Wir hatten letztes Jahr im Mai die Situation, dass de facto zwei Tage vor der Wiedereröffnungsmöglichkeit erst bekannt wurde, dass auch die Kinos wieder aufsperren dürfen, das heißt eigentlich: müssen. Und was machst du dann? Wie gehst du mit sowas um? In Theatern ist das ja noch viel schlimmer, die brauchen vier bis sechs Wochen Vorlaufzeit, um alles wieder in Gang zu bringen. Und das ist ärgerlich! Aber ich zeige nicht mit dem Finger auf irgendwen. Ich kenne auch einige der Akteure, die da dahinter sind und weiß, wie schwierig das ist. Das ist halt – entschuldige, dass ich das so salopp sage – g’schissen für alle. Und ich spüre Ärger und Frustration, aber keine Wut auf irgendjemanden. So ist es jetzt, was soll man machen.
Film plus Kritik: Immerhin hast du mit der Sanierung eine gute Überbrückungsmöglichkeit gefunden!
Norman Shetler: Ja, it keeps me busy! (lacht) Ich weiß ja auch, dass wir das mit der Sanierung bis Oktober schaffen und ich hoffe, dass wir dann auch aufsperren dürfen – unter Umständen, die es uns erlauben, gut zu arbeiten. Und man kann ja nichts anderes tun als darauf hinzuarbeiten und sich dann gegebenenfalls wieder umzuorientieren!
Film plus Kritik: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview fand am 14.04. telefonisch statt.
Info: Neben der Grundsanierung hat das Gartenbaukino auch ein Crowdfunding gestartet, mit dem der Prozess finanziell unterstützt werden kann. Insbesondere eine neue Bestuhlung soll damit sichergestellt werden, wer spendet, kann sich sogar auf einem der Kinosessel verewigen lassen. Darüber hinaus gibt es auch viele weitere, tolle Goodies. Bisher wurden bereits knapp 200.000€ gesammelt. Die Kampagne läuft noch bis Mitte Juni.
Bilder: (c) Norman Shetler