Gefühlt gehört Amy Adams zu den Schauspielerinnen, denen angesichts ihrer Leistungen nicht genug Aufmerksamkeit zuteilwird. Verglichen mit anderen Akteurinnen fliegt die in Italien geborene US-Amerikanerin immer ein wenig unter dem Radar, und das, obwohl sie seit etlichen Jahren mit konstant guten Performances zu überzeugen weiß. Egal ob Drama, Science-Fiction oder ganz großes Blockbuster-Kino – Adams bespielt jede ihrer Figuren mit großer Leidenschaft und konnte in „The Woman in the Window“ eine weitere Hauptrolle an Land ziehen.

von Cliff Brockerhoff

In der Romanverfilmung verkörpert sie die Kinderpsychologin Anna, die aufgrund von Agoraphobie zur Geisel ihrer eigenen vier Wände geworden ist und sich mehr mit dem Leben ihrer Nachbarn, als mit der eigenen Existenz beschäftigt. Als sie plötzlich einen blutigen Zwischenfall auf der anderen Straßenseite beobachtet, erwächst in ihr das Verlangen das Verbrechen aufzuklären, doch niemand will der schrulligen Frau Glauben schenken. So bleibt Anna nichts anderes übrig als eigene Nachforschungen anzustellen, wodurch sie immer weiter in den Strudel aus Lügen und seltsamen Zufällen gezogen wird.

Der große Aufhänger der Adaption liegt also auf der Hand: Die Protagonistin agiert gleichzeitig als Erzählerin, ist aufgrund ihrer Tablettenabhängigkeit und Vorliebe für alkoholhaltigen Traubensaft aber nur bedingt glaubwürdig. So wird der Zuschauer mit einfachsten Mitteln immer wieder hinters Licht geführt und soll für sich herausfinden, welche Ereignisse real sind – und welche eben nur der lebhaften Fantasie der gezeichneten Katzenlady entspringen. Anfangs sorgt das für interessante Momente, kreiert Anreize das Gesehene selbst zu analysieren und bildet ein bemerkenswertes Paradoxon, denn die einzige Person, der die Psychologin nicht helfen kann, ist offensichtlich sie selbst. Die Einführung gelingt, führt charismatische Charaktere ein und lässt die Hoffnung auf eine wendungsreiche Handlung aufkeimen.

Diese kann letztlich auch bezeugt werden, doch sonderlich innovativ ist der weitere Verlauf dann leider nicht. Insbesondere der erste, große Twist kündigt sich mit Siebenmeilenstiefeln an und lässt sich auch nach sieben Glas Wein noch weit im Voraus riechen. Danach geht es qualitativ rapide abwärts, sodass das letzte Drittel eher zur Geduldsprobe und viel weniger zum spannungsgeladenen Adrenalinkick verkommt. Das ist schade, vor allem weil die Grundbausteine ohne Zweifel vorhanden sind: das spärlich beleuchtete Haus lässt ohne Mühe eine schaurige Atmosphäre aufkommen, der Cast ist bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt – unter anderem geben sich neben Gary Oldman, Anthony Mackie, Julianne Moore und Jennifer Jason Leigh die Türklinke in die Hand – und auch Amy Adams weiß abermals zu überzeugen und mimt glaubwürdig die psychisch angeschlagene Stalkerin, eingefangen in wertigen Bildern von erdiger Schönheit.

Aber: das Drehbuch weiß alle diese Stärken nur im Mindestmaß auszunutzen. Sobald sich eine gewisse Anspannung aufbaut, wechselt der Film zu schnell die Grundstimmung, will um jeden Preis undurchsichtig bleiben und wird ironischerweise genau aus diesem Grunde vorhersehbar. Nicht zuletzt deshalb, weil Regisseur Joe Wright ganz ungeniert bei Klassikern abkupfert und einen pausenlos das Gefühl beschleicht die Handlung so oder so ähnlich bereits gesehen zu haben. Verstärkt wird diese Empfindung dadurch, dass im Hintergrund mehrmals traditionelle Thriller über die Mattscheibe flimmern, die Kinderpsychologin selber als großer Filmfan vorgestellt wird und die Story die Zuschauerschaft von einer Wendung in die Nächste jagt. Das alles will am Ende nicht zusammenfinden, wirkt so als wären wichtige Komponenten dem Schnitt zum Opfer gefallen und macht die elementaren Figuren komplett austauschbar. Anna zum Beispiel kann überhaupt keine Emotion hervorrufen und wirkt wie eine Protagonistin, deren Charakterzüge höchstens Mittel zum Zweck sind und eine Fassade aufbauen, hinter die wir nie blicken dürfen.

Fazit

Trotz bester Voraussetzungen schafft es „The Woman in the Window“ nur selten aus dem Mittelmaß auszubrechen, kann lediglich vereinzelt echte Spannung erzeugen und gipfelt schließlich in einem überambitionierten Finale, das keine Befriedigung für den Betrachter bietet. Eine pausenlose und unverblümte Imitation großer Vorbilder ohne eigene Seele, die unterhält, den Fenstergriff aber beileibe nicht neu erfindet. Ab sofort auf Netflix abrufbar!

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

(57/100)

Bilder: ©Netflix

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