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Serien-Kritik: „The Underground Railroad“

Nachdem Barry Jenkins („Moonlight“, „If Beale Street Could Talk“) bereits mehrfach sein Können als Spielfilm-Regisseur unter Beweis gestellt hat, saß er für Amazon nun zum ersten Mal für eine komplette Serie im Regiestuhl. Mit „The Underground Railroad“, so der Titel der zehnteiligen Miniserie, adaptiert Jenkins eine Romanvorlage von Colson Whithead für den Bildschirm. Diese setzt sich mit den Narben auseinander, die die Geschichte der USA auf den Körpern und in den Seelen der afro-amerikanischen Bevölkerung hinterlassen hat – und wie diese lernen müssen mit diesen Narben umzugehen.

von Paul Kunz

Die Handlung folgt Cora Randall (Thuso Mbedu), eine schwarze Frau, die im US-amerikanischen Georgia des 19. Jahrhunderts auf einer Baumwollplantage versklavt ist. Tag für Tag muss sie dort unaussprechliche Grausamkeiten erleiden, doch auch eine zutiefst persönliche Verletzung verfolgt sie: Coras Mutter ist vor langer Zeit von der Plantage geflohen. Ihre Tochter hat sie dort zurückgelassen. Erst Jahre später schafft auch Cora die Flucht und startet mit dem befreundeten Caesar eine Reise in die verheißungsvollen Nordstaaten. Unterstützung erhält Cora vom informellen Schleusernetzwerk, bestehend aus schwarzen, wie auch weißen Gegner:innen der Sklaverei, das gemeinhin als Underground Railroad bekannt ist. Doch sicher ist Cora nirgends, denn nicht nur ist der Rassismus in den USA allgegenwärtig, der erbitterte Sklavenfänger Arnold Ridgeway (Joel Edgerton) ist ihr ebenfalls dicht auf den Fersen.

Der Clou an der Geschichte ist, dass die Serie – wie auch die Romanvorlage – die Underground Railroad als tatsächliche Eisenbahn imaginiert, die die Menschen auf unter der Erde verborgenen Schienen in die Freiheit befördert. Derartige magisch anmutenden Elemente vor der harten Realität der Sklaverei sorgen nicht nur für inhaltliche Spannung, sondern bringen auch eine erfrischende Ambiguität und damit thematische Reichhaltigkeit mit sich. Wenn der Weg in die Freiheit über das Innere der Erde führt, spiegelt das Coras Suche nach Freiheit im Inneren der Seele? Wie kann sie jemals frei sein, wenn das Leid, das Cora unrechtmäßig widerfahren ist, immer Teil ihrer Geschichte und der Geschichte der USA bleiben wird?

Jenkins’ große Stärke ist, dass er bei derartigen Aussagen über systemische Unterdrückung und dem Stellen gesellschaftlich relevanter Fragen dennoch nie das Individuum aus den Augen verliert. In „The Underground Railroad“ bleiben stets die Gefühlswelten der Protagonist:innen im Mittelpunkt. Und Cora ist eine für diesen Zweck hervorragend geschriebene Figur. Denn während wir am Anfang wenig über sie wissen und Nähe vor allem durch unser Mitleid mit ihrer Unterdrückungserfahrung aufbauen, findet Cora bald kleine Möglichkeiten des Widerstands, kleine Momente der Handlungsmacht und lässt das Publikum näher und näher an sich heran. Das ist subtil geschrieben, subtil gespielt und umso kraftvoller.

Das fantastisch zurückhaltende Spiel von Thuso Mbedu sticht hervor, doch auch der Rest des Casts weiß mit dem cleveren Drehbuch umzugehen. Zu den weiteren Highlights zählen ein Gastauftritt von Lily Rabe als widerwillige Fluchthelferin, sowie Joel Edgerten als Hauptbösewicht und Sklavenfänger Arnold Ridgeway. Mit Ridgeway unternimmt die Serie eine schwierige Gratwanderung, die allerdings gut gelingt. Sie macht Ridgeways Beweggründe nachvollziehbar, ohne ihm und seinen monströsen Taten zu viel Mitgefühl zukommen zu lassen. Und generell trifft die Serie hier einen guten Mittelweg: die Motivationen und Gefühle der weißen Figuren bekommen Raum, da sie Teil des Systems sind, das beschrieben wird. Im Vordergrund stehen jedoch richtigerweise die Gefühle der schwarzen Protagonist:innen.

Bemerkenswert ist auch die Kameraarbeit von James Laxton, der wunderschöne und sanfte Bilder findet, oftmals durchflutet von wärmendem Sonnenlicht, das die Figuren schon mal auszuwaschen scheint. Gleichzeitig verstärkt diese anmutige Darstellung selbst albtraumhafter Ereignisse auch das Grauen des entmenschlichenden Systems, dem die Figuren unterworfen sind. Laxton stellt aber sicher, dass sich diese Entmenschlichung nie auf die Bildsprache überträgt und niemals das Leid der Figuren auskostet, indem er nah an den Personen und ihrer Perspektive bleibt. Besonders kraftvoll ist, was Jenkins und Laxton bereits in „Moonlight“ und „Beale Street“ gerne taten: die Figuren direkt in die Kamera blicken lassen. Und wieder einmal wird klar, dass kaum jemand Gesichter schöner und eindringlicher filmen kann.

Dennoch bleibt die Serie schwer konsumierbar. Eine Geschichte des Leids, jede Folge ein Tritt in die Magengrube. Und das über 9 Stunden hinweg. Da hilft es, dass die Folgen auch als abgeschlossene Einheiten weitgehend gut funktionieren und für sich konsumiert werden können. Das ermutigt zu einem langsamen Schauen.

Fazit

„The Underground Railroad“ ist eine kraftvolle Serie über die Sklaverei und die Suche nach Freiheit. Sie ist clever geschrieben, stark gespielt und wunderschön gefilmt. In ihrer Erforschung der Folgen von rassistischer Unterdrückung und des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit auf systemischer, wie auch psychologischer Ebene ist die Serie dabei nicht nur tiefgründig, sondern auch enorm relevant.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(86 / 100)

„The Underground Railroad“ ist auf Amazon Prime zu sehen.

Bilder: (c) Amazon Prime

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