“Die nächsten Wochen werden entscheidend sein.” – Sollte es neben der Wahl zum Unwort des Jahres auch eine solche zum Unsatz des Jahres geben, wäre dieser wohl ganz vorne mit dabei. Das Mantra der Corona-Pandemie seitens der Politik prägte die öffentliche Kommunikation der Jahre 2020 und 2021. Während es Anfang 2020, zu Beginn der Krise, noch dazu gereichte, große Teile der Bevölkerung ins Boot zu holen, zu motivieren für eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die Virusausbreitung unter Kontrolle zu bringen, verkam die Phrase ein Jahr später zum Synonym einer planlosen und überforderten Regierung, die ihre eigenen Versäumnisse auf die Bevölkerung abwälzte.
von Christian Klosz
Nach fast 1.5 Jahren Corona-Pandemie ist ein erster reflektierter Rückblick möglich, die Frage kann gestellt werden, was diese größte globale Krise seit dem 2. Weltkrieg mit uns allen gemacht hat. Oder noch machen wird. Einen guten Ausgangspunkt dafür bietet Kristina Schranz’ Film mit dem treffenden Titel “Vakuum”, der im Programm der Diagonale 2021 zu sehen ist. Sie dokumentiert darin – seit Beginn der Corona-Krise bis Ende 2020 – ihr direktes Umfeld in ihrer burgenländischen Heimat und dessen Umgang mit dieser noch nie (oder: seit ganz langer Zeit nicht) dagewesenen Situation.
Es sind in erster Linie Gespräche mit Bekannten, Freunden, Ortsansässigen, die Schranz einfach nach ihrem Befinden fragt, die Aufschlüsse darüber geben, was diese Krise mit den Menschen macht(e): Die alleinerziehende Mutter erzählt vom stressigen Homeschooling und davon, dass sie nun 3 Jobs (Kochen, Haushalt, Lehrerin) habe; der Konditormeister von ausbleibenden Bestellungen, weil die Menschen auf ihr Geld schauen würden und es nicht “unnötig” ausgeben wollen; zwei Lokalbesitzer davon, dass bei weiterem Lockdown ihre Rücklagen für noch 2 Wochen reichen würden; und das rüstige Seniorenpaar von mehr Zeit füreinander, aber auch vom Mangel an sozialen Kontakten und Vergleichen mit der Kriegszeit, die beide als Kinder miterlebt hatten. Angst und Sorge, gesundheitlicher wie finanzieller Natur, Wut und Ablehnung, Anpassung und Pragmatismus – und etwas Hoffnung, das sind die Gefühle, die die Protagonist/innen in “Vakuum” umtreiben. Wenngleich sich die Stimmung der meisten gegen Ende des Films rund um Weihnachten 2020 trübt: Schon wieder / noch immer Lockdown, keine Perspektive, Leere, wie soll es weitergehen?
Schranz unterbricht ihre Gespräche nur durch kurze Einschübe, die das alles durchdringende Corona-Vakuum in ihrer Heimat illustrieren – unbespielte Fußballplätze, unbesuchte Diskos, leere Kirchen -, unterlegt durch Ansprachen des Kanzlers Kurz, der die Bevölkerung zum Durchhalten ermutigt und immer wieder auf den Kampf gegen das Virus einschwört. Technisch und stilistisch ist es ein Hang zum Minimalismus, der auch in den begrenzten Dreh-Möglichkeiten bergründet liegen mag, ohnehin bilden die Interviews das Zentrum eines Films, der als einer der ersten eine Zeit porträtiert, die für viele eine einschneidende Erfahrung war/ist, die die Gesellschaft als Ganzes verändert haben wird – und die immer noch andauert, wenngleich die Zeichen derzeit sicher mehr auf Hoffnung stehen, als noch vor einem halben Jahr oder vor 3 Monaten.
Fazit:
Ein in seiner Machart simpler, aber wirkungsvoller Film, der wie kein anderer bisher ganz direkt darstellt, was die Corona-Krise und die damit einhergehenden Maßnahmen mit den Menschen mach(t)en. “Vakuum” ist ein sensibles Zeitdokument, das zwar nicht durch Innovation oder sprudelnde stilistische Kreativität auffällt, aber durch ehrliches Interesse und Anteilnahme eine Welt erschließt, die uns allen seit knapp 1.5 Jahren mehr als vertraut ist: Die Corona–Welt mit all ihren Herausforderungen, Zumutungen und der Perspektivenlosigkeit. Insofern ist der Film auch ein Blick auf uns selbst und lädt zur (Selbst-)Reflexion ein: Sind wir – auch persönlich – wirklich besser durch die Krise gekommen als alle anderen, um einen weiteren Kurz’schen Unsatz zu strapazieren?
Bewertung:
(71/100)
“VAKUUM” lief im Dokumentarfilm-Programm der Diagonale 2021 und im Rahmen unserer Filmreihe “einsA” in den Breitenseer Lichtspielen.
Update: Bis 20.4.2022 ist der Film in der BR Mediathek frei zugänglich zu sehen!
Bilder: © Kristina Schranz