Bei allen aktuellen Forderungen nach Diversität und Inklusion bleibt eine Gruppe oft außen vor: Menschen mit Behinderung sind in medialen Debatten, aber auch in Filmen und Serien stark unterrepräsentiert. Während die Auseinandersetzung etwa mit sexuellen Identitäten oder Orientierungen vergleichsweise viel Raum einnimmt, findet man Filme über blinde, gehörlose, körperlich behinderte Menschen oder solche mit geistigen Beeinträchtigungen eher selten. Und wenn, dann – gerade im Medium Film – oft nur in Form typischer „Problemfilme“, die nicht selten in Betroffenheitskitsch ausarten und deren Interesse vor allem der „Andersartigkeit“ der Protagonisten gilt.
von Christian Klosz
Opfer, Held – oder „ganz normal“ ?
Es gibt sie natürlich schon, die großen Werke, die Menschen mit Behinderung in ihren Mittelpunkt stellen: „My left foot“ etwa, „Der Duft der Frauen“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ oder irgendwie auch „Forrest Gump“. Sie erzählen aber stets über diese Menschen und lassen sie nicht selbst erzählen. Selten werden Behinderungen als etwas Normales, Alltägliches dargestellt, oft geht es um die „Faszination“ oder besondere Leistungen, die von den Betroffenen erbracht werden, die sie dann (scheinbar) zu „wertvollen Menschen“ machen. Ein Beispiel für einen Film, der das anders macht, wäre der wunderbare „Gilbert Grape“ von Lasse Hallström, in dem Leonardo DiCaprio in einer seiner ganz frühen Rollen einen geistig beeinträchtigten Jungen spielt. Die „Normalisierung“ findet vor allem über den Umgang mit ihm seitens seines älteren Bruders Gilbert (Johnny Depp) statt, der Arnie eben so akzeptiert wie er erst. Er muss für ihn keine außergewöhnlichen Leistungen erbringen, um ein ganzer Mensch zu sein. Ein anderes Beispiel ist „The Peanut Butter Falcon“ aus dem Jahr 2019, der von einem Jungen mit Down-Syndrom handelt, der aus einem Pflegeheim ausbricht, sich mit einem jungen Mann anfreundet und seine Traum verfolgt, ein Wrestler zu werden. Das Interessante daran: Der junge Zak wird dabei von Zack Gottsagen verkörpert, der selbst am Down-Syndorm leidet.
Ein neues Projekt in den Breitenseer Lichtspiele möchte diese Lücke in der Darstellung von und im Umgang mit den Betroffenen füllen: BSL-Geschäftsführerin Christina Nitsch-Fitz hat die Audiovisuellen Medienwerkstatt Menschen & Medien eingeladen, die neue Interviewreihe NA(JA) GENAU – Kinogespräche im Kino zu realisieren, bei der interessante Persönlichekeiten aus der Kino-, Film- und Kulturbranche von Menschen befragt werden, die unter der einen oder anderen Beinträchtigung leiden. Es soll dabei darum gehen, diese Inklusion ganz selbstverständlich zu leben, nicht die „Behinderung“ oder Abweichung von der Norm in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Persönlichkeiten – sowohl die Gäste, also auch die Interviewer.

Das Konzept wird dabei von der Sendung NA(JA) GENAU übernommen, die regelmäßig auf OKTO TV läuft und von Ernst Tradinik ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit Kameramann Kurt van der Vloet gestaltet und produziert er die Beiträge. Die Sendung ist aktuell für den 53. Fernsehpreis in der Kategorie Inklusive Serien nominiert, wo man unter anderem gegen einen Landkrimi von Miriam Unger antritt. Ein zentrales Anliegen ist es, dass sich diese Gruppe selbst (re)präsentiert und am Mediengeschehen aktiv partizipert. So soll eine „Normalisierung“ stattfinden und so sollen Vorurteile seitens der Zuseher abgebaut werden.
Dieser Zugang ist gerade in Medien selten, oft changiert die Darstellung von Menschen mit Behinderung zwischen den beiden Extremen „Opfer“ oder „Held“, selten dürfen sie selbst Protagonisten und Autoren ihrer Darstellung sein. Oder gar jene, die selbst berichten, anstatt dass über sie berichtet wird. Das bestätigt auch eine Studie aus den Jahren 2015/16 von Maria Pernegger. Sie hat mehrere größere Medien aus Österreich untersucht, wie sie Menschen mit Beeinträchtigungen abbilden. „Extreme dominieren“, erzählt Maria Pernegger. „Menschen mit Behinderungen werden vor allem entweder als arme Hascherl (hilfsbedürftige Opfer) oder als Superhelden dargestellt.“ Dem gegenüber steht deren Selbstdarstellung, etwa in Sozialen Medien, die ebenfalls untersucht wurde, und meist ganz anders aussieht: Im Mittelpunkt stehen weder die eigenen Defizite oder Leistungen, sondern der ganze normale Alltag.
Interessante Gäste in den BSL
Die Interviews der Reihe werden direkt im altehrwürdigen Breitenseer Kino aufgenommen, das derzeit renoviert wird. Bisher zu Gast waren etwa Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, Tatort-Darstellerin Christina Scherrer, Maler Helmut Knaus oder Stummfilm-Pianist Gerhard Gruber (siehe Bild unten, im Gespräch mit Flora Rabinger). Zur Wiedereröffnung im September sollen die fertigen Videos dann gezeigt werden, danach sollen sie auf Youtube veröffentlicht werden. Auch eine Fortsetzung des Projekts in Kombination mit anderen Programmschienen ist angedacht.

Mit diesem Projekt ist ein weiterer Grundstein gelegt, die Breitenseer Lichtspiele als offenes Kulturforum zu positionieren, das sich neben Film & Kino auch anderen Kunstbereichen widmet und auch gesellschaftspolitischen und sozialen Anliegen eine Plattform gibt, wie das von der neuen Betreiberin angedacht ist. Nach eher müden Jahren, in denen wenig Innovation und Leben im ältesten Kino Wiens zu spüren war, wird so der Neustart fortgesetzt, der zuletzt begonnen wurde, bevor die Corona-Pandemie zu einem vorübergehenden Stopp zwang.
Titelbild (v.n.h.): Marcell Vala, Ernst Tradinik, Kurt van der Vloet; Textbild 1: Kinosaal der Breitenseer Lichtspiele; Textbild 2: Gerhard Gruber, Flora Rabinger
Bilder: (c) BSL / © Katharina Schiffl