Amazon hat sich selbst neue Regeln gegeben, nach denen zukünftig Filme der Amazon Studios besetzt werden: Neue Inklusions-Richtlinien sollen bestimmen, welche Rollen wie und von wem gespielt werden dürfen. Es geht dem zum Filmproduzenten gewordenen Versandhaus laut Eigenaussage um „Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit der Erzeugnisse und Inhalte“. So wird nicht nur die Besetzung künftiger Filme vor und hinter der Kamera nach genauen Geschlechter- und Herkunftsquoten festgelegt, sondern auch das Verhältnis zwischen den Schauspielern und ihren Rollen. „Es sollen nur noch Schauspieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt.“

Wie das in der Praxis aussehen soll, darüber hat man sich offenbar wenig Gedanken gemacht, denn solche rigiden Regelungen implizieren dreierlei: Zum einen delegitimiert man damit so gut wie die gesamte Filmgeschichte und ihre Erzeugnisse bis vor wenigen Jahren. Filme wie „Brokeback Mountain“, „Schindlers Liste“, „Forrest Gump“, „Rainman“, „Der Pate“ oder „Dallas Buyers Club“ wären nicht mehr möglich, um nur einige Beispiele zu nennen. Dass die Kunstform „Schau-SPIEL“ heißt, wurde offenbar nicht bedacht.

Frage 2, die sich stellt: Wie will man nach den neuen Richtlinien dunkle Aspekte menschlicher Existenz oder Geschichte darstellen? Wer etwa soll in Zukunft „arische“ Nazis in Weltkriegsdramen darstellen? Oder: Dürfen in Hinkunft nur mehr offen pädophile Darsteller pädophile Figuren spielen?

Drittens widerspricht Amazon mit der wohl gut gemeinten, aber schlecht bis gar nicht duchdachten neuen Politik einem Zugang namens „colorblind casting“, der im Grunde das genaue Gegenteil von den neuen Richtlinien will: Nämlich Casting-Entscheidungen völlig unabhängig von Hautfarbe, Herkunft etc. der Darsteller. Ob es klug ist, in Historiendramen etwa mitteleuropäische Adelige von schwarzen Darstellern spielen zu lassen, ist eine andere Frage – das aber jedenfalls würde es bei Amazon in Zukunft nicht mehr geben können.

Wie man sich die Umsetzung der neuen Richtlinien in der Praxis vorstellt, bleibt also eine Geheimnis. Ebenso, welche Regisseure und Regisseurinnen sich auf Dauer in dieses enge Korsett pressen lassen wollen, das ihnen große Teile ihrer künstlerischen Freiheit und Autonomie nimmt. Und offen bleibt auch, ob und wie Schauspieler und Schauspielerinnen darauf reagieren werden. Ihre Kunst besteht schließlich darin, in die „Haut von anderen“ zu schlüpfen und diese fiktiven Figuren kreativ mit Leben zu füllen. (ck)

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Folgende 2 externe Artikel erörtern die Diskussion auch ausführlicher – Artikel in der Zeit, Artikel im Blog Nachdenkseiten