Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) meldet sich mit seinem neuesten Streifen zurück ins Kino: „Hinterland“ versetzt uns in ein Wien einige Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs. Der ehemalige Kriminalbemate Peter Perg (intensiv gespielt von Murathan Muslu) ist ein Kriegsüberlebender, der in eine Heimat zurückkehrt, die ihm keinen Halt bieten kann. Anstatt Anerkennung für seinen Dienst erfährt der vom Krieg traumatisierte Perg bloß Gleichgültigkeit oder gar Verachtung. Statt dem Kaiserreich, für das er kämpfte, gibt es nun die Österreichische Republik. Wien scheint eine völlig fremde Stadt. Und inmitten dieser Krise treibt ein Serienmörder sein Unwesen, der grauslich zugerichtete Leichen vom Prater bis zur Wienzeile zurücklässt. Gemeinsam mit der Gerichtsmedizinerin Dr. Körner (Liv Lisa Fries) versucht Perg den Täter zu finden.

von Paul Kunz

Für „Hinterland“ bedient sich Ruzowitzky einer höchst eigenwilligen Ästhetik, die irgendwo zwischen „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Sin City“ und „Sweeney Todd“ angesiedelt ist. Das Wien von 1920 ist ein verfremdetes, computergeschaffenes Albtraumbild einer Stadt: die Gebäude ragen kreuz und quer durchs Bild, die Straßenzüge biegen sich auf und ab, Treppenhäuser winden sich in alle erdenklichen Richtungen. Es ist eine aus den Fugen geratene Welt, in der klare Perspektiven ebenso selten sind wie Tageslicht. Ruzowitzky kreiert damit einen düster-atmosphärischen und absolut inspirierten Look, der die Orientierungslosigkeit des gebrochenen Protagonisten, wie auch der Nachkriegsgesellschaft visuell eindrucksvoll zum Ausdruck bringt und dem Film ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal verleiht. Das ein oder andere Bild mag vielleicht zu kitschig geraten sein, manchmal drängt sich der künstliche Computerlook auch zu sehr in den Vordergrund, doch im Großen und Ganzen ist das Unterfangen geglückt.

Während der Film auf der visuellen Ebene mit Originalität besticht, so lässt sich selbiges leider nicht über die Filmhandlung sagen. Denn auf inhaltlicher Ebene scheint „Hinterland“ sich weitaus weniger für die Traumata des Krieges und dessen gesellschaftliche Folgen zu interessieren als auf der formellen. Stattdessen verschreibt sich der Film vollkommen seiner allzu generisch geratenen Krimi-Handlung. Neben den schaurig-ungustiösen Mordopfern – mal von Holzpflöcken durchbohrt, mal von Ratten zerfressen – hat diese nämlich wenig zu bieten. Insbesondere an Spannung lässt der Plot vermissen, was dazu führt, dass man sich öfters mal dabei ertappt die sich im Hintergrund windende Stadt zu begutachten, anstatt dem Filmgeschehen zu folgen. Besonders ärgerlich ist dann die plumpe Auflösung der Handlung, deren Kniff noch dazu im Vorspann vorweggenommen wird.

Weitaus spannendere Themen werden en passant oder in kleinen Nebenhandlungen angeschnitten, aber nie tiefgreifend erforscht. So kann sich Perg etwa nicht dazu überwinden seine aufs Land gezogene Ehefrau zu besuchen und sie über seine Rückkehr zu informieren – doch der Film verabsäumt es, dieses Trauma greifbar zu machen. Dass die Wichtigkeit einer Mordermittlung der scheinbaren Entbehrlichkeit von Soldatenleben gegenübersteht, wird in einem Nebensatz angedeutet. Und die kompetente Gerichtsmedizinerin, die ihre Position nur aufgrund der Abwesenheit von Männern erreichen konnte, bleibt genauso eine Plattitüde wie der schwule Kamerad, der sich nie bei Perg geoutet hat. Immer wieder nähert sich der Film diesen grundsätzlich interessanten Fragen, tut dies aber oftmals unbeholfen und verweigert letztlich eine tiefere Auseinandersetzung um stattdessen schnell zur Krimi-Handlung zurückzukehren.

Fazit

„Hinterland“ ist ein in seiner Ästhetik spannendes filmisches Experiment. Ruzowitzky setzt die Idee eines jeder Ordnung enthobenen Wiens stilsicher um und erschafft damit ansprechende Bilder mit hoher atmosphärischer Dichte. Schade ist daher, dass die generische Erzählung um die Aufklärung einer Mordserie an Spannung und Originalität vermissen lässt. Thematisch reichhaltigere Fragen wirft der Film zwar immer wieder auf, doch seinen Schwerpunkt hat er woanders gesetzt. Und so verbleibt „Hinterland“ im Mittelmaß.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

(56/100)

Bild: (c) Freibeuter Film