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„The Last Duel“ – Kritik zum Kinostart

Hollywood-Superstar Adam Driver ist momentan schier überall. Auf Netflix streitet er sich in die Herzen, in der Werbung schwimmt er wohlriechend neben Pferden im Meer und in den Trailern lächelt er zum Beispiel in nobelstem Zwirn in die Gesichter anderer Guccis – im Auftrag von Regisseur Ridley Scott. Kein Wunder also, dass Scott den US-Amerikaner für seinen „The Last Duel“ ebenfalls im Ensemble haben wollte. Auf das Pferd muss Driver dabei nicht einmal verzichten.

von Cliff Brockerhoff

Seine scharfe Zunge tauscht er jedoch gegen ein noch schärferes Schwert und verteidigt sich damit gegen schwere Anschuldigungen. Er, der Junker Jacques Le Gris, soll sich an der Maid Marguerite de Carrouges vergangen haben. Eine ungeheuerliche Beschuldigung, findet zumindest der Graf, gespielt von Ex-Batman Ben Affleck und kehrt die Angelegenheit unter den reich gedeckten Tisch. Der letzte Ausweg um über die Wahrheit zu entscheiden bleibt, gemäß alter Bräuche, ein Duell zwischen Le Gris und Jean de Carrouges, dem Mann der Vergewaltigten. Parfüm weicht dem Geruch von Blut und Schweiß, denn nur ein Mann wird lebendig als Sieger hervorgehen – und im schlimmsten Fall landet auch Marguerite als von Gott bezeugte Lügnerin auf dem Scheiterhaufen.

Spannende Voraussetzungen also für Scott, der sich in seinem Film auf wahre Begebenheiten bezieht und rein formell schon zu Beginn die Frage aufwirft wie viel Gerechtigkeitssinn gesund ist, quasi eine #metoo Debatte vor mittelalterlicher Kulisse. Doch hält das Werk was die Prämisse verspricht? Sir Dieter Bohlen würde nun sagen: „Ich fand’s granatenstark, dreimal Ja!“ – und der Verfasser dieser Zeilen möchte Zustimmung äußern. Es ist aber nicht ausschließlich der Inhalt, der „The Last Duel“ sehenswert macht, sondern zu gleichen Teilen auch die Form, in der sich das Werk dem Publikum offenbart. Aufgeteilt in drei Kapitel wird das Geschehen aus der Sicht jeweils eines, respektive einer Beteiligten geschildert. Was als repetitive Ödnis anmutet, erweist sich als goldener Kniff, da jede Sichtweise kleinere, aber doch bedeutsame Abweichungen ändert und uns so die Selbstwahrnehmung der Handelnden aufzeigt. Die Wahrheitsfindung wird nicht nur kreativ und spielerisch gelöst, sie lädt gleichzeitig auch zum Entdecken ein, da jeder Blick die Gemengelage jederzeit auf den Kopf stellen kann.

Mal spricht der Film via Dialog direkt zum Publikum, mal sind es winzige Nuancen, die für Gefühlsregung sorgen. In einer Szene wird beispielsweise eine wertvolle Stute, entgegen der Weisung von Jean de Carrouges, von einem ungestümen Hengst begattet. Auf den ersten Blick lediglich eine Randnotiz, bei genauerem Hinsehen jedoch eine sorgsam eingebettete Metapher, die sich auf die Haupthandlung übertragen lässt. Nichts passiert zufällig. Ebenso verhält es sich mit den Gesprächen. Jeder Dialog setzt einen weiteren Strich auf das Papier und zeichnet facettenreiche Charaktere, die je nach Erzählweise an Sympathie gewinnen oder jene wieder einbüßen. Einzelne Elemente oder Wortwechsel tauchen das vorher Gesehene in ein anderes Licht, lassen uns am Verstand zweifelnd nach Gerechtigkeit flehen oder vor Wut schäumend nach Rache schreien. Wie Scott seine Figuren nach und nach aus dem Schatten treten lässt ist à la bonne heure und beweist, dass ein und dieselbe Geschichte auch beim dritten Begutachten in kurzer Frequenz spannend sein kann. Wenn im letzten Drittel der letzte Stoß das Duell entscheidet, löst sich die vorher angestaute Anspannung und kommt gar einer Erlösung gleich.

Profitieren kann der Film dabei insbesondere von Scotts Vita, die sich über Dekaden erstreckt, in denen er verschiedenste Genres durchschritten hat. Wer sich die Epik von „Gladiator“, die technische Brillanz von „Der Marsianer“ und das unterkühlte Feingefühl von „Blade Runner“ in Kombination vorstellt, hat eine ungefähre Ahnung mit welcher Vehemenz „The Last Duel“ einem entgegentritt. Leise wenn es sein muss, blutig, ohrenbetäubend und schonungslos wenn es sinnvoll ist. Überzeugend gespielt vom gesamten Cast gleicht die Sichtung einem Galopp auf der Rennbahn der Emotionen – dabei hätte sich Scott mit Themen wie der weiblichen Selbstbestimmung, der Dekonstruktion von männlichem Ehrgefühl und deren Unvereinbarkeit miteinander auch tief ins Fleisch schneiden können; gerade in der heutigen Zeit, wo eingangs erwähnte Debatten die Gazetten bestimmen und die Opfer-Täter-Umkehr zum journalistischen Tagwerk gehört. Ist Letzteres meist der plumpe Versuch die Auflage zu steigern, ist das Begehr von Marguerite de Carrouges vergleichsweise bescheiden: sie will nur Gerechtigkeit. Koste es, was es wolle.

Fazit

Ridley Scott lässt in „The Last Duel“ mittelalterliches Erlebnis- und dramaturgisches Erzählkino auf dem Schlachtfeld aufmarschieren, zerrt mittels Perspektivwechseln an der Wahrheit und kürt schließlich einen überraschenden Sieger: den Zuschauer. Dieser erlebt vielschichtige Charaktere im blutigen Kampf um Ehre und Gerechtigkeit, dazu große Gefühle in noch größeren Bildern und nach kräftezehrenden 2,5 Stunden vor allem brutal starke Unterhaltung. Diese bricht ein ums andere Mal mit der Erwartung, ist aber rein thematisch – trotz Handlungszeitraum im 14. Jahrhundert – aktueller denn je. Chapeau Monsieur Scott!

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(86/100)

Bilder: (c) 20th Century Fox

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