Preisfrage: wie lange dauert es um einen Wes Anderson Film zu erkennen? Korrekte Antwort: Nicht länger als eine Szene. Als Gewinn für die richtige Antwort können wir zwar leider keinen Ausflug ins Grand Budapest Hotel spendieren, und auch eine Fahrt mit dem Darjeeling Express liegt bis dato außerhalb unserer finanziellen Rahmenbedingungen. Was wir anbieten könnten wäre allerdings eine Kritik zu Andersons neuem Werk: „The French Dispatch“.

von Cliff Brockerhoff

Klammert man “Isle of Dogs“, den animierten Ausflug des Texaners aus dem Jahre 2018 aus, besinnt sich sein aktueller Film wieder auf die eher traditionellen Stärken. Eine farblose Vintage-Optik küsst quietschbunte Bonbonfarben, schrullige Charaktere werden via tracking shot durch liebevoll ausgeschmückte Szenerien begleitet und Sehgewohnheiten immer wieder durch Zeichnungen, niedergeschriebene Erklärungen oder Rückblenden durchbrochen. Darauf aufbauend die Bonusfrage: worum geht es eigentlich?

Das lässt sich noch relativ leicht beantworten, auch wenn bereits an dieser Stelle angemerkt werden soll, dass „The French Dispatch“ wahrlich kein zugängliches Werk geworden ist. Den Titel verdankt der Film einer fiktiven Zeitschrift in Frankreich, die sich wöchentlich dem Weltgeschehen widmet. Egal ob politische Machtkämpfe, regionaler Tratsch oder kulinarische Empfehlungen – die Themengebiete sind breit gefächert und frei von sämtlichen Zwängen, ebenso wie man es von den Werken des Amerikaners gewohnt ist. Stars soweit das Auge reicht führen galant durch bittersüße Arrangements, erfreuen sich der zentralen Positionierung und spielen mit Freude groß auf. Alles wie gehabt also im Hause Anderson? Fast.

Denn Wes Anderson hat sich, entgegen der sonstigen, zusammenhängenden Herangehensweise diesmal für einen klar definierten Episodenfilm entschieden. Die grobe Rahmenhandlung rund um die letzte Ausgabe des Blattes hält das Ganze zwar mühsam zusammen, doch simultan zu dessen inhaltlicher Vielfältigkeit berichten auch die einzelnen Autoren, fernab jeglicher journalistischer Neutralität, von unterschiedlichsten Geschehnissen, die nicht immer zueinander finden. Psychopathische Maler treffen auf schweigsame Starköche, jäh unterbrochen von gelockten Freiheitskämpfern mit einer Vorliebe für Schach. Alles zusammen hätte eine brisante und höchst unterhaltsame Mélange werden können, aber weder das Leben, noch Filme funktionieren im Konjunktiv. So sehr sich Brody, McDormand, Chalamet oder Norton auch mühen; die auffälligen Abweichungen hinsichtlich des Amüsements bei der Betrachtung können auch sie nicht verhindern. Was in einem Magazin funktionieren mag, muss noch lange nicht für die große Leinwand gelten.

Dass auch der Film selbstverständlich trotzdem seine charmanten Momente hat, immer wieder mit herrlicher Situationskomik besticht und vor allem im ersten Kapitel so herzlich unberechenbar wie selten agiert, steht auf einem anderen Blatt. Hier sind ergänzend auch weitere, gute Performances vermerkt, ebenso wie die traumhaft gestalteten Kulissen. Auch diese gehen jedoch in der größtenteils in Schwarz und Weiß gehaltenen Optik unter, die zu selten vom lebhaften Treiben in der Redaktion akzentuiert wird. Der größte Kritikpunkt wird bei vielen höchstwahrscheinlich die abermals omnipräsente Stilversessenheit sein, doch diese wird im konkreten Fall vom süffisant romantisierten Kommentar auf den Journalismus von einst kompensiert. Anderson verlagert oft genug den Fokus auf seine Charaktere, gibt sich inszenatorischen Spitzfindigkeiten hin oder untermalt sein symmetrisches Treiben mit beschwingten Indie-Melodien. Stil und Substanz ergänzen sich etwas besser als sonst, bedauerlicherweise kann aber auch dieser Umstand nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Drehbuch seine virtuellen Tintenkleckse des Öfteren in der cineastischen Belanglosigkeit platziert.

Fazit

Auch „The French Dispatch“ ist unverkennbar Wes Anderson, lässt die detailverliebte Kreativität seines Schöpfers permanent zwischen den Zeilen aufblitzen, vergisst jedoch den malerischen Bildern im Angesicht seiner namhaft porträtierten Skurrilität auch eine ebenso bemerkenswerte Geschichte auf den Leib zu schreiben. Das qualitative Gefälle innerhalb schwankt von purer Kinomagie bis hin zur ermüdenden Lethargie und dient leider am Ende nicht zur Titelstory, sondern lediglich zur filmographischen Randnotiz.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

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Bilder: (c) 2021 Searchlight Pictures

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