Kate Winslet und Saiorse Ronan spielen in diesem Film von Francis Lee zwei einsame Seelen, die den Widerständen der Gesellschaft in der Liebe trotzen, erst widerwillig, dann feurig. All dies geschieht vor den dunklen Kulissen Englands im 19. Jahrhundert.
von Marius Ochs
Lee arbeitet hier verstärkt mit Kontrasten: Die Dame aus der gehobenen Gesellschaft (Ronan) – blass, kränklich, schwach, aber auch schön, lebensfroh und mutig. Ihr Gegenpart: Eine Archäologin (Winston), die in der von Männern dominierten Wissenschaft einen guten Ruf, aber keine öffentliche Anerkennung hat. Ihre Mundpartie zeigt erbarmungslose Härte, während die Augen eine sehnsüchtige Angst ausstrahlen.

Die beiden Frauen, die sehr unterschiedliche Formen von Weiblichkeit darstellen, sind in der kalten und beschwerlichen Außenwelt nur durch Blicke verbunden, finden in der Wärme des Kerzenlichts jedoch zueinander. Erst schüchtern, dann immer wilder, was von Lee auch in einer sehr grafischen Sexszene verarbeitet wird, die den Höhepunkt dieser sonst sehr sanften Beziehung darstellt.
Doch man merkt der Geschichte jederzeit an, dass sie konstruiert wurde. Es stellt sich keine Natürlichkeit ein. Zu offensichtlich sind die Charaktere gezeichnet, insbesondere Ronans junge Lady ist selten mehr als ein wandelndes Klischee. Beim Versuch einen Eimer Kohle anzuheben, fällt sie beispielsweise einfach um. Ein vermeintlicher Versuch ihre Fragilität in Kontrast zur Stärke von Winslets Charakter zu setzen. Durch die übertriebene und klischeehafte Darstellung lädt diese Szene aber letztlich eher zu einem Augenrollen als zu einer echten Gefühlsregung ein.
Leider führt diese Einseitigkeit dann auch dazu, dass der Zuschauer nur schwerlich eine emotionale Bindung aufbauen kann. Anders verhält es sich zum Glück bei Winslets Charakter: Sie spielt die ältere, harte Arbeiterin. Überzeugend in ihren differenzierten Facetten zwischen Poesie und Geologie. Wie in ihrem Gesicht die Verbissenheit durch die Beziehung zur wesentlich jüngeren Liebschaft einer vorsichtigen Verletzlichkeit weicht, ist grandios gespielt und erweist sich als emotionaler Ankerpunkt.
Das Gefühl, all das schon einmal gesehen zu haben – nur besser – hält sich jedoch hartnäckig. So bleiben Überraschungen aus und man wird nicht wirklich vom Feuer der Beziehung angesteckt. „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ und Lees „God’s own country“ sind da die wesentlich besseren Werke. Doch wem das Genre zusagt, der wird auch mit „Ammonite“ seinen Spaß haben. Winslets Performance, die gelungene Atmosphäre und schöne Bilder mit einigen sehr poetischen Einstellungen machen den Film zu einem schönen Erlebnis, wenn auch keinem Meisterwerk.

Fazit
Keine Kopie, aber sehr nah dran an „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ist Francis Lees „Ammonite“ ein Film ohne jegliche Überraschungen. Für Fans des Kostümdramas mit emanzipatorischem Einschlag bietet er neues Genre-Futter. Für alle anderen eine starke Performance von Kate Winslet und atmosphärische Bilder eines kalten, nassen und windigen Großbritanniens. Doch Lee selbst hat diese mit „God’s own country“ bereits besser inszeniert. So bleibt „Ammonite“ nett, aber blass, insbesondere im Angesicht der mehr als deutlich zu erkennenden Referenzen. Ab dem 04. November im Kino!
Bewertung
(62/100)
©TOBIS Film GmbH
Wieder mal ein Lesbenfilm. Wie herzig. Früher einmal – z. B. bei Aimée & Jaguar – hatte man bei solchen Themen (wie auch bei “Nicht der Hommosexuelle ist pervers…”) das Gefühl, es ist ein Filmthema wie jedes andere auch. Jetzt schwebt über allem der moralische Zeigefinger und die Schwaden der gewollten Diversität, der Multikulturalität, etc., also der wahren Haltung, durchwabbern solche Filme, getragen von Akteuren, die dadurch beweisen wollen, dass sie “woke” sind. Wenn ich Kostümdramen sehen will, dann ziehe ich Jane Austen vor oder “Barry Lyndon”. Und, ganz im Ernst: eine lesbische Archäologin im viktorianischen England? Warum nicht gleich eine Fantasygeschichte?