von Paul Kunz

Film plus Kritik: Hallo, Harry! Mich interessiert sehr was der Startpunkt für „Supernova“ gewesen ist. Wolltest du eine Liebesgeschichte erzählen oder eine Geschichte über Demenz?

Harry Macqueen: Der Film ist eine Liebesgeschichte im Kontext von Demenz. Das ist eine wichtige Unterscheidung für mich, weil der Film im Kern nicht von Demenz handelt, sondern von Liebe.

Das Projekt ist zum Leben erwacht, weil ich einige Jahre ehrenamtlich bei einer Demenz-Organisation in London gearbeitet habe. Ich habe dort Menschen kennengelernt, die mit vielen verschiedenen Arten von Demenz leben, einige von ihnen wurden auch gute Freunde. Die Idee zum Film ist aus diesen Begegnungen entstanden. Und ich hoffe wirklich, er wird den Erfahrungen von Menschen gerecht, die mit Demenz leben.

Film plus Kritik: Die Protagonisten des Films sind zwei schwule Männer. Ich persönlich finde sehr erfrischend, dass der Konflikt des Films aber nichts mit ihrer sexuellen Orientierung zu tun hat, sondern anhand gleichgeschlechtlicher Liebe eine sehr universelle Geschichte erzählt. War es von Anfang an klar, dass zwei Männer die Protagonisten sind?

Harry Macqueen: Ja, das war schon sehr früh im Prozess klar. Deine Bemerkung freut mich sehr, denn genau das wollte ich erreichen. Ich wollte eine reife Liebesgeschichte zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts erzählen, in der die sexuelle Orientierung keine Auswirkung auf die Handlung hat. Nichts ist progressiver als zwei Menschen zu zeigen, die einander lieben und nur das zu zeigen. Politik braucht da nicht involviert zu sein. Ich bin sehr stolz darauf, wie der Film damit umgeht und welche Bedeutung er für die Community hat. Der Film wurde von Menschen auf der ganzen Welt so herzlich rezipiert – auch an Orten, an denen man es nicht erwarten würde. Das halte ich für eine echte Errungenschaft.

Harry Macqueen; Quelle: Imdb

Film plus Kritik: Ich fand die Chemie zwischen Stanley Tucci und Colin Firth irrsinnig gut spürbar. Man fühlt, dass das eine über Jahre gewachsene Beziehung ist, in der viel Vertrauen steckt. Wolltest du die beiden von Anfang an für die Rollen?

Harry Macqueen: Stanley hat das Drehbuch gelesen und hat es geliebt. Wir haben uns getroffen, sehr gut verstanden und haben auch darüber gesprochen, wer die zweite Hauptrolle spielen könnte, wenn Stanley zusagen sollte. Er hat Colin vorgeschlagen. Er sagte: „Colin ist mein bester Freund und wenn du möchtest, können wir ihm das Drehbuch zukommen lassen.“ Klarerweise meinte ich, dass mich das sehr freuen würde. Dann hat sich herausgestellt, dass Stanley ihm das Drehbuch bereits geschickt und Colin es bereits gelesen hatte. Und er fand es ebenfalls toll!

Eine so nuancierte und intime Beziehung von zwei Schauspielern performen zu lassen, die im echten Leben beste Freunde sind und einander wirklich lieben, ist absolut außergewöhnlich! Und jetzt kann ich mir keine zwei anderen Schauspieler vorstellen, die das so gekonnt hätten. Sie sind beide auch phänomenale Schauspieler, aber weil sie einander schon seit Jahren kennen und vieles gemeinsam durchgemacht haben, konnten sie das in den Film miteinbringen. Das halte ich für einen wichtigen Bestandteil.

Film plus Kritik: Als du Stanley angesprochen hast, war dir da schon klar, wen er spielen würde?

Harry Macqueen: Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, es wäre klar! (lacht) Aber eine Woche später haben mich Colin und Stanley angerufen und meinten, sie hätten eine Art Durchbruch gehabt, als sie das Drehbuch gemeinsam gelesen haben und würden das gerne mit mir besprechen. Sie haben das Drehbuch mit vertauschten Rollen gelesen. Es war sehr interessant zu sehen, wie sich die Dynamik dadurch in eine andere Richtung bewegte. Und das haben wir beibehalten!

Film plus Kritik: Ach, also habt ihr die Rollen dann vertauscht?

Harry Macqueen: Ja, das war sehr früh im Prozess. Ganz zu Beginn hätten sie die jeweils andere Rolle spielen sollen. Es ist spannend – etwas an der Energie der Figuren, wie sie im Drehbuch geschrieben waren, hat sich erst formiert, als wir die Rollen neu aufteilten. Da muss man seinem Instinkt vertrauen. Und es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung!

Film plus Kritik: Es gibt derzeit eine Diskussion darüber, ob heterosexuelle Schauspieler überhaupt queere Rollen spielen sollten. Was hältst du von dieser Diskussion?

Harry Macqueen: Was mir am wichtigsten ist, ist die Integrität des Projekts. Es ist eine schwierige und komplexe Debatte und einer der Gründe, warum wir so lange darüber diskutieren, ist, dass es keine definitive Antwort auf diese Frage gibt. Ich denke, Filme muss man von Fall zu Fall betrachten. Im Fall von „Supernova“ spielen Colin und Stanley diese Rollen mit so einer Tiefe und Integrität, dass es mir persönlich egal ist, ob sie hetero sind oder nicht.

Repräsentation ist selbstverständlich wichtig, aber Repräsentation kann viele verschiedene Formen annehmen und ich denke, dass man manchmal nicht alle Kämpfe gewinnen kann. Ich glaube fest daran, dass als Regisseur deine Tür für alle offenstehen muss. Gleichzeitig kann es sinnvoll sein, den ökonomischen Aspekt des Filmemachens miteinzubeziehen, auch wenn ich mich darin nicht gerne involviere. Und wenn man zwei Schauspieler mit der Bekanntheit von Stanley und Colin in seinem Film hat, werden mehr Menschen diesen Film sehen – was bedeutet das wiederum für die Repräsentation auf der Leinwand? Ich kann es zwar nicht mit Sicherheit sagen, ich denke aber, dass die Bekanntheit von Stanley und Colin dazu beigetragen hat, dass dieser Film auf der ganzen Welt vertrieben wird, abgesehen vom mittleren Osten und China. Der Film wurde immerhin größten Kino im innerstädtischen Moskau gezeigt!

Film plus Kritik: Der Film beschäftigt sich auch mit würdevollem Sterben und Sterbehilfe. War es dir ein großes Anliegen, hier ein Statement zu machen?

Harry Macqueen: Ja, das war sehr wichtig für mich. Ich habe im Zuge meiner Recherche für den Film viel Zeit mit Menschen verbracht, die akut mit dem Tod konfrontiert waren. Daraus erwächst eine Konversation darüber, welche Handlungsmacht wir haben und welche Wahlmöglichkeiten uns erlaubt sind, wenn es um die Beschaffenheit und den Zeitpunkt des eigenen Todes geht. Ich kann da nur über das Vereinigte Königreich sprechen, wo die Gesetze diesbezüglich lächerlich sind, Schaden verursachen und durch und durch unmoralisch sind. Wir bringen den Film aktuell ins britische Parlament und versuchen ihn zu benutzen, um die Gesetzeslage zu ändern.

Ich habe mit jemandem zusammengearbeitet, dessen Ehemann dement war und sich das Leben genommen hat. Er musste das im Geheimen tun, er musste seine Frau anlügen. Das ist die Lage, in die Menschen gebracht werden. Darüber wollte ich unbedingt sprechen. Wenn man in einem Land lebt, das sich selbst als modern und progressiv versteht – obwohl, wer weiß schon, was nach dem Brexit unser Selbstverständnis ist – dann kann man Menschen nicht in so eine Situation bringen.

Film plus Kritik: Es gibt eine Szene im Film, in der Stanley Tuccis Figur Tusker von sterbenden Sternen spricht, deren Materie Teil verschiedenster Dinge und Lebewesen wird. Das lässt sich als Metapher dafür deuten, was mit Tusker als Figur passiert. Kannst du die Bedeutung des Titels „Supernova“ weiter ausführen?

Harry Macqueen: Ja, im Wesentlichen ist es eine Metapher für Stanley Tuccis Figur und auch für die Beziehung. Ich finde nie besonders gute Worte dafür, aber ich sage immer, dass Tusker stets die hellste Sache in jedem Raum ist. Die Leute kommen zu ihm, er ist das Leben und die Seele jeder Party. Jetzt ist er dabei zu sterben und dieses Licht wird gedimmt wie bei einem Stern, der keine Energie mehr hat. Ich wusste immer, dass „Supernova“ ein in sich geschlossener, intimer kleiner Film werden würde. Trotzdem wollte ich, dass er eine gewisse Größe, eine gewisse Tragweite hat. Und ich denke, dieses Element erlaubt es dem Film in einer größeren Sphäre zu existieren als es ihm sonst möglich gewesen wäre.

Film plus Kritik: Die Kameraarbeit im Film ist wunderschön! Auf der einen Seite sind die weiten Landschaften sehr stimmig eingefangen, auf der anderen Seite gibt es diese intimen Momente mit Tucker und Sam im Wohnmobil – ein Kontrast, den ich sehr spannend fand.

Harry Macqueen: Der Film handelt sowohl von der Mikro-, als auch von der Makroebene. Wie ich vorhin sagte, ist er intim und klein und doch in einer viel größeren Umgebung verortet, sowohl buchstäblich als auch metaphorisch. Insofern ergibt es für mich Sinn, diese beiden Ebenen zu nutzen. Außerdem liebe ich es Figuren aus ihrer gewohnten Umgebung zu heben und sie in diese Landschaften zu versetzen, das finde ich inspirierend. Wenn man ein Road Movie macht, ist das besonders augenscheinlich: Die Landschaft wird dort im Idealfall eine eigenständige Figur im Film. Unsere Drehorte hatten so eine enorme Größe und auch Gefahr, während sie gleichzeitig intim und romantisch sind. Ich hoffe, wir haben all diese Qualitäten eingefangen, die dabei helfen das Drama zu akzentuieren. Aber ich hatte ja das große Glück mit Dick Pope, einem der großartigsten Kameraleute der ganzen Welt, zu arbeiten!

Film plus Kritik: Ganz praktisch gefragt – ich stell es mir schwierig vor in einem so winzigen Raum wie in einem Wohnmobil zu drehen. Wie geht man das an?

Harry Macqueen: Am vernünftigsten wäre es wahrscheinlich gewesen, das ganze Ding im Studio zu drehen, wo man die Wände abmontieren kann. Aber das haben wir nicht getan, ganz im Gegenteil. Es gab nicht viel Platz und das hat einfach die Art und Weise geprägt, wie wir gedreht haben. Wir haben es uns so schwer gemacht, weil wir wussten, dass die Geschichte nicht funktioniert, wenn sie nicht authentisch ist. Und am authentischsten ist es gemeinsam mit den Figuren in diesem Raum zu sein, anstatt eigenartige Kamerawinkel zu nutzen, die nur möglich sind, weil man eine Wand abmontiert hat. Mit Einschränkungen zu arbeiten, kann sehr befreiend sein. Aber… ja, es war unfassbar schwierig! (lacht)

Film plus Kritik: Was steht als Nächstes bei dir an? Hast du schon ein neues Projekt geplant?

Harry Macqueen: Ich bin gerade dabei einen neuen Film zu schreiben. Vielleicht habe ich auch die Möglichkeit etwas für’s Fernsehen zu machen, aber ehrlicherweise ist Film mein Ein und Alles. Ich versuche auch die Rechte für ein Roman zu kriegen- also ja, ich schreibe sehr viel im Moment!

Film plus Kritik: Vielen Dank für das Gespräch! Hab noch einen schönen Tag!

Das Interview fand am 20.10. via Zoom statt.

Bilder: © 2020 British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Supernova Film Ltd.