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„Drag Racing als puristisches Manifest“: Interview mit Regisseur Arthur Summereder zu „Motorcity“

Mit „Motority“ präsentierte Regisseur Arthur Summereder bei der Diagonale und beim Crossing Europe 2021 sein Langfilmdebüt. Der Dokumentarfilm befasst sich mit der US-amerikanischen Faszination „Drag Racing“ und seinen Auswüchsen in der „Motorstadt“ Detroit. Summerder destilliert daraus eine filmische Meditation über ur-amerikanische Werte, Ideale und Mythen, Film plus Kritik bringt den Film in Ko-Produktion mit Kuratorin Lotte Schreiber in die Breitenseer Lichtspiele in Wien und damit erstmals regulär ins Kino (Termine siehe unten). Wir baten den Regisseur zum ausführlichen Interview zu seinem Film.

von Christian Klosz

Film plus Kritik: Woher und wie kam die Idee, „Drag Racing“ zu dokumentieren und zu analysieren?

Arthur Summereder: Die Rolle des Autos in unserer Gesellschaft interessiert mich schon immer. 2014 war ich zum ersten mal in Detroit, da fielen mir Straßenabschnitte mit extrem viel Reifenabrieb auf. Das ergab ein schönes Muster in der sonst recht kargen Stadt und weckte Assoziationen – hier war etwas los. Die Spuren waren wie Relikte einer verborgenen Handlung bei der viel Lärm und Kraft im Spiel gewesen sein musste. Mir wurde dann gesagt, dass es sich um Spuren nächtlicher, illegaler Autorennen handelte, wobei ich anfangs tatsächlich verwundert war, wie man auf einem rechtwinkligen Straßen-Grid überhaupt sinnvoll autorennfahren könnte. In meiner Vorstellung brauchte es dafür eine Strecke mit unterschiedlichen Kurven usw. In der Motorcity Sports Bar sah ich dann beim Burgeressen öfters Fernsehübertragungen von diesen Beschleunigungsrennen. In der Monstrosität des medial vermittelten Spektakels dämmerte mir wahrscheinlich, dass dieses Phänomen eine nähere Betrachtung verdient hätte, gerade weil es mir damals unheimlich absurd vorkam. Noch absurder ist nur mehr der Gedanke, diesem wenige Sekunden dauernden Vorgang einen langen Film zu widmen. Aber Drag Racing als Topos, mehr oder weniger im Vordergrund stehend, zieht sich durch viele Bereiche US-Amerikanischer Populärkultur, auch der Filmgeschichte.

Der Regisseur; © Diagonale/Lilly Mörz

Wie war das mit der Einreise in die USA? War es für die Behörden dort wirklich so schwer zu glauben, dass jemand aus Europa sich für „Beschleunigungsrennen“ interessiert? Hattest du tatsächlich Probleme bei der Einreise?

Ja, ich schrammte knapp an einem Einreiseverbot vorbei. Die Zöllnerin fand meine Geschichte unplausibel, ich war einfach zu oft hintereinander als Tourist eingereist. Ich hoffe die Szene behält ihren Witz, die Auflösung ist kein Filmspoiler: Es gab da in der Ankunftshalle ein unscheinbares, fast schon armselig wirkendes Kamerateam, das Reisende vergeblich um Erlaubnis bat, deren Befragung durch die Grenzbeamten filmen zu dürfen. Aus Kollegensolidarität und weil ich dachte, sie müssten sonst noch Wochen in diesem Flughafenterminal verbringen, ließ ich sie ihr Ding drehen. Die Zöllnerin wollte vor der Kamera gute Arbeit leisten und kombinierte, dass ich wohl nicht ausschließlich als Tourist so oft nach Detroit käme, das sei hier schließlich nicht Florida oder Las Vegas. In der Folge fand sie Audio-Equipment in meinem Koffer, dafür aber keine Unterwäsche (weil ich dort eine Art Zweitwohnsitz aufgeschlagen hatte, eine Erklärung die alles noch schlimmer gemacht hätte).

Das war ihr alles sehr verdächtig. Den peinlichen Unterhosen-Moment fanden die Cutter der TV-Show für die diese Bilder gedreht wurden natürlich toll – so auch die Drag Racing Community in Detroit, als die Sendung dann ausgestrahlt wurde. Mir war nicht so bewusst, dass unsere Dreharbeiten, obwohl im Kleinst-Team, teils alleine, doch Aufsehen in der lokalen Renn-Gemeinde erzeugten. Alleine die Tatsache, dass jemand aus Europa immer wieder hier herkommt weil er sich für Drag Racing interessiert. Ich kannte zuletzt einige, mich kannten aber alle. Die Sendung läuft übrigens immer noch ab und an im Fernsehen, auch auf Netflix. Ich glaube sie heißt „Americas Front Line“ oder so ähnlich. Vor einem Monat erzählte mir mein Bruder, dass ihn ein besorgter Freund angerufen hätte, ob ich in amerikanischen Schwierigkeiten stecken würde…

Was war die Überlegung hinter der Entscheidung, den Film selbst mit deiner eigenen Stimme erzählerisch zu begleiten?

Das wurde auch kritisiert, ich selbst kann schwer beurteilen wie angenehm oder irritierend diese Stimme klingt. Mir schien es einfach stimmiger. Auch weil die Versuchung zu groß war, das Material aus dieser Fernsehsendung mit der Szene des Ankömmlings zu verwenden. Der Film wurde so gewissermaßen mit einem Meta-Protagonisten ausgestattet, der Figur des Filmemachers, der gleich am Anfang nicht nur kurz zu sehen sondern auch zu hören ist. Der Erzähler musste natürlich mit diesem Ankömmling ident sein. Aber mehr noch als das, war mir ein Anliegen, diese erzählerische Begleitung als subjektiven Kommentar zu kennzeichnen. Ein mitteleuropäisch geprägter Blick kommt nach Michigan, beobachtet lokale Bräuche und macht sich einen Reim darauf. Mit einem geschulten Sprecher wird dieser Reim leicht zu einer Wahrheit, einer Masterinterpretation – so sollte das keinesfalls klingen.

„Drag Racing als puristisches Manifest“: Kannst du diese Aussage, die im Film getätigt wird, ausführlicher erläutern?

Die Idee vom Purismus als etwas Erstrebenswertes entstand in der Moderne. Eine Gruppe um Le Corbusier formulierte ein entsprechendes Manifest. Darauf bezieht sich dieser Satz. Man war gegen alles Ornamentale, interessierte sich für Maschinen, hatte eine neue, rationalere Welt vor Augen. Paris sollte abgerissen und neu aufgebaut werden, autogerecht und rechtwinklig. Hinter der modernen Faszination, Dinge auf ihre pure Essenz zu reduzieren, steht eine Art Wahrheitssuche. Der Wunsch das Wesen einer Sache herauszuarbeiten, indem man das Wesentliche vom Unwesentlichen abtrennt. Diese Operation hat ambivalente Aus- und Nebenwirkungen. Besonders in der Architektur der Moderne, natürlich auch in der Malerei etc. führte der Verzicht auf Unwesentliches zu Großartigem.

Aber vom Purismus ist es nicht mehr weit zum Puritanismus, der von einer totalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche träumt. Die sogenannten Gründungsväter der USA wurden ja als Puritaner beschimpft und verjagt, das war selbst den Protestanten zu viel oder besser zu wenig… Um noch einmal auf den Architekturvergleich zurück zu kommen: Meiner Ansicht nach hat sich Adolf Loos in seiner Schrift vom Ornament als Verbrechen verrannt. Zumindest wenn er das wirklich ganz ernst meinte, was ich bezweifle, wenn ich mir seine Häuser genauer ansehe. Das Verbrechen des Ornaments bestünde in der Verschwendung – schreibt er. Seine Häuser baut er aber großzügig, bloß verschwendet er sich nicht in Gips-Ornamentalität, sondern eleganter. Drag Racing wirkt für mich auf den zweiten Blick wie ein ähnlich gelungenes puristisches Manifest wie Loos’ Häuser (nicht wie seine Schriften!). Eine treffende formale Abstraktion von „um die Wette Fahren“.

Im Gegenzug dazu bestehen die Rennstrecken der Alten Welt quasi aus Ornament, sie bestehen aus bestimmten Kurven mit legendären Namen und sind damit gebunden an einen bestimmten Ort. Beim Drag Racing ist diese Verbindung zu einem bestimmten Ort aufgelöst, es handelt sich um eine Linie als Abstraktion von Raum ohne bestimmten Ort. Ich denke daraus spricht ein Welt-Bezug, der für US-Amerikaner:innen maßgeblich ist, für Europäer:innen aber schwer fassbar. Ich hoffe das war nicht zu ausführlich!

Keineswegs. Ich hätte eine weitere Frage, die da anknüpft – „Drag Racing“ als Komprimat des „American Dream“ von Landgewinnung, Bewegung, Geschwindigkeit, aber auch Freiheit und „Outlaw-tum“: Wie passen solch anachronistische Ideale in die heutigen, stark veränderten (Un-)Vereinigten Staaten, die ihre eigenen Gründungsmythen derzeit stark reflektieren, problematisieren und teilweise diskreditieren und zurückweisen?

Ich fände es anmaßend von meinem Standpunkt aus eine Diagnose abzuliefern, wie es um diese Ideen im gegenwärtigen Selbstverständnis der US-Amerikaner:innen bestellt ist. Aber während meiner Recherche und den Dreharbeiten schienen mir diese Konzepte die Du ansprichst im Drag Racing jedenfalls enthalten zu sein. Mir schien, man käme ohne diesen Ideenhintergrund nicht auf so etwas wie Drag Racing. Ich hatte mich bis dahin nicht eingehender mit der US-amerikanischen Geschichte beschäftigt. Die USA kommen einem als Europäer durch das Kino, die Musik usw. sehr vertraut vor, zumindest aus der Distanz.

Johan Huizinga sagte ausgehend von seiner eigenen Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand USA, dass man das Gefühl habe, man würde durch ein Fernglas schauen und vergeblich versuchen dieses scharf zu stellen. Beim Nachdenken über Drag Racing in seiner dort breit geteilten Faszination und Akzeptanz in den USA, seiner Verwobenheit mit deren Populärkultur dämmerte mir zunehmend, wie fremd mir dieses Land tatsächlich ist.

Wenn das „Drag Racing“ ein (ur)amerikanischer (Renn)Sport ist, was wäre das europäische Äquivalent dazu?

Rallye Sport. Der ist ähnlich verwurzelt in der europäischen Alltagskultur, in Form von illegaler Raserei, aber auch innerhalb der offiziellen Wettbewerbe gehen viele Amateure an den Start. Und die Ikonen der europäischen Autoindustrie mussten sich vor allem in dieser Art des Fahrens beweisen. Die technische Raffinesse einer Citroën DS (übrigens ein sehr erfolgreiches Rallye-Fahrzeug) liegt im Fahrwerk, nicht so sehr im Motor. Es geht um Hindernisbewältigung, der Akzeptanz von historisch gewachsenen Strukturen (den kurvigen Straßen im Hinterland von Monte Carlo), in deren Tradition man sich fortbewegen muss.

Gibt es Gedanken und Überlegungen hinsichtlich des Umweltschutzes bzw. des Klimathemas von den Drag Racern? Immerhin verbrennt so ein Motor, wie ich im Film gelernt habe, innerhalb weniger Sekunden 50 Liter Benzin – nicht gerade „umweltfreundlich“…

Eigentlich nicht. Wobei Johnny Quick einmal in meine Richtung spottete, dass er, der in seinem Leben nie ein Flugzeug besteigen wird, mir gegenüber, der alle paar Wochen über den Atlantik fliegt, sehr viel Autofahren dürfte, bevor ich ihm dafür einen Vorwurf machen könnte. Aber ich denke, von dieser Anekdote abgesehen, dass vielleicht gerade im Feiern und Zulassen des Exzesses ein Ausweg aus der wahnwitzigen Normalität liegen könnte, mit der wir unseren Planeten gegen die Wand fahren. Rituale, in denen Prinzipien, moralisch sinnvolle Imperative wie etwa ein ressourcenschonender Lebensstil, für einen Moment ausgehebelt sind, stellen ein menschliches Grundbedürfnis dar. Nach dem Kunstbegriff von Schiller, den ich absolut unterschreiben würde, liegt darin die gesellschaftliche Funktion der Kunst, vielleicht teilweise auch des Sports. Ich denke es ist besser, an einigen Wochenenden auf einmal 50L Benzin in einer rituellen Handlung zu verheizen als täglich mit einem Elektro-SUV aus dem Speckgürtel ins Innenstadt-Büro zu gondeln. Der schlimmere Wahnsinn liegt in beiläufiger Komfortbedürftigkeit, nicht im Exzess.

Ist der „Drag Race“-Kult und alles was damit verbunden ist aus deiner Sicht nur noch ein Überbleibsel aus einer (verklärten?) Vergangenheit, in der in der USA alles besser war, oder gibt es Anknüpfungspunkte, ihn und alle assoziierten Mythen in eine Zukunft zu tragen? Gibt es also die Möglichkeit einer „Renaissance“, kann man damit wirklich „immer wieder von Neuem“ beginnen, wie es im Film auch heißt?

Interessante Frage. Man könnte vielleicht sagen, dass Mythen erst entstehen wenn sich die alltägliche Lebenswelt von der im Mythos enthaltenen Idee entfernt hat, je weiter weg, desto mächtiger, attraktiver der Mythos. Derjenige vom Land der großen Freiheit ist vielleicht so eine Figur, die in der Lebensrealität von verschiedenen Seiten vermehrt unter Druck gerät. Wenn also etwas dran ist an der Behauptung in „Motorcity“, dass Drag Racing von solchen Dingen handelt, dann ist Drag Racing der Ort, an dem diese Ideen überleben, oder Wochenende für Wochenende wieder auferstehen. Mit dem Auto ungebremst durch die Landschaft fahren ist die Parademetapher für Freiheitsgefühl, naheliegend, dass Ressorts entstehen, wo man diese Metapher grenzenlos abfeiern kann. Das knüpft auch wieder an den von mir favorisierten Schiller’schen Kunstbegriff an. Im Sinne von „Wir alle wissen wohl, dass wir am Drag Way ein Spiel von der absoluten Freiheit spielen und wir wissen dass diese außerhalb dieses Spielplatzes nicht existiert…“

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Spieltermine in den Breitenseer Lichtspielen / Wien:

11.11. 19:00 inkl. Filmgespräch mit Lotte Schreiber

22.11. 19:00

23.11. 19:00

Tickets

Bilder: (c) sixpackfilm

Das Interview fand vergangene Woche schriftlich statt.

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