Website-Icon Film plus Kritik – Online-Magazin für Film, Kino & TV

„The Power of the dog“ – Kritik

Vielfach tot geglaubt, ist der Western eines der ältesten und prägendsten Genres, das seine Blütezeit über mehrere Jahrzehnte Mitte des 20 Jahrhunderts verzeichnete. Wo früher die Eroberung von unbesiedeltem Land, die Durchsetzung von Recht und Ordnung oder die Konfrontation von Neuankömmlingen und Ureinwohnern zentrale Geschichten waren und dabei nicht selten von Cowboys, Sheriffs, gezückten Colts und heftigen Schießereien begleitet wurden, bringt die Netflixproduktion „The Power of the Dog“ einmal mehr die Wandelbarkeit dieses markanten Genres hervor. Basierend auf dem 1967 erschienenen Roman von Thomas Savage, nähert sich neue Werk von Regisseurin Jane Campion, deren letzter Langfilm über 10 Jahre zurückliegt, seiner Thematik in den beeindruckenden Weiten einer wilden und harschen Berglandschaft ziemlich genreuntypisch: ergreifend sanft, unfassbar subtil und überraschend zeitgenössisch.

von Madeleine Eger

Seit 25 Jahren betreiben die Burbank Brüder die Ranch in Montana. Während Phil (Benedict Cumberbatch) sich um die Herde kümmert, pflegt George (Jesse Plemmons) die nötigen Geschäftskontakte. Als George allerdings Rose (Kirsten Dunst) kennenlernt, sie heiratet und diese mit ihrem Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) in das gemeinsame Haus der Brüder einzieht, gerät die strukturierte Welt des Cowboys ins Wanken. Denn dieser sieht sich allmählich Gefühlen ausgesetzt, die er nicht grundlos verborgen hielt.

Riesige Wolken treiben unter der Sonne Montanas ihre dunklen Schatten über die nahe Bergkette. Das große Haus der Ranch thront förmlich in der goldglänzenden Ebene, in der sich das Steppengras spielerisch und hypnotisch durch den Wind wiegt. Obwohl Phil und George eine große Herde Kühe betreuen und sich etliche Männer an der Arbeit beteiligen, ist die Abgeschiedenheit und Einsamkeit in der scheinbaren Idylle spürbar. Atemberaubende, leuchtende Bilder der Landschaft stehen schon in den ersten Minuten im starken Kontrast zu dem dunklen Interieur des Ranchhauses, das erdrückend, kühl und mächtig erscheint. Das Setting des Westerndramas ist nicht der einzige Gegensatz, der in „The Power of the Dog“ eindrucksvoll bebildert wird und dem durch die starke Bildsprache eine sehr viel tiefere Bedeutung zugeschrieben werden kann.

So ist „The Power of the Dog“ ein Film voller Ambivalenzen, die seine vier Hauptfiguren in verschiedenen Konstellationen gegenüberstellt und bedächtig ihre charakterliche Komplexität mittels der visuellen und akustischen Gestaltung entfaltet. Die Ungleichheit der Brüder, aber auch der schwelende Zwist zwischen den gegensätzlichen Figuren Rose und Phil lässt sich beispielsweise aus dem begleitenden Klavier und den Streichinstrumenten ablesen. Die Diskrepanz, die der grobe, aber dennoch charismatische Manndabei tief in sich drin trägt, wird mit dem fantastischen Score von Jonny Greenwood besonders deutlich. Greenwood, der schon für „The Master“ und „Der Seidene Faden“ die Musik komponierte, kreiert vielfach akustische Augenblicke, die Angst schüren, Schmerzen aufspüren, die einen innerlich fast zerreißen oder eine schwere Melancholie und Trauer zu Tage fördern, mit der man angesichts des unnahbaren Charakters kaum gerechnet hätte.

Denn Phil, der sich kaum mit Menschen abgibt, wenn es nicht der Arbeit wegen sein muss, scheint es schwerzufallen mit der Vergangenheit abzuschließen, mit Verlusten umzugehen und versteckt sich auch deshalb hinter einer Fassade aus Argwohn, Spott und unterkühlter Distanz. Erst als dieser beispielsweise ein Seil flechtet und er die Lederstreifen energisch, aber mit Gespür für das Material ganz dicht an seiner Hüfte entlang zieht oder er Zeit allein am See verbringt und die Kamera diese Momente mit spürbarer Intimität einfängt, entschlüsselt sich eine streng unterdrückte Leidenschaft, Feinfühligkeit und sogar Sinnlichkeit. Dass sein verstorbener Mentor Bronco, durchaus mehr als ein Freund gewesen zu scheint, klingt in „The Power of the Dog“ vielmehr zwischen den Zeilen an, als das der Film Wege wie „Brokeback Mountain“ einschlägt und offener die Sexualität seiner Figuren diskutiert. Aus vielen kleinen Puzzelteilen, wie einem queeren Magazin oder dem genießerischen Augenblick mit einem Stück Stoff, formt sich ein Bild eines Mannes, der ein Geheimnis behütet, dessen Zurückhaltung, Unnahbarkeit und Vorstellung von Männlichkeit hierdurch an Klarheit gewinnen.

Umso deutlicher die Sicht auf Phil wird, umso schmerzhafter werden die Interaktionen zwischen ihm und seinen Mitmenschen. Die drohende Präsenz, die der Cowboy mitbringt und manchmal nur flüchtig in Form von auftreffenden schweren Stiefeln auf dem kalten Holzfußboden eingefangen wird, sorgt für Verunsicherung, Hilflosigkeit und sogar nackte Angst. Eine zuweilen beklemmende Dynamik entwickelt sich, die die Regisseurin unterbricht und einen überraschenden Bogen zu ihrem kurzen Anfangsmonolog spannt, der aufgrund der sensiblen und aufmerksamkeitsfordernden Erzählung schon fast in Vergessenheit geraten ist. Denn während man sich gemächlich durch die Weiten von Montana hat geleiten lassen und Zeuge eines Zusammenspiels von Charakteren wird, die allesamt mit unterdrückten Emotionen zu kämpfen haben und nie die Möglichkeit finden ihre Gefühle klar zu kommunizieren, steuert „The Power of the Dog“ auf ein heimtückisches Ende zu, mit dem man in der Form nicht mehr gerechnet hätte.

Fazit

„The Power of the Dog“ ist ein fordernder Film, der seinen vielschichtigen Kern hinter atemberaubenden Bildern und etlichen kleinen Gesten nahezu versteckt. Jane Campion arbeitet subtil zwischen den Zeilen, um ein grandioses, zu tiefst ergreifendes Drama zu erschaffen, das auf ganz eigene Weise vom Gefangensein in ländlicher Freiheit erzählt. Seit 19.11. im Kino, ab 1.12. auf Netflix.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

Bild: (c) Netflix

Die mobile Version verlassen