Gewissen Filmen eilt ihr Ruf voraus. Ob nun dem französischen Terrorkino oder dem serbischen Kulturgut entsprungen, bestimmte Titel werden mit gleichbleibender Begeisterung nahezu täglich in Horrorforen und -gruppen von Anhängern und Schaulustigen diskutiert. Kalkulierte Grenzüberschreitung als Verkaufsargument – eine Strategie, die insbesondere aufgrund ihres Konfliktpotenzials funktioniert. Beim taiwanesischen Vertreter „The Sadness“ ist der Fall etwas anders gelagert, wurde er doch bisher lediglich auf ausgewählten Festivals einem kleineren Publikum präsentiert. Der große Hype steht also noch bevor.

von Cliff Brockerhoff

Der Grundtenor ist aber derselbe. Angefacht von Querelen mit der Prüfstelle der Freiwilligen Selbstkontrolle geistert der Titel seit jeher durch die Kommentarsektionen. Die Rede ist vom „brutalsten Zombiefilm aller Zeiten“, es fehlen eigentlich nur noch die typischen Meldungen über kotzende Zuschauer, die vorzeitig den Saal verlassen mussten. Die Messlatte liegt dementsprechend hoch und Fans des alternativen Kinos haben sich den Kinostart am 03.02.2022 sicher blutrot im Kalender markiert. Worauf sie sich einstellen müssen, sollen die nun folgenden Zeilen klären.

Vorweg: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Und so startet auch „The Sadness“ überraschend ruhig, bringt dem Zuschauer die Hauptcharaktere Kat und Jim näher, die noch nichtsahnend im Bett liegen und sich auf einen gewöhnlichen Tag vorbereiten. Die exotische Szenerie Taiwans versprüht Charme und weckt Fernweh. Noch deutet nichts darauf hin, was die kommenden neunzig Minuten bereithalten. Die anfängliche Beschaulichkeit weicht allerdings ebenso schnell einem gewissen Unbehagen. Menschen verhalten sich eigenartig, die Wege der Protagonisten trennen sich und als es in einem kleinen Cafe zur ersten Gewalteskapade kommt wird klar, dass die Warnungen vorab nicht ganz unbegründet waren. In der Folge erklärt sich der Film, berichtet von einem sich schnell verbreitenden Virus, der Phantasien in der Bevölkerung auslöst; brutaler und auch sexueller Natur. Mittendrin folgt die Handlung unseren Protagonisten, die in dem ganzen Trubel versuchen wieder zueinander zu finden.

Dieser übergeordnete Handlungsstrang ist dabei allerdings eher loses Beiwerk und der Versuch die nun porträtierte Verrohung narrativ zusammenzuhalten. Auch wenn der Film es sogar immer mal wieder schafft emotionale Momente hervorzurufen, werden diese meist schnell filetiert und den Zombies zum Fraß vorgeworfen. Rein inszenatorisch wählt Jabbaz‘ dabei eine abwechslungsreiche Herangehensweise. Stellenweise hält die Kamera sekundenlang mitten auf das Geschehen und zeigt, ohne Anflug von Erbarmen, das volle Ausmaß des Chaos. Abgebissene Körperteile, wirbelnde Gedärme, meterhohe Blutorgien – eben das, was man sich von einem solchen Film erhofft. Aber Jabbaz opfert seine Geschichte nicht um jeden Preis, fährt das Tempo gerade hinten raus diverse Male zurück und überlässt der subjektiven Vorstellung die Fortführung der Szenen. Ein erfrischender Kniff, der den Tabubrüchen Einhalt gebietet und dem geneigten Betrachter die Luft zum Atmen gibt, die benötigt wird, um nicht gänzlich übermannt zu werden. Doch was möchte der Regisseur eigentlich aussagen?

Hier offenbart sich die Schwäche des Werkes. Augenscheinlich präsentiert er uns, in Zeiten einer real existierenden Pandemie, die Visualisierung der humanen Ohnmacht, ausgelebt in animalisch stumpfer Brutalität. Diese richtet sich jedoch nicht gegen den übermächtigen Staatsapparat – dessen konkretes Handeln in Taiwan im Übrigen zu einer sehr erfolgreichen Eindämmung der Pandemie geführt hat – sondern tendenziell wahllos gegen alles, das den eigenen Weg kreuzt. Die unterschwellige und regelmäßig anklingende Sozialkritik wird so natürlich stark verwässert. Wer sich dann noch vor Augen hält, dass der Regisseur selbst zugab, dass die politische Komponente für ihn im Hintergrund stand und der Fokus unmissverständlich auf „Sex und Gewalt“ lag, erkennt schnell die Problematik. Einerseits möchte sich „The Sadness“ offenbar die globale Situation zunutze machen und seiner Geschichte in der alternativen Realität ein erzählerisches Fundament erschaffen, uns quasi von „der Traurigkeit“ der Bevölkerung berichten, ihrer Spaltung und den nackten Trieben, die ihr innewohnen – andererseits tut er dann höchstselbst alles dafür, um seine eigene Intention zu untergraben und doch „nur“ spaßigen Splatter anzubieten. Unter den Gesichtspunkten eines typischen Zombiefilms ein marginaler Kritikpunkt, unter Betrachtung der Gesamtsituation, samt Subtext, ist es aber doch ein Reibungspunkt, der beim Genuss des geschmacklosen Blutcocktails merklich sauer aufstößt.

Fazit

Jabbaz‘ Spielfilmdebüt „The Sadness“ verspricht Alarmstufe Blut, kann nach verheißungsvollem Beginn aber nur noch bedingt halten, was Marketing und Vorschusslorbeeren versprechen. Handwerklich eher Schlachtermesser als feine Klinge, bezeichnenderweise aber immer dann am stärksten, wenn plötzlich die Atmosphäre durch die Blutfontänen watet und die Erzählung mit Fleisch unterfüttert. Für Genrefans schon allein aufgrund des Gore-Gehaltes absolut sehenswert, insgesamt aber nicht das erhoffte Spektakel, und schon gar nicht „der brutalste Zombiefilm ever“.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

(58/100)

Bilder: ©Capelight Pictures