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„Pleasure“ – Kritik zum Kinostart

In den 60ern und 70ern – lange vor der Geburt des Autors dieses Texts – gab es mal eine Zeit, da war es normal, dass in den Kinos auch pornografische Filme liefen. Im Zuge der sexuellen Befreiung wurden diese Film(ch)e(n) dann auch überraschend erfolgreich. Nicht umsonst hält sich bis heute die Legende hartnäckig, dass „Deep Throat“ der „erfolgreichste Film aller Zeiten“ sei. Der Film mit Linda Lovelace in der Hauptrolle soll ab 1972 mit einem Budget von 25.000 Dollar mehr als 600 Millionen Dollar eingespielt haben. Und dieser Film inspirierte dann auch die filmische Biografie der Hauptdarstellerin (Lovelace, 2013) mit Amanda Seyfried in der Hauptrolle.

von Marius Ochs

Schon „Lovelace“ zeigte die Schattenseiten des Wegs einer jungen Darstellerin in der Pornoindustrie – nur eben in einer Zeit, als im Porno noch mehr emanzipatorische Hoffnungen lagen. Das Regiedebüt „Pleasure“ der Schwedin Ninja Thyberg erzählt eine ähnliche, fiktive Geschichte in der heutigen Pornoindustrie in Los Angeles. Die Revolution ist schon lange vorbei, und Pornografie ist heute eine riesige Industrie.

Bella Cherry (Sofia Kappel) ist 20 Jahre alt und gerade erst aus Schweden ausgewandert um in Los Angeles der nächste große Pornostar zu werden. Am Anfang ist sie ein Mädchen unter Vielen, doch um bekannter zu werden und den besten Agenten zu bekommen, setzt sich Bella Cherry immer extremeren Dingen vor den Kameras aus. So steigt sie auf, macht sich einen Namen – doch Freundschaften und Würde kommen immer mehr zu kurz. Der gewählte Spannungsbogen ist so bekannt wie arm an Überraschungen, lediglich das plötzliche Ende lässt nachdenklich zurück. „Pleasure“ liefert ansonsten exakt die dramatischen Momente, die man von einem Film im Pornomilieu erwartet: Sexuelle Belästigung, manipulative Regisseure, Verrat unter Konkurrentinnen und Freundinnen.

Doch Thyberg schafft es in ihrem Debüt trotzdem vom ersten bis zum letzten Bild mitzureißen. Ihre Vision wird deutlich in den Bilder, die zwischen sterilen Hochglanz-Pornos, verstörenden Close-Ups und herzerwärmenden Coming-of-age-Motiven schwanken. Untermalt wird das Ganze von einem innovativen Soundtrack, der dem Film irgendwo zwischen Kirchenchören und Trap einen modernen und gleichzeitig zeitlosen Rhythmus verleiht. Der Film bietet außerdem einige der besten needle drops der jüngeren Filmgeschichte. Besonders beeindrucken ist zudem Sofia Kappel in ihrer ersten Rolle. Die junge Schauspielerin schafft es den Lernprozess eines jungen Mädchens in der Pornoindustrie darzustellen. Ihr Wandel vom ehrgeizigen Newcomer zum entfremdeten Star zeichnet sie in ihrer Körperhaltung nach, die Nuancen zwischen echtem und gespieltem Genuss geben dem Film erst den doppelten Boden.

Trotzdem löst Pleasure“ wenig Vergnügen beim Schauen aus. Das liegt an der harten, verstörenden Darstellung der oftmals degradierenden Bedingungen an den Pornosets. Die Branche wird als Spiegel der Gesellschaft gezeigt. Patriarchat, Rassismus und Sexismus rücken wie unter einem Brennglas in den Fokus, wobei sich Thyberg mit klaren Urteilen zurückhält. Teilweise führt das aber dazu, dass der Film seltsam distanziert und wenig empathisch wirkt. Bella Cherrys Motivation der nächste große Pornostar zu werden wird nie näher ergründet. Ihre schwierigen Freundschaften und Beziehungen zu ihren Kolleginnen erscheinen dadurch häufig oberflächlich und ein wenig klischeehaft. Stellenweise wirkt „Pleasure“ so wie eine reine Körperschau, das subversive Potential geht zu oft verloren.

Doch insbesondere als Debüt beeindruckt der Film. Thybergs Handschrift hallt nach, die Kontraste zwischen intimer Emotionalität und der Kommerzialisierung der sexuellen Intimsphäre sind gelungen. Sie setzt moderne Technik in Form von Instagram und Handkameras immer wieder so in Szene, dass beim Zuschauen der eigenen Voyeurismus bloßgestellt wird.

Fazit

„Pleasure“ ist ein starkes Erstlingswerk mit eigener Handschrift. Der Film wirft einen realistischen, harten, wenn auch stellenweise zu ästhetisierten Blick auf die Pornoindustrie. Die altbekannte Geschichte wird durch die verstörende Darstellung und die grandiose Performance von Sofia Kappel kompensiert, sodass der Film über die gesamte Laufzeit fesselt. Ganz sicher kein Genuss, ist „Pleasure“ doch ein wertvoller Beitrag über die Kommerzialisierung der Körper und die extremen Arbeitsbedingungen in einer oft romantisierten Berufssparte.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(80/100)

Bilder: © Weltkino Filmverleih GmbH

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