Hollywood-Größe Guillermo Del Toro ist wahrlich ein umtriebiger Mann. 2006 entführte er uns bereits in fantasievoll gestaltetes Gedankenlabyrinth, lud knapp zehn Jahre später in ein verwunschenes Schloss ein und erweckte anno 2017 mit „The Shape of Water“ ein düster romantisches Märchen zum Leben. So vielfältig seine Filme thematisch sein mögen, eines haben sie fast immer gemein: über allen schwebt ein gewisses Maß an Düsternis, das seinen Werken Nachdruck verleiht und sie optisch aus der Masse hervorhebt.

von Cliff Brockerhoff

Und auch sein neuestes Erzeugnis lässt mit dem klangvollen Titel „Nightmare Alley“ auf einen Ausflug in dunklere Gefilde hoffen, auch wenn der Trailer selbst eher an eine neue Version von Nolans „The Prestige“ erinnerte. Doch der Schein trügt. Erzählt wird, basierend auf dem Roman von William Gresham, vorrangig die Geschichte von Stanton Carlisle, der sich nach einem „Zwischenfall“ in der Familie auf eine Reise ins Ungewisse begibt und letztlich bei einer Truppe Schaustellern strandet. Nach anfänglichen Hilfsarbeiten findet sich Stanton immer besser zwischen den all den Kuriositäten zurecht, beginnt seinerseits sich einen Namen zu machen und findet gar die vermeintlich große Liebe.

Der Spaziergang über die Gasse der Alpträume beginnt also zunächst einmal eher unspektakulär. Der Einführung der einzelnen Figuren wird genügend Zeit eingeräumt, um Person und Aufgabe kennenzulernen, wobei Hintergrundgeschichte und Intention tendenziell eher im Dunkeln verbleiben. Gleich zu Beginn hüllt sich der Film in nebulöse Mysteriösität, umschmeichelt von den nebelbehangenen Kulissen, dessen Dunst immer wieder wunderschön durch die grellen Lichter der Shows durchbrochen wird. Optisch macht „Nightmare Alley“ einiges her und begeistert mit detailverliebten Handlungsorten, stimmungsvoller Beleuchtung und dem Zauber des Rummels, der vor allem Kinder in seinen Bann zieht. Doch Achtung, für Kinder ist dieser Film in der Tat gänzlich ungeeignet.

Das liegt zum einen an einer wohldosierten, aber doch spürbaren Explizität was Gewalt angeht und zum anderen an der Entwicklung, die die Story nimmt. Die anfänglich in den Fokus gerückten Attraktionen werden mehr und mehr zu Statisten degradiert und Del Toro steigt hinab in die Abgründe der menschlichen Psyche, wo Ruhm und Ehre eine höhere Wertigkeit besitzen als die Fragilität der Seele. Protagonist Carlisle wirft mit zunehmender Laufzeit seine eigenen Grundsätze und Moralvorstellungen über Bord, begibt sich willentlich in Gefahr und gerät in ein verhängnisvolles Konstrukt aus Illusion, Lügen und geschickt erzählen Geschichten, die das Ohr umschmeicheln und die Klarsicht vernebeln sollen. Problematisch ist dabei, dass es schon einem hohen Maß an Interesse für Psychologie und/oder Verhaltensforschung bedarf um sich vollends auf die Geschichte einlassen zu können. Wer sich von „Nightmare Alley“ eine formvollendete Freakshow im Stile von „American Horror Story“ erwartet, wird spätestens ab der Hälfe der deutlich zu zähen Laufzeit schwer mit sich und der Art der Erzählung zu kämpfen haben.

Wer es allerdings schafft sich auf das Narrativ einzulassen, wird mit einer klug aufgebauten Geschichte belohnt, die stets genug preisgibt, um ihr folgen zu können aber nie so viel offenbart, dass es langweilig wird. Erfahrene Zuschauer werden einige Entwicklungen sicherlich in ihren Tarotkarten vorhersehen können, doch insgesamt gelingt dem Werk ein schöner Zwiespalt zwischen Spannung und Unterhaltung. Dem zuträglich sind insbesondere auch die hervorragenden Leistungen des Casts, der mit Namen wie Bradley Cooper, Rooney Mara, Toni Colette, Willem Dafoe oder Cate Blanchett bis in die kleinste Rolle klangvoll besetzt ist. Vor allem Blanchett – zuletzt noch im Netflix-Hit „Don’t look up“ zu sehen – begeistert auch in ihrer Rolle der unnahbaren Psychoanalystin mit fiesem Minenspiel, das einem wahrlich das Blut in den Adern gefrieren lässt. Letztlich harmonieren und ergänzen sich die einzelnen Charaktere aber allesamt, sodass es eine wahre Freude ist ihrem Schauspiel beizuwohnen – auch wenn die Freude innerhalb der Geschichte zusehends in der Erde versiegt, auf der anfangs noch die prunkvollen Zelte der Schausteller zum Amüsement eingeladen hatten.

Fazit

Analog zum Jahrmarkt selbst gibt es auch in „Nightmare Alley“ allerhand Kuriositäten zu bestaunen: Skurrile Schausteller, schamlose Scharlatane und schaurige Storytwists, die beinahe wirken als wäre Del Toro mit dem Drehbuch ein paar Extrarunden Kettenkarussell gefahren. So wird aus leichter Mystery plötzlich ein verzweigtes Psychogramm, das nicht für jeden oder gar immer tadellos funktioniert, neben brillanter Optik aber durchaus auch inhaltlich nicht mit Reizen geizt und auf einer überraschend düsteren Note ausklingt. Ein moderner Film Noir mit blutrotem Anstrich.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(68/100)

Werdet ihr euch „Nightmare Alley“ ansehen?

Bilder: ©Searchlight Pictures

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