Kenneth Branagh hat sich einen Namen gemacht als Regisseur klassischer literarischer Stoffe, denen er einen zeitgemäßen Anstrich verpassen will: Nicht nur bei einigen Shakespeare-Werken versuchte er eine (neue) Filmadaption, vor einigen Jahren probierte er sich auch an einem Remake von „Mord im Orient-Express“, zugleich Film- und Literaturklassiker. Es sollte nicht lange dauern, bis sich der britische Regisseur den zweiten, allseits bekannten Stoff von Agatha Christie vornehmen würde: „Tod auf dem Nil“. Nach 2 Jahren Corona-bedingter Verschiebungen kam das Werk nun endlich in die Kinos.

von Christian Klosz

Die Geschichte sollte hinlänglich bekannt sein: Meisterdetektiv Hercule Poirot (Branagh) begibt sich vorgeblich auf eine „Urlaubsreise“ nach Ägypten, soll dort aber heimliche Nachforschungen für eine reiche Klientin anstellen, die wissen möchte, ob sie der Geliebten ihres Sohnes über den Weg trauen kann. So gerät Poirot in die Mitte einer elitären Gesellschaft exklusiver Gäste, die die Vermählung von „Society-Lady“ Linnet Ridgeway (Gal Gadot) und Simon Doyle (Armie Hammer) zelebrieren, schließlich auch auf einer Schiffsfahrt auf dem Nil. Doch die ehemalige Verlobte Doyles Jaqueline de Bellefort (Emma Mackey) macht der guten Laune einen Strich durch die Rechung, als die plötzlich auf dem Schiff auftaucht und für Wirbel sorgt. Nach einem heftigen Streit mit Doyle wird ein Schuss abgefeuert, Doyles Bein ist verletzt – und kurz darauf liegt Linnet tot in ihrem Bett: Ein undurchsichtiger Fall, der – wie sollte es sonst sein – die „kleinen grauen Zellen“ von Hercule Poirot ordentlich herausfordert.

War Branaghs Adaption von „Mord im Orient-Express“ eine zwar nicht unbedingt notwendige, aber ansehnliche Neuauflage eine Klassikers, lässt sich das über „Tod auf dem Nil“ nicht behaupten: Das filmische Vorbild von John Guillermins Verfilmung ist auch zu groß, Branaghs Version verliert jeden Vergleich. Das beginnt schon damit, dass der Regisseur die einzige Schwäche des Films aus 1978 übernimmt: Die zu lange und ausführliche Exposition. Während Guillermins Version die ersten 40, 50 Minuten dahinplätschert, danach aber ordentlich an Tempo und Esprit gewinnt und vor allem von seinen Charakteren und dem Zusammenspiel der Darsteller lebt, lässt sich Ähnliches über die 2022-er Version nicht behaupten. Die Einleitung wurde gar noch ausgedehnt, es dauert (bei der Laufzeit von 2 Stunden) eine ganze Stunde, bis die Figuren überhaupt das Schiff betreten.

Davor werden uns die Charaktere näher gebracht. Hier nimmt sich Branagh jene künstlerischen Freiheiten, zu denen ihn der Hollywood-Zeitgeist zwingt: Figuren werden hinzugefügt und ausgetauscht, ethnische Zugehörigkeiten werden umgeschrieben, und eine lesbische Liebesbeziehung zwischen 2 Gästen konstruiert. Dass all das aufgesetzt und unecht wirkt, ist selbstredend. Es wäre auch halb so nervig, wenn dieser „neue touch“ dem Film gut tun würde und neue oder interessante Aspekte zutage fördern oder Qualität mitbringen würde. Gelingen tut das allerdings nur bei der Figur Salome Otterbourne, aus der eine (schwarze) Blues/Jazz-Sängerin wird, die von Sophie Okonedo vortrefflich gespielt wird, während der Charakter in der Originalfassung eine alternde Schriftstellerin ist. In allen anderen Fällen wirken die neuen Figuren und deren Eigenheiten eher wie unstimmige Fremdkörper.

Schauspielerisch hat „Tod auf dem Nil“ – ganz im Gegensatz zum Film aus 1978 – auch sehr wenig zu bieten. Abgesehen von der bereits erwähnten Sophie Okonedo und, zumindest in einigen Szenen, Kenneth Branagh als Poirot gibt es hier wenig bis nichts zu sehen. Gal Gadot spielt ihre reiche Diva solide, Emma Mackay ihre „verrückte“ Jaqueline in Ansätzen überzeugend, während Armie Hammer seinen Simon Doyle wie einen hirnlosen, simplen Klotz wirken lässt, der nicht mehr als 3 Gesichtsaudrücke drauf hat. Alle anderen Figuren und deren Darsteller bleiben nicht länger als die Momente ihres Auftritts im Gedächtnis. Für den „Theatermann“ Branagh ist das doch ein Armutszeugnis.

Fazit

Gegen Ende versucht „Tod auf dem Nil“ die Spannung zwar durch einige Thriller-Elemente hoch zu halten – doch außer einem unterdurchschnittlichen Kriminalfilm, der den Vergleich zu Vorbildern auf allen Ebenen verliert und es nicht schafft, eine eigene, authentische „Sprache“ zu entwickeln, bleibt nichts übrig. Branagh täte gut daran, sein Vorhaben „Christie-Remakes“ ruhen zu lassen und sich auf seine persönlicheren Stoffe wie „Belfast“ zu konzentrieren, denn „Tod auf dem Nil“ ist nichts mehr als ein aufwändig produzierter, aber unnötiger Film, auf den man – auch als Zuschauer – gut und gerne verzichten kann. Seit 10.2. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 4 von 10.

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Bilder: © 2022 20th Century Studios.