2019 sorgte Nadav Lapid mit „Synonyms“ für Aufsehen: Der autobiografisch geprägte Film über einen jungen Israeli, der sich in Paris durchschlagen und seine Identität „auslöschen“ will, gewann auf der Berlinale den Hauptpreis im Wettbewerb, Lapid wurde danach als Erneuerer des internationalen Autorenfilms gefeiert. Mit „Aheds Knie“ legt er nun den Nachfolger vor, der in Cannes 2021 im Wettbewerb lief und seit 25.2. in den österreichischen Kinos zu sehen ist.

von Christian Klosz

Ein Filmemacher, genannt nur „Y“ (Avshalom Pollak), reist auf Einladung der Regierung in die israelische Pampa in der Arava-Region zu einer Sondervorführung seines letzten Werkes in der örtlichen Bibliothek. Er wird dort von Yahalom (Nur Fibak) empfangen, einer junge Mitarbeiterin des Kulturministeriums, die den Ablauf der Veranstaltung organisieren und überwachen soll. Beide beginnen einen Flirt, doch dann soll Y vor dem Q&A eine Erklärung des Ministeriums unterschreiben, worüber er dabei reden darf – und worüber nicht. Er heckt den Plan aus, Yahalom zu einer Aussage über die repressive Kulturpolitik Israels zu bringen und diese mit dem Handy aufzuzeichnen, um so über Medien Druck auf die Machthaber ausüben zu können. Nach der Vorführung des Film spielt Y die Aufnahme dem anwesenden Publikum vor und es kommt zum Eklat.

„Aheds Knie“ ist ein nicht minder persönlicher, aber im Vergleich zu „Synonyms“ radikalerer Film. Dort erzählt Lapid laut eigenen Angaben von seiner Zeit in Frankreich, wohin er als junger Mann „geflüchtet“ war. Auch dort geht es um die israelische Identität und die Ablehnung derselben durch den Protagonisten, um jeden Preis will er sich ihrer entledigen. „Aheds Knie“ handelt von verwandten Themen, aber vor anderem Hintergrund: Der Protagonist ist ein Mitt-Vierziger (und damit wohl nicht zufällig im selben Alter wie Lapid), Filmregisseur, dessen letztes Werk in Berlin ausgezeichnet wurde, seine Mutter leidet an Krebs. Lapid schrieb das Drehbuch einen Monat nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2018. Die Parallelen sind also offensichtlich, Y ist das alter ego des Regisseurs.

Man muss anmerken, dass dieser Film im Dezember 2020 gedreht wurde, also zu seiner Zeit, als die Netanyahu-Regierung, gegen den sich der Protest in erster Linie richtet, noch im Amt war, das Drehbuch in einer Zeit verfasst wurde, als die umstrittene Kulturministerin Miri Regev, die mit wiederholten Repressalien gegen Kulturschaffende auffiel, noch aktiv war. Ob sich der Verhältnisse seit Mitte letzten Jahres, als eine neue Regierung (ohne Netanyahu) ins Amt kam, geändert oder gebessert haben, müsste man den Regisseur fragen.

Jedenfalls geht es Lapid in seinem Film um nichts weniger als eine Generalabrechnung und einen Angriff auf sein Heimatland, auf die israelische Politik im Allgemeinen (vermutlich insbesondere auf das „System Netanyahu“), die Kulturpolitik im Besonderen – und die israelische Identität. Dass hinter dieser großen, bedrückenden Wut wohl auch eine Menge Enttäuschung steckt, wird in den letzten, sehr emotionalen Szenen des Films deutlich. Man kann „Aheds Knie“ aber auch allgemeiner als Anklage gegen repressive (politische) Systeme aller Art betrachten, als ein Plädoyer für (künstlerische) Freiheit und gegen Eingriffe in und Einschränkungen des kreativen Ausdrucks und der Meinungsfreiheit. (Unweigerlich kommt einem aus aktuellem Anlass das „System Putin“ in den Sinn.)

Wenngleich der Film über weite Strecken überzeugend ist, ist er in sich nicht so stimmig wie „Synonyms“. Das liegt zum einen an gewissen dramaturgischen Experimenten, anderseits an einem Tempowechsel, den „Aheds Knie“ nach zirka einer Stunde vollzieht. Es wird weniger abstrakt und symbolisch, dafür direkter, wodurch es zu einem „Bruch“ in der Erzählung kommt, der den Film etwas inhomogen wirken lässt. Bemerkenswert sind hingegen die stilistischen Mittel, mit denen Lapid operiert: Bekannte Popmusikstücke als Hintergrundbemalung, eine innovative Wackel-Kameratechnik, die wohl auf die individuelle, eigen-artige Perspektive des Protagonisten verweisen soll.

Fazit:

An „Synonyms“ kommt „Aheds Knie“ nicht heran, aber Regisseur Nadav Lapid erweist sich abermals als eigenwilliger Filmautor, der mit Nachdruck an einer originären Filmsprache arbeitet – ein Vorhaben, dem aktuell nur mehr wenige Filmemacher nachgehen. Der Film überzeugt vor Allem in der ersten Hälfte, unter anderem auch durch innovative Inszenierung, und übt heftige Kritik am israelischen Staat, in dem der Israeli Lapid ein repressives und rückständiges System sieht, das nur durch seine vielen (historischen) Narben zusammengehalten wird. Man kann auf sein nächstes Werk gespannt sein.

Bewertung:

Bewertung: 9 von 10.

(86/100)

Hinweis: Wien-Premie am 26.2.2022 um 20:00 im Stadtkino in Anwesenheit von Nadav Lapid.

Bilder: (c) Filmgarten