Es hätte alles so schön sein können: nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder eine fast normale Zeremonie, ein roter Teppich voll mit Stars und Sternchen, prunkvolle Kleider bei bombastischem Wetter und sogar die Hosts für die Show wurden reaktiviert. Die 94. Oscar-Verleihung hätte der Academy möglicherweise wieder auf den rechten Pfad verhelfen können, doch dann kam Will Smith.
Beginnen wir von vorne. Auch wenn schon im Vorfeld bekannt wurde, dass acht Kategorien nicht live in der Show vergeben und diese damit automatisch herabgesetzt werden um “den Zeitplan zu straffen”, starten die Oscars in 2022 überraschend verheißungsvoll. Nach dem Opening der Williams-Schwestern übernimmt Beyoncé, gefolgt von Regina Hall, Wanda Sykes und Amy Schumer, die mal mehr und mal weniger lustig durch die ersten Kategorien führen. Nicht jeder Gag ist ein Treffer, aber die Abkehr von political correctness und quotengerechter Aufteilung erweist sich als Gewinn. Über diesen freuen sich auch die ersten Preisträger, insbesondere „Dune“ räumt anfangs mächtig ab und hat nach kurzer Zeit bereits fünf Trophäen eingeheimst.
Zwischen dem altbekannten Wechselspiel aus Laudatio, Verkündung und Dankesrede gibt es viel Musik auf die Ohren, vor allem Billie Eilish‘ performance von „No time to die“ sorgt für Gänsehaut und wird zu einem späteren Zeitpunkt zu Recht ebenfalls prämiert. Die immer noch sehr blank polierte aber zumindest vergnügliche Verleihung steuert eigentlich sicher auf wohlwollende Kritiken zu – spätestens als „Coda“ die erste Prämierung für sich verzeichnet und Troy Kotsur mit seiner Rede die Augen der Anwesenden befeuchtet. Alles läuft gut bis Chris Rock die Bühne betritt, der in altbekannter Manier gesalzene Sprüche in alle Richtungen verteilt. So weit so unspektakulär, Ricky Gervais hatte 2020 bei den Golden Globes immer hin auch „gegrillt“ was das Zeug hielt. Eigentlich ein bekanntes und beliebtes Szenario. Einem Mann platzt aber der Kragen: als Rock sich einen bösen Scherz mit Jada Pinkett Smith (Ehefrau von Will Smith) erlaubt, schlägt die Stimmung blitzartig um. Einem anfänglichen Lächeln der beiden folgt der Eklat: Will marschiert auf die Bühne, ohrfeigt Rock vor laufenden Kameras, stampft wutentbrannt zu seinem Platz zurück und schreit durch den Saal, dass Rock den Namen seiner Frau nie wieder in den Mund nehmen solle. F-Bombe inklusive. Boom.
Was anfänglich wie ein gescripteter Vorfall erscheint, lässt sowohl Rock als auch die Anwesenden geschockt zurück. Es folgen eine Sendungsunterbrechung, in der Denzel Washington auf Smith einredet und danach kommentarlos weitere Kategorien. Steven Gätjen, Reporter beim deutschen Sender Pro7 und gleichzeitig Mitglied des Formates „Kino+“ versorgt das deutsche Publikum mit Infos aus erster Hand. Er spricht von kollektivem Schockzustand. Wer medial nachhakt, wird sofort der Veranstaltung verwiesen. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden, oder? Doch. Denn eine der ausstehenden Kategorien ist die des „Besten Hauptdarsteller“, in der Smith als Favorit gilt und dieser Rolle gerecht wird. Was dann folgt, pendelt zwischen skurriler Rechtfertigung und geistesabwesendem Gefasel. Genau wie Richard Williams in seiner Rolle sei auch Smith der „family protector“. Gebetsmühlenartig versucht Smith seinen Ausraster vor der sichtlich betroffenen und unsicheren Menge zu relativieren, entschuldigt sich bei der Academy, den anderen Nominierten, jedoch nicht bei Chris Rock. Der darf im Übrigen nichts mehr beitragen, sodass die sehr einseitige Nummer nach minutenlanger Rede ihr Ende findet und in die letzten, „großen“ Kategorien überleitet.
Hier räumen Jane Campion (Beste Regie für „The Power of the Dog“) und abermals „Coda“ ab, der als erster Streamingtitel überhaupt, als Bester Film ausgezeichnet wird. Richtige Partystimmung will aber nicht mehr aufkommen, dazu hat der Vorfall zuvor einfach zu sehr eingeschlagen und hinterlässt einen mehr als bitteren Beigeschmack. So sehr zu hoffen ist, dass es sich in irgendeiner Form um einen einstudierten Plan handelt, so unwahrscheinlich ist dies. Einerseits weil die Academy das Ganze dann vermutlich sofort aufgeklärt hätte um die Stimmung zu retten, andererseits weil die Reaktionen aller Beteiligten einfach zu authentisch waren. Schauspieler hin oder her, hier erschien nichts einstudiert. Bereits vor einigen Jahren nahm Rock die Ehefrau von Smith ins Visier, und bereits vor Jahren war “Der Prinz von Bel-Air” wenig begeistert.
Was zurückbleibt ist somit eine Preisverleihung, die für immer mit diesem Makel ausgestattet ist. Medial wird fast niemand über die glücklichen Gewinner berichten, die ein einzelner Mann mit einer absolut überzogenen Kurzschlussreaktion um den Ruhm und die Aufmerksamkeit gebracht hat, die sie verdient gehabt hätten. Eines steht aber fest: die Einschaltquoten im nächsten Jahr werden explodieren. Gleiches gilt hoffentlich auch für den shitstorm, den Smith nun über sich ergehen lassen muss. Familienehre hin oder her: Gewalt ist niemals die Lösung. (cb)
Alle Gewinner und Gewinnerinnen im Überblick:
- Bester Film: „CODA“
- Bester Schauspieler: Will Smith in „King Richard“
- Beste Schauspielerin: Jessica Chastain in „The Eyes of Tammy Faye“
- Beste Regie: Jane Campion, „The Power of the Dog“
- Bester Nebendarsteller: Troy Kotsur in „CODA“
- Beste Nebendarstellerin: Ariana DeBose in „West Side Story“
- Bester ausländischer Film: „Drive My Car“, Japan
- Bester Dokumentarfilm: „Summer of Soul (Or, When The Revolution Could Not Be Televised)“
- Bester Original-Song: Billie Eilish und Finneas O’Connell mit „No Time to Die“ aus „Keine Zeit zu sterben“
- Beste Kostüme: „Cruella“
- Bestes Original-Drehbuch: „Belfast“ – Kenneth Brennagh
- Bestes bearbeitetes Drehbuch: „CODA“
- Beste Kamera: „Dune“
- Beste Spezialeffekte: „Dune“ – u.a. Gerd Nefzer
- Bester Trickfilm: „Encanto“
- Bester Sound: „Dune“
- Beste Kurz-Dokumentation: „The Queen of Basketball“
- Bester Kurz-Trickfilm: „The Windshield Wiper“
- Bester Kurzfilm: „The Long Goodbye“
- Beste Original-Filmmusik: „Dune“ – Hans Zimmer
- Bester Schnitt: „Dune“
- Bestes Produktionsdesign: „Dune“
- Bestes Make-up und beste Frisuren: „The Eyes of Tammy Faye“
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