Richard Linklaters neuester Film „Apollo 10 ½“ ist eine liebevolle Hommage an seine Kindheit, die sich nicht zu ernst nimmt. In Zusammenarbeit mit Tommy Pallotta rekonstruiert der gebürtige Texaner das Houstaner Vorstadtleben der späten 1960er Jahre in einem von Cartoons wie „Johnny Quest“ inspirierten Animationsstil, der zwar anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist und wirkt wie ein hochwertiger Snapchat-Filter, doch schon nach wenigen Minuten überzeugt und zum verspielten Ton des Films passt. Seit Anfang April kann man sich auf Netflix selbst ein Bild von der in diesem Retro-Look erzählten, nostalgischen Geschichte machen.

von Natascha Jurácsik

Das „Coming of Age“-Genre ist dem Regisseur keineswegs fremd: „Boyhood“ ging mit einer Drehzeit von 12 Jahren in die Kinogeschichte ein und diese Erfahrung zeigt sich auch in seiner neuesten Veröffentlichung. Linklater behandelt seine Charakteren trotz ihres jungen Alters nie wie naive Halbwüchsige, sondern verleiht ihnen und ihrer Umgebung eine tiefe Menschlichkeit, wodurch er es auch in „Apollo 10 ½“ schafft, jeden Zuschauer anzusprechen, ganz unabhängig von den eigenen Kinderjahren.

Jack Black leiht seine Stimme dem Protagonisten Stan, der in einem Voice-Over die Zeit kurz vor der ersten Mondlandung schildert, als er selbst 10 Jahre alt war. Die erste Dreiviertelstunde macht das Ende der US-amerikanischen 60er aus der Sicht eines Kindes greifbar und malt ein klares Bild einer Zeit, die zwischen optimistischen Zukunftsvisionen und Atomkrieg-Paranoia hin und her gerissen war.

Überraschenderweise finden sich doch kleinere Ähnlichkeiten mit dem Jahr 2022, denn Verschwörungstheorien und Proteste gegen Krieg sollten den meisten bekannt vorkommen – auch der „Wettlauf ins All“ macht heute eine etwas verschrobene Rückkehr als Rennen um die Privatisierung des Weltraums. Mithilfe von zeitgetreuen Nachrichtenausschnitten, viel Liebe zum Detail, was Stans achtköpfiges Familienleben betrifft, und einem stimmungsvollen Soundtrack erwachen die Jahre 1968 und 1969 zum Leben; selbst Szenen wie das Vorbereiten von Schulbroten oder die verschiedenen Spiele mit den Nachbarskindern lassen dank der dynamischen Animation und des unterhaltsamen Erzählers keine Langeweile zu.

Es fällt also nicht schwer, in die Schuhe des jungen Stan zu schlüpfen, auch wenn die Handlung unseren Geschichtsbüchern nicht ganz treu bleibt. Er wird nämlich von der NASA rekrutiert, um vor der eigentlichen Apollo 11 – Mission ein Raumschiff zu testen, welches aus Versehen zu klein gebaut wurde; hier zeigt sich die ganz spezielle, fast ironische Komik des Films, die ihr Ziel nie verfehlt. Stan wird Teil des streng geheimen „Apollo 10 ½“-Projektes und darf nach seiner Mondlandung niemandem von diesem abenteuerlichen Sommer erzählen. Wer weiß, vielleicht stimmt es sogar – wäre zumindest eine erfrischende Abwechslung zur herkömmlichen Theorie, dass die Landung von Neil Armstrong & Co. nie geschehen ist. Der Junior-Astronaut hingegen berichtet von diesem prägenden Ereignis allerdings relativ nüchtern, als wäre es nur eine weitere Kindheitserinnerung. Doch zum Schluss wendet sich Linklater mit einem Augenzwinkern ans Publikum, als wolle er zugeben, dass das „Space Race“ im damaligen Alltag so präsent und prägend war, dass man denken konnte, man hätte selbst Fußabdrücke im Mondstaub hinterlassen. Und sei es nur in der Fantasie.

Fazit

„Apollo 10 ½“ ist ein charmanter Nostalgietrip mit interessanten Visuals und genügend Humor, um nicht kitschig zu sein. Die Figuren sind sympathisch und dank der kindlich-unschuldigen Perspektive kann man ganz in die Welt von Richard Linklaters Jugend eintauchen, die mit erwachsenen Augen betrachtet doch komplizierter ist, als sie damals wohl schien. Trotzdem: Ein Beweis, dass nicht alle guten Filme düster sein müssen.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(72/100)

Bilder: (c) Netflix