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„The Northman“ – Kritik zum Kinostart

Martialisches Gebrüll aus hunderten Kehlen, getränkt von Wut, Schmerz und Verlust. In der Ferne erklingt das schrille Kreischen, ausgelöst von Stahl, der auf Stahl trifft. Der Boden von Blut benetzt. Mittendrin noch namenlose Helden, die für ihren Nebenmann stolz das Leben ließen. Es gab eine Zeit, da waren Historienfilme solcher Prägung das Nonplusultra im Blockbuster-Segment und erzählten ruhmreiche Geschichten vergangener Epochen. Zuletzt gingen vergleichbare Werke an den Kinokassen allerdings ordentlich baden – fragt mal nach bei Ridley Scott…

von Cliff Brockerhoff

Dass Robert Eggers, seines Zeichens aufstrebender Regisseur am Anfang einer vielversprechenden Karriere, sich davon nicht abschrecken lässt überrascht nur bedingt. Mit „The VVitch“ und „Der Leuchtturm“ drehte der US-Amerikaner bisher ungeniert äußerst sperrige Werke für spezielle Interessen. Von vielen gemieden, von Fans bedingungslos geliebt. Mit „The Northman“ trifft Eggers nun aber auch aus dem Dunstkreis heraus, mitten rein ins gleißende Rampenlicht Hollywoods und unter die Augen des naserümpfenden Publikums, das schon beim Trailer diverse Fehler ausgemacht hatte. Wikinger mit Zahnspangen? Skandal!

Die vor Ärger entzweiten Methörner können aber wieder geklebt werden, denn Eggers neigt zur Akribie und bereitet sich minutiös auf die behandelte Materie vor. So ist die als Zahnspange fehlinterpretierte Auffälligkeit vielmehr die Verzierung einer Walküre, die tatsächlich geschichtlich akkurat ist. Derlei Detailverliebtheit findet sich dennoch selten. „The Northman“ ist tendenziell geradlinig aufgebaut und beginnt in der Kindheit des jungen Prinzen Amleth, der im frühen Alter mit ansehen muss wie sein geliebter Vater kaltblütig von seinem Onkel Fjölnir getötet wird. Er schwört die Errettung seiner Mutter und unbarmherzige Rache am Mörder, koste sie was sie wolle. Insbesondere in der ersten halben Stunde drückt dieses vorbestimmte Schicksal einen förmlich in den Kinosessel. Es wird geschrien, getötet, gefurzt und gebellt. Alles mit solch einer Wucht, dass es schwerfällt der brachialen Lautstärke und dem obskuren Treiben zu entfliehen. Die Kamera ist immer mittendrin statt nur dabei, begleitet die Protagonisten auf Schritt und Tritt. Doch nach dem stürmischen Beginn glätten sich die Wogen und lassen das Publikum atmen, wenngleich sich die Luft längst mit Blut und Schweiß gefüllt hat.

Der plötzliche Stilbruch wirkt hierbei allerdings auch erst einmal leicht irritierend, denn die nächste Stunde erzählt sich fast schon ruhig und gesittet. Das moralische Konstrukt aus Rachegelüsten, einem sich selbst auferlegten Malus und der Hingabe zum Trieb bei gleichzeitig auftretendem Wunsch all das hinter sich zu lassen schwelt permanent unter der Oberfläche, ereignet sich aber zeitweise lediglich im Hintergrund, respektive in den Gesichtszügen der Figuren. Eggers verpackt seine Themen zwar bei weitem nicht mehr so kryptisch wie in seinen anderen Filmen, experimentiert aber weiterhin mit Bildkomposition, Schnitt und Arrangement. Für viele sicherlich deutlich zu artifiziell, der blutrote Faden begleitet das Werk aber diesmal bis zum Schluss und gipfelt in einem furiosen Finale, das nochmal aufzeigt, wozu der Regisseur im Stande ist wenn man ihn vollkommen von der Leine lässt. Hätte er den Mut gehabt das Tempo konstant hochzuhalten, es hätte „The Northman“ nicht geschadet – vor allem weil die simpel gestrickte Geschichte gar nicht zwingend eine ausufernde Charakterzeichnung braucht, um zu funktionieren. So nimmt sich der Film immer wieder selbst den Wind aus den Segeln.

Zugegeben, das alles ist Meckern auf hohem Niveau. Technisch und inszenatorisch gehört die Wikinger-Sage zur obersten Güteklasse, egal aus welcher Perspektive man den Film betrachtet. Im Cast finden sich vorrangig bekannte Gesichter, insbesondere wenn man Eggers schon länger verfolgt. Alexander Skarsgård kann vor lauter Muskeln kaum mehr aufrecht laufen, Willem Dafoe spielt das, was er in den letzten Jahren gerne spielt und „everybodys darling“ Anya Taylor-Joy beweist abermals, dass sie mehr leisten kann als wunderschön auszusehen. Im Zusammenspiel der einzelnen Figuren entstehen intensive Momente, obwohl die Anbändelung zwischen Amleth und der von Taylor-Joy verkörperten Olga zeitweise zu erzwungen und wenig organisch wirkt. Für die Geschichte ist sie aber unabdingbar und bildet den Kontrast zur ansonsten schonungslos porträtierten Brutalität. Umschmeichelt von sphärisch dröhnenden Klängen kann diese Melange einen in längst vergangene Tage entführen und begeistert mit in Dreck geschmiedeten Bildern – die barbarisch angehauchte Genremischung verliert sich zeitweise aber zu sehr in der Atmosphäre und kann die Intensität des ersten Drittels somit nicht bis zum Schluss transportieren.

Fazit

Treffen sich Shakespeare und Odin in einer Spelunke – bei „The Northman“ prallen nordische Mythologie und pathetische Theatralik aufeinander und entfesseln ein animalisches Inferno vor malerischer Kulisse. Eggers öffnet sich dabei ein Stück weit dem Mainstream, opfert seine individuelle Vision jedoch glücklicherweise nie in Gänze, sodass auch sein drittes Werk so einigen das stumpfe Schwert vor den Kopf stößt. Fans dürfen sich also auf einen starken Film freuen, wenngleich dieser insgesamt nicht so immersiv ist, wie man es sich erhoffen durfte.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(77/100)

Bilder: ©Universal Pictures



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