Schon der Name allein sorgt entweder für Schrecken oder Bewunderung – auf jeden Fall für Respekt. Wer mit kleinstem Aufwand eine hitzige Diskussion anzetteln will, kommt am besten auf diese Frau zu sprechen, denn wenn nur die Erwähnung von Alice Schwarzer eines auslöst, ist es eine heftige Reaktion. Neutral begegnet der Journalistin wohl kaum jemand, außer man kennt sie noch nicht. Der neue Dokumentarfilm von Sabine Derflinger setzt dieser streibaren Frau ein Denkmal. Zu sehen ist „Alice Schwarzer“ ab dem 13. Mai im Kino.

von Natascha Jurácsik

Aktuell ist das Thema immer: Die „Me Too“-Bewegung und ihre Nachklänge wären ohne feministische Vorkämpferinnen nicht denkbar, die eine beträchtliche Vorarbeit geleistet haben (auch wenn es immer wieder Reibungspunkte und Konflikte zwischen postmodernem Social Media-Feminismus und der „klassischen“ Frauenbewegung gab und gibt). Alice Schwarzer gilt als „Posterwoman“ dieser Bewegung, ihr starkes Auftreten und ihre klare Meinungsäußerung wurden seit den 1970ern unzählige Male parodiert und zum Thema diverser Talkshows gemacht. Bedenkt man ihren Einfluss und ihre Rolle in der Frauenrechtsbewegung, ist es höchste Zeit, sie und ihre Geschichte in einem seriöseren Rahmen zu behandeln, in dem auch sie selbst zu Wort kommt. Oder auch zu mehreren Wörtern.

„Alice Schwarzer“ besteht aus einer Montage von Ausschnitten aus Interviews, Zeitungsartikeln, journalistischen Berichten und einigen Privataufnahmen, sowohl aus der Vergangenheit, als auch der Gegenwart. Der Film beginnt, wie eine Doku über Schwarzer beginnen sollte: mit einer Diskussion. Ein kurzer Einblick in einen Fernsehauftritt, der bereits einige Jahrzehnte zurückliegt, führt dem dem Publikum vor, wie sie sich in der Öffentlichkeit gab, nämlich meinungsstark, konfrontationsfreudig und schlagfertig. Die darauffolgenden Zeitungsartikel, welche als Beispiele für Reaktionen auf Schwarzer verwendet werden, sind dann doch etwas schockierend: Als Jungspund vergisst man ab und zu, wie normal sexistische Beleidigungen gegenüber Frauen einst waren, gerade auch in den Medien. Anschließend kommentiert die heutige Schwarzer ihre Erfahrungen im Journalismus der 1970er Jahre vor der Kulisse der Redaktion ihrer Zeitschrift EMMA.

Diesen Rhythmus hält die Dokumentation Großteils bei: einige Videos aus dem Filmarchiv in eher schlechter Qualität, Kritik an Schwarzer – und schließlich die Protagonistin selbst. Kurze Unterbrechungen mit minimalistischen, etwas hektisch klingenden Geigensoli trennen die verschiedenen Lebensanschnitte bzw. einschlägige Ereignisse ihrer Biographie.

Wer sich nähere Einblicke in die Privatsphäre, wie Kindheit oder spätere Ehe mit Bettina Flitner erhofft, sollte enttäuscht sein, denn diese werden – nebst Dingen wie der MLF („Bewegung zur Befreiung der Frauen“) in Paris, der berüchtigten Klage gegen den Stern und der Legalisierung der Abtreibung – nur oberflächlich behandelt. Wirklich genauer wird im Grunde auf fast gar nichts eingegangen – eher handelt es sich hierbei um eine Aufzählung von Schwarzers „Greatest Hits“, begleitet von Bemerkungen der Titelfigur. Auch vom Filmtechnischen her schreckt Derflinger vor dem Experimentellen eher zurück und lässt das gesammelte Material mehr oder weniger für sich sprechen.

Leider verliert die Doku mit der Zeit das Momentum, das sie anfangs mit den Aufnahmen scharfsinniger Debatten aufbaute. Für einen Film über die berüchtigte Alice Schwarzer ist dieser Beitrag doch recht konfliktscheu. Von bekannten Skandalen wird nur wenig oder gar nicht berichtet und größere Kritikpunkte – auch seitens der feministischen Bewegung selbst – werden höchstens erwähnt, um anschließend sofort von Schwarzer im Keim erstickt zu werden. Berechtigte Gegenargumente zu Themen wie Sexarbeit und Kopfbedeckung werden als haltlose Angriffe (post)moderner „Linksliberaler“ abgetan, die wohl überhaupt nicht verstehen, worum es beim Feminismus tatsächlich ginge. Schwarzer scheint solche Einwürfe nicht einmal wirklich ernst zu nehmen – und Derflingers Film tut es auch nicht.

Das Resultat ist eine Art filmische „Wiedergutmachung“ an der Protagonistin für all die Leiden, die sie im Zuge ihrer Karriere ertragen musste. Ohne Kontra fehlt „Alice Schwarzer“ eine gewisse Spannung, wodurch die Dokumentation im Laufe ihrer zu langen 136 Minuten Spielzeit auch nach und nach das Interesse des Zuschauers verliert.

Fazit

„Alice Schwarzer“ ist ein Dokumentarfilm über eine der kontroversesten Persönlichkeiten unserer Zeit, dem allerdings die Zähne fehlen. Die Frage, für wen er eigentlich gemacht sein soll, ist nicht ganz einfach zu beantworten: Fans von Schwarzer erhaschen nur wenig neue Einblicke, Kritiker werden gar nicht erst beachtet und diejenigen, die noch nicht so vertraut mit ihr sind, können sich hiernach nur ein recht einseitiges Bild machen. Im Grunde ist dieser Film hauptsächlich für eine Person gedacht: Alice Schwarzer. Ab 13.5. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

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Bild: © Derflinger Film