In einer immer unübersichtlicher werdenden Filmwelt ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten, was wann, wo und wie veröffentlicht wird. Und selbst, wenn man gleich mehrere Streaming-Abos sein Eigen nennt und auch das Kino nicht scheut, wird es immer schwieriger, zu entscheiden, was man denn sehen möchte. Oder soll. Gerade Streamingdienste wirken für viele Konsumenten inzwischen wie überladene Stauräume, wo niemand mehr weiß, was genau sich darin eigentlich alles befindet. Es braucht Guides und Landkarten, Kompasse und Orientierungspunkte von Experten, die für etwas Ordnung im Chaos sorgen und zeigen, worauf man seinen Blick richten sollte.

Die Redaktion von Film plus Kritik versucht das in unserem neuen Feature „Fimtipps aus der Reaktion“. Am Ende jeden Monats stellen unsere Kritiker/innen und Autor/innen jeweils bis zu 5 persönliche Fim- (und Serien-) Tipps vor, die wir für unbedingt sehenswert halten. Einerseits soll damit, wie oben erwähnt, ein Guide oder Leitfaden entstehen, was man auch abseits aktueller Neustarts schauen könnte, quasi die Spreu vom Weizen trennen, den filmischen Müll und die Massenware von den kleinen Perlen. Andererseits soll soll so auch eine Form der kritischen „Kuratierung“ stattfinden, indem wir persönliche, individuelle und dem jeweiligen Geschmack des Autors / der Autorin entsprechende Mini-Programme fürs Heimkino zusammen- und vorstellen. Dazu gibt es die jeweiligen Infos, wo und wie der entsprechende Titel aktuell zu sehen ist.

Viel Spaß beim Lesen und Schauen!

5 Tipps von Natascha Juràcsik (Kritikerin):

  • Revenge (2017): „Promising Young Woman” brachte im Zuge der „Me Too“-Bewegung das heikle Thema der Vergewaltigung aus Sicht einer Frau auf die Leinwand – doch im Grunde handelt es sich hierbei um eine Thematik, die im Horror schon seit langem behandelt wird. Zwar werden sogenannte „Rape Revenge“-Streifen teils berechtigt kritisiert, doch dieser Film von Regisseurin Coralie Fargeat gibt dem Genre einen modernen Anstrich mit wundervollen Bildern, einem tollen Soundtrack und befriedigendem Ende. Zu finden ist „Revenge“ auf Amazon Prime.
  • Rope (1948): Alfred Hitchcock hat so viele brillante Filme gemacht, dass man der Geschichte fast verzeihen kann, wie sehr „Rope“ in seiner Filmographie untergegangen ist – aber halt nur fast. Mit beißenden Dialogen und interessanten Charakteren werden hier zwei Ideologien gegenübergestellt, die unsere Moderne geprägt haben. Auch wenn James Stewart eher für „Rear Window“ bekannt ist, sollte man sich seine Rolle als ehemaliger Lehrer zweier höchst unmoralischer junger Männer nicht entgehen lassen. Erhältlich als VOD im iTunes Store.
  • The Collector (2009): Nachdem das Übernatürliche im Blumhouse-Stil nun seinen Platz an der Spitze der Horror-Popularitätsliste langsam abgibt, stehen Slasher und Bodyhorror wieder ganz vorne. Doch bevor man sich neueren Filmen widmet, lohnt sich der Blick in die Vergangenheit, um vergessene Werke wie „The Collector“ neu zu beurteilen. Da er 2009 die „Torture Porn“-Welle knapp verpasste, schaffte er es nur bis zu einem gewissen Kult-Status unter Fans des Genres, aber sehenswerte Effekte, ein unheimlicher Killer und der sympathische Protagonist verdienen eine zweite Chance. Jetzt auf Amazon Prime.
  • Five Came Back (2017): Bei dem Dokumentations-Fieber, das spätestens seit „Making A Murderer“ auf Netflix wütet, ist es eigentlich unerklärlich, warum eine mit A-Listern ausgestattete Produktion wie „Five Came Back“ mehr oder weniger unbeachtet blieb. Eine Mitreißende Aufarbeitung der Geschichte von fünf Old Hollywood Regisseuren, die während des Zweiten Weltkriegs ihre Kameras mit nach Europa nahmen, um auf ihre eigene Weise ihrem Land zu dienen – und die Schrecken dieser Zeit festzuhalten. Zu sehen auf Netflix.
  • Mysterious Skin (2004): Noch bevor er zu einem Liebling von Christopher Nolan wurde, spielte Joseph Gordon-Levitt in diesem verstörenden Drama, welches zwar bekannt ist, aber nicht den Status als Klassiker erreicht hat, den es verdient. Zwei Jungs – einer prostituiert sich und begibt sich somit in Gefahr, der andere glaubt von Aliens entführt worden zu sein und verliert langsam seinen Realitätssinn. Gemeinsam haben sie lediglich ein traumatisches Ereignis aus ihrer Kindheit. Wer tiefgreifende Charakter-Studies mag kann sich „Mysterious Skin“ auf Amazon Prime ansehen.

5 Tipps von Christoph Brodnjak (Kritiker):

  • Lawrence von Arabien (1962): Das Epos von David Lean ist zwar wahrlich kein Geheimtipp, aber trotzdem vor allem dann zu empfehlen, wenn man die Möglichkeit hat, ihn auf der großen Leinwand in 70mm zu sehen. Ein epischer Mix aus beindruckenden Bildern, mächtigen Soundtrack und tollen Schauspielern. Trotz der langen Laufzeit und dank der Intermission zieht sich der Film an keiner Stelle. (Vor kurzem im Gartenbaukino in Wien gezeigt, wo er zumindest jährlich gespielt wird. Darüber hinaus auf Sky im Abo und anderswo als VOD zu sehen.)
  • Fürchte dich nicht, Jakob (1981): Ein intimes Historiendrama, spielend in Russland um die Jahrhundertwende, zu einer Zeit, in der es zu einer Welle an Pogromen gegen die dort lebende jüdische Bevölkerung kam. Mit Andre Heller in der Hauptrolle, der seinen Charakter ganz untypisch zurückhaltend und gar nicht extravagant spielt. Ein eher meditativer langsamer Film, aber mit einem durchaus aufwühlenden Ende. (Zu sehen auf Amazon Prime.)
  • Ein echter Wiener geht nicht unter / Das Salz der Erde (1975): Bekannt sich heutzutage vermutlich am ehesten noch die jährlich ausgestrahlten Folgen „Stille Nacht“ und „Jahreswende“. Aber auch der Rest der zwischen Sitcom und Sozialdrama angesiedelten Serie rund um den typischen Wiener Arbeiter Edmund „Mundl“ Sackbauer ist es wert, angesehen zu werden. Als Tipp: zumindest die ersten beiden Folgen ausprobieren, die ursprünglich als Fernsehzweiteiler konzipiert worden waren. (Zu sehen auf Flimmit.)
  • Serendipity (2001): Die perfekte Mischung aus Schmalz und Romantik für einen faulen Abend auf der Couch. In dieser Rom-Com mit John Cusack und Kate Beckinsale geht es um Zufälle, Liebe und Destiny. Ein Film, bei der die Chemie zwischen den beiden Stars so wirklich stimmt. (Zu sehen auf Netflix.)
  • Hoffmanns Erzählungen (1923): Eine Reihe an phantastischen und übernatürlichen Episoden, in denen der Student Hoffmann den Fallen des Teufels ausweichen muss, um die wahre Liebe zu finden. Einige Elemente und Motive sollten bekannt vorkommen, wie Hoffmanns Sandmann. Beindruckend inszeniert, mit dem Einsatz diverser optischer Tricks und Effekten und dem Spiel mit Farben und Schatten. (Vor kurzem im Metrokino des Filmarchiv Austria zu sehen.)

4 Tipps von Cliff Brockerhoff (stv. Chefredakteur, Kritiker)

  • Encounter (2021): Wer Selena Gomez an Slayer reiht, hat Eier. Und die hat „Encounter“ zweifelsfrei, umhüllt er doch seine dramatische Familiengeschichte in einer Mischung aus Mystery und kosmischem Body-Horror. Dass das funktioniert, grenzt an ein Wunder, lässt sich aber mit dem tollen Drehbuch, einem perfekten Gespür für Tempo und dem atmosphärischen Soundtrack begründen, der die eindrucksvollen Bilder spielerisch untermalt. Stark gespielt, keine Minute zu lang, absolute Überraschung. (Amazon Prime)
  • Die Geisha (2005): Durch seine erhabene Eleganz, die selbstverständliche Theatralik und doch zügige Erzählweise gelingt „Die Geisha“ eine demütige Verbeugung vor der fernöstlichen Kultur, die der Film in zum Sterben schöne Bildgewalt hüllt. Trotz ausladender Spielzeit nur minimal zu lang und aufgrund der zeitlich versetzten Geschichte stets abwechslungsreich und unterhaltsam. Eine der erwachsensten Romanzen der Neuzeit. (Netflix)
  • Short Term 12 (2013) Es ist gar nicht die Rahmenhandlung, die „Short Term 12“ so gut macht, es sind vielmehr die tragischen Einzelschicksale der vielschichtigen Charaktere, die unter die Haut kriechen und an die Nieren gehen. Dabei bewahrt sich der Film bei aller thematischen Schwere fast durchgehend eine bittersüße Leichtfüßigkeit, ohne die er nur schwer zu ertragen wäre. Ein eindrucksvoll gespieltes Drama, herzerwärmend und -zerreißend zugleich. (Amazon Prime)
  • The Kid Detective (2020): Was als triviale und ordentlich zynische Hommage an typische Detektiv-Filme beginnt und dabei durchaus zum Lachen anregt, gipfelt bei „The Kid Detective“ mehr und mehr in einen spannenden Thriller, der mit seinem bitterbösen Twist einen unerwartet emotionalen Tiefschlag landet. Kein Genre-Meisterwerk, aber eine clever konstruierte Melange mit eigenem Charakter. (Sky)

5 Tipps von Christian Klosz (Chefredakteur, Kritiker)

  • Red Rock West (1993): Clever konstruierter Independent-Neo-Western, der klassische Motive des Genres aufgreift und sie in die Gegenwart (damals: die 90er) transportiert. Nicolas Cage überzeugt als Nobody und Everyman, den sein moralisches Gewissen vom Rest der Welt (u.a. Dennis Hopper als fieser Auftragskiller) abhebt. Einer dieser kleinen, gut produzierten Mid-Budget-Filme, die Genrekunst mit Anspruch verbinden und die es heute leider kaum noch gibt. (als VOD bei diversen Anbietern)
  • The Paperboy (2012): Ein schmutziger, schwüler, überhitzter Thriller aus den abgelegenen Sümpfen Floridas und darüber, was dort vor sich geht (und man lieber nicht wissen wollen würde): Ein Film, der nicht nur dadurch glänzt, was er erzählt, sondern vor allem wie er es erzählt. Nebenbei brilliert Nicole Kidman als white trash-Sexbombe (inkl. simuliertem Blowjob) und Regisseur Lee Daniels („Precious“) beweist, dass es schon großartige und authentische afro-amerikanische Filmemacher gab, bevor das im woke-Hollywood in Mode kam. (Im Abo bei Joyn, bei diversen Anbietern als VOD und bei mehreren Prime Video Channels im gratis Testzeitraum)
  • Chinatown (1974): New Hollywood-Klassiker, der jederzeit eine Neuentdeckung Wert ist: Jack Nicholson überzeugt in diesem Neo-Noir-Krimi als ge- und durchtriebener Privatschnüffler à la Hammett, der unvermittelt in ein enges und undurchdringliches Netz aus Korruption, Gewalt, Gier und Perversion gerät und am Ende nur mehr dabei zusehen kann, wie eine Welt, die nicht mehr zu retten ist, ihren gewohnten Gang in den Abgrund weitergeht – Herrliche New Hollywood-Hoffnungslosigkeit par execellence. (Im Abo bei Joyn, bei diversen Anbietern als VOD und bei mehreren Prime Video Channels im gratis Testzeitraum)
  • Wild Wild Country (2018): Eine großartige Doku-Miniserie, die völlig zurecht den Emmy in ihrer Kategorie gewann: „Wild Wild Country“ erzählt die packende, teils unglaubliche und faszinierende Geschichte des Philosophie-Gurus Osho (oder Rajneesh, Bhaghwan) und seiner spirituellen Sannyas-Bewegung, dem Versuch, in the middle of nowhere in the USA eine Kolonie, eine neue Gesellschaft aufzubauen – der schließlich grandios scheiterte. (Netflix)
  • Outer Range (2022): Die interessanteste Serienentdeckung des Jahres und eines der ersten Werke überhaupt, das die durch multiple Krisen (Pandemie, Krieg, Klima…) erschütterte Gegenwart und deren verunsicherte Gesellschaften abbildet, be- und verarbeitet und das durchdringende Gefühl der umfassenden Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und das Wegbrechen jeglicher Sicherheiten und Gewissheiten einfängt, das unsere Zeit kennzeichnet. Ein zutiefst literarisches und poetisches Werk, das aus der aus kollektivem Trauma geborenen Sprachlosigkeit eine eigene Film- und Erzählsprache entwickelt, die von Mythen und Glauben durchtränkt ist und trotzdem so vieldeutig und schwer fassbar bleibt, wie die Handlung selbst, die sie abbildet. (Amazon Prime Abo)

Bild: Fotomontage (c) filmpluskritik