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„Men“ – Kritik zum Kinostart

Das Independentstudio A24 hat sich in den vergangenen Jahren vor allem mit Filmen einen Namen gemacht, die ungewöhnlich oder sehr eigenwillig, dabei aber emotional oder persönlich sind und gleichzeitig künstlerische Ansprüche bedienen. Das Portfolio reicht dabei von Comedydramen („Lady Bird“) über abgefahrene Crimethriller („Springbreakers“) bis hin zu waschechten Horrorfilmen, die dann meistens sogar noch mit dem absoluten WTF-Moment aufwarten („Hereditary“).

von Madeleine Eger

Zu denen gehört auch „Men“, der neue Film von Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland. Der Brite gab mit dem gefeierten „Ex Machina“ sein Regiedebüt, tappte mit dem Nachfolger „Annihilation“ gleichwohl im Sci-Fi Milieu und bedient sich in all seinen Werken Symboliken, die die Filme metaphorisch anreichern und durchaus Diskussionsstoff bieten. Garland ist ein Regisseur, der interessante Dynamiken aufbaut, provokative Bilder liefert und nicht davor zurückschreckt, seinem Publikum mit einem einzigen Moment den Boden unter den Füßen wegzureißen, um dieses ganz bewusst in die Weiten der eigenen Gedankenwelt zu entlassen. Auch wenn „Men“ überwiegend mit recht eindeutiger Bildsprache daherkommt, Garland lässt es sich nicht nehmen, ein Finale zu servieren, das alles in Frage stellt und über das man noch lange und viel reden kann, – wenn man sich dann erst mal wieder von der Groteske erholt hat …

Als Harper (Jessie Buckley) endlich den Entschluss fasst einen Schlussstrich unter die kranke Ehe aus physischer und psychischer Gewalt zu setzen, verliert ihr Mann James (Paapa Essiedu) die Fassung und droht damit, sich selbst zu verletzten, sich sogar das Leben zu nehmen. Mit aller Kraft und allem Mut geht sie dennoch den Schritt und muss sich einem tiefschneidenden Erlebnis stellen, das bei ihr ein deutliches Trauma hinterlässt. Um sich davon zu befreien, mietet sich Harper einige Zeit später ein riesiges Anwesen auf dem Land. Aber nicht nur der Besitzer Geoffrey (Rory Kinnear) verhält sich ihr gegenüber seltsam, auch die anderen Männer in dem kleinen Dorf (alle ebenfalls gespielt von Rory Kinnear) sind Harper alles andere als wohlgesonnen. Und dann taucht plötzlich noch ein Fremder auf, der ihr auf Schritt und Tritt folgt. Statt dem friedlichen, heilenden Paradies eröffnet sich vor Harper geradewegs die Hölle, aus der sie versuchte zu entkommen …

Schwer fallen die dicken Regentropfen in der orangegesättigten, bedrohlichen Szenerie vor den Augen der jungen Frau herunter, in deren Gesicht sich pure Fassungslosigkeit, Angst und Ohnmacht widerspiegeln. Ein Moment, eingefangen in Zeitlupe, so unwirklich wie der Körper, der in dem Regen ebenfalls vom Himmel zu fallen scheint. Harper blickt in das verzerrte Gesicht ihres Mannes, bevor sie den Halt verliert und schutzlos in der Ecke kauert. Es ist allerdings nicht nur der Anblick, der sich in ihr als Trauma manifestiert, sondern auch der Streit, der zuvor stattfand, in dem ihr Ehemann ihr bewusst manipulativ seelischen Schmerz zufügt und ihr eine riesige Schuld aufbürdet. Ein gewaltsames Intro, das es in sich hat und schon jetzt die Grenzen der Zeit verwischt, um mit den angsteinflößenden Gefühlen zu spielen, die in einem Konstrukt aus Realität und Erinnerung hervorbrechen. Und obwohl das Landhaus in der grünen, fast märchenhaft surreal wirkenden Idylle, der perfekt Ort zu sein scheint, um zur Ruhe zu finden, lässt Garland weder seine Hauptfigur noch uns aus dem Unbehagen entkommen. Nicht nur das erste Aufeinandertreffen mit dem grummeligen Besitzer entpuppt sich als höchst unangenehm, spätestens als Harper ungefragt einen Apfel vom Baum pflückt und ihn isst, enthüllt sich nach und nach der Kern des Films, dessen Titel „Men“ bereits eine unbequeme Vorahnung mit sich brachte.

Rory Kinnear, der in jeder Ecke dieses kleinen Ortes sein Unwesen treibt, begegnet uns einmal als Polizist, der Harper verächtlich ihr Urteilsvermögen infrage stellt. Ein anderes Mal als der augenscheinlich fürsorgliche Pfarrer, der dann aber kurzum seine Hand auf das Knie der verletzlichen Frau gleiten lässt oder auch einfach als Stammtischgäste, die Harper schon fast gierig wie ein Stück Fleisch betrachten. Dabei bleibt im Unklaren, ob oder warum sie nicht sieht, was wir bereits von Anfang an sehen – eine ganze Palette toxischer Männlichkeit mit ein und demselben Gesicht. Eine schwere Thematik, die der Regisseur zwar ausreizt, es aber dennoch provokativ seinem Publikum zur Interpretation zur Verfügung stellt. Unter mystischen, zuweilen unheimlichen, sich ins Mark schleichenden Sounds von Ben Salisbury und Geoff Barrow etabliert sich dabei eine erdrückende Atmosphäre. Immer bedrohlich, immer fordernd. Selbst eine der besten Szenen (neben dem grotesken Finale mit handfestem und mehr als blutigem Bodyhorror) kippt vom Wunderschönen in die nackte Angst. Das nämlich, als Harper vor einem langen Tunnel steht, mit dem Echo ihrer Stimme ein faszinierendes Klangkonzert anstimmt, ihr dann allerdings ein sich aufbäumender Schrei aus der Dunkelheit entgegenrollt. Ein Augenblick, der einem den kalten Schauer über den Rücken jagt und einen kaum auf das Grauen vorbereiten kann, was Garland noch für sein Publikum bereithält.

Fazit

Bildsprachlich ist „Men“ oft entweder zu deutlich oder zu vage. Thematisch größtenteils zu offensiv, dann wieder mit dem größtmöglichen Interpretationsspielraum. Als mystischer Folk-Horror mit erdrückender Atmosphäre, ekstatischem Farbspektrum und markerschütterndem Sound, ist „Men“ ein herausforderndes Werk, an dem sich die Gemüter scheiden werden.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(77/100)

Bilder: ©Koch Films

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