Dass sich Horrorfilme besonders gut dafür eignen soziale Missstände zu verarbeiten, ist keine Neuheit. Die Möglichkeit reale Problematiken mit teils übernatürlichen, teils spirituellen Komponenten zu verbinden sorgt einerseits für Abwechslung und verleiht den dramatischen Geschichten eine kreative Ebene, sodass eine größere Zielgruppe angesprochen und für das Thema sensibilisiert werden kann. Vielen missfällt der Ansatz, da die Horror-Elemente oft zu kurz kommen und das Marketing somit irreführend sein kann. Ein Vorwurf, den sich auch „Nanny“ gefallen lassen muss.

von Cliff Lina

Als Mischung aus Horrorfilm und Drama beworben dreht sich die Geschichte um Aisha, eine senegalesische Einwanderin, die nun versucht in den USA Fuß zu fassen. Als sich für die ehemalige Lehrerin eine Stelle als Kindermädchen ergibt, scheint ihr Traum wahr zu werden. Die Harmonie zwischen ihr und der Familie passt, doch als die Überstunden zunehmen und die Zahlungen ausbleiben, entstehen immer öfter Konflikte. Als die junge Frau, die selber bereits Mutter ist, dann auch noch von Halluzinationen und Albträumen geplagt wird, muss sie erkennen, dass ihr Leben vor einem dramatischen Wendepunkt steht.

Direkt zu Beginn des Films wird ersichtlich, dass Regisseurin Nikyatu Jusu ein feines Gespür für ihr Handwerk hat. Schon die Schrift im Vorspann ist irgendwie auffällig, einzelne Buchstaben sind mit einer Art Spinnenbeine verziert, innerhalb der Worte ist ein Farbverlauf zu erkennen. Für einige womöglich im ersten Moment komplett irrelevant, aber im Laufe des Films soll sich zeigen, dass hier alles Hand und Fuß hat – was bei einem Debüt absolut beachtlich ist. Die visuelle Ebene stellt eine der großen Stärken des Films dar, überrascht immer wieder mit wundervoll arrangierten Szenenbildern, stimmigen Farbkontrasten und erinnert mit seiner Verspieltheit phasenweise an Barry Jenkins „Moonlight“, was durchaus Geschick und auch Mut erfordert. Inhaltlich ist das Werk der Frau aus Sierra Leone nämlich gar nicht so einfach zu packen, erst ganz zum Schluss fügen sich die Einzelheiten zusammen und schlagen eine Brücke zu vorangegangen Szenen, die für sich genommen noch wenig Sinn ergeben.

Es erfordert also Geduld, die in Zeiten von überbordendem Handykonsum und immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen oft schon zu viel verlangt ist. Wer bei „Nanny“ nicht gewillt ist auf Details zu achten, den Dialogen zu lauschen und sich von der Geschichte mitreißen zu lassen, wird dem Film wenig bis nichts abgewinnen können. Wer aber willens ist sich Zeit zu nehmen, erlebt einen wendungsreichen Ausflug in eine fremde Kultur, der sozialkritische Aspekte spielend im Plot verbaut und seine Zuschauerschaft subtil auf Problematiken hinweist. Getragen von einer exzellenten Schauspielleistung der Protagonistin entstehen so immer wieder Momente, die einen mitfiebern und auch mitleiden lassen. Anna Diop verleiht ihrer Rolle eine schöne Varianz und erlebt innerhalb der anderthalb Stunden eine nachvollziehbare Entwicklung, die das Gerechtigkeitsgefühl befriedigt. Jusu hat es geschafft eine starke Frauenrolle zu schreiben, die den Film mühelos auf ihren schmalen Schultern trägt.

Und auch inszenatorisch findet „Nanny“ einen guten Mittelweg zwischen moderner Ausprägung und traditionellen Elementen. Das Gefühl des Fremdseins wird durch die ruhige Herangehensweise und einzelne Unterhaltungen schnell greifbar, der Wunsch nach Anerkennung und fairer Behandlung spielt thematisch eine gewichtige Rolle und wird von Zeit zu Zeit auf diverse Arten aufgegriffen. Darüber hinaus öffnet der Film irgendwann die oben angesprochene, spirituelle Ebene und lässt afrikanische Gepflogenheiten in die unterkühlte Atmosphäre der amerikanischen Großstadt einfließen. Für sich genommen ist jede Komponente somit gut umgesetzt, nur im Zusammenspiel lässt sich eine gewisse Grobmotorik in der Feinabstimmung nicht von der Hand weisen. Wenn Jusu es schafft zukünftig einen besseren Fokus zu finden, darf man gespannt auf ihre weitere Schaffensphase blicken.

Fazit

In „Nanny“ verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Vision fließend. Ein mit afrikanischer Folklore angereicherter Kommentar auf soziale Ausbeutung und den Ausschluss vom amerikanischen Traum, tendenziell künstlerisch gestaltet und immer wieder wunderschön bebildert. Einzig die einzelnen Storyelemente fügen sich nicht so flüssig zusammen, wie man es sich wünscht. Nichtsdestotrotz ein interessanter Ansatz im sonst so farblosen Genre.

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

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Bilder: ©Amazon Prime Video