Spätestens seit dem weltweiten Erfolg von „Parasite“ genießt der asiatische Film auch in unseren Gefilden ein höheres Ansehen. Ob die Oscar-Dominanz rückblickend betrachtet verdient war, steht sicherlich zur Debatte. Fest steht aber auch, dass immer mehr Filme aus Fernost zeitnah zu uns schwappen und endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die dem Herzblut der Macher angemessen ist. Ein Mann, der sich all diesen Problemen schon lange entledigt hat, ist Park Chan-wook, der durch Filme wie „Oldboy“ oder „Die Taschendiebin“ längst eine überregionale Anhängerschaft hinter sich versammeln konnte.

von Cliff Lina

Doch die blinde Wut seiner Werke ist mit Verlauf gewichen und hat Platz gemacht für tiefgreifendere Geschichten, die verschiedenen Emotionen Raum zur Entfaltung lassen. So auch in „Die Frau im Nebel“, der im Original den treffenderen Titel „Decision to leave“ trägt. Inhaltlich wird dabei die Geschichte des Polizisten Hae-joon erzählt, der mit der Ermittlung eines vermeintlichen Selbstmordes betraut wird. Im Zuge dessen trifft er auf Seo-rae, die Witwe des Verschiedenen, die ihm aufgrund ihrer unterkühlten Reaktion von Anfang an verdächtig erscheint. Doch die Indizien entlasten die junge Frau, oder werden Hae-joon lediglich von seinen aufkeimenden Gefühlen und der permanenten Schlaflosigkeit die Sinne vernebelt?

Im Kern bebildert „Die Frau im Nebel“ also eine verschachtelte Kriminalgeschichte, die auch immer wieder in semi-romantische, beinahe metaphorische Gefilde vorstößt um die Beziehungen untereinander zu vertiefen, respektive zu verkomplizieren. Denn ebenso wie der überforderte Polizist können auch wir irgendwann nur noch schwer entscheiden was wirklich vor sich geht. In einem Moment scheint der Fall glasklar, doch je weiter der Film voranschreitet, umso mehr Motive ergeben sich und spätestens als das Werk sich gänzlich den technischen Spielereien hingibt, verschwindet auch die Erkenntnis im Nebel und weiß uns ein ums andere Mal hinters Licht zu führen. Was die Art der Inszenierung anbelangt spielt Park Chan-wook dieses Mal in einer ganz eigenen Liga. Auch wenn sich immer mehr Filme an Montagen, Überblendungen und artistischem Schnickschnack versuchen, in „Die Frau im Nebel“ erreicht das Maß an Virtuosität ein anderes Level, das man so noch nicht gesehen hat.

Szenen fließen ohne sichtbare Übergänge ineinander, wechseln immer wieder die Zeitlinie, lassen Dialoge im Off aufeinanderprallen um sie Minuten später bildlich aufzugreifen und die Masse an Details hebt insbesondere die Kameraarbeit gekonnt hervor. Fetischisten visueller Erhabenheit werden hier zweifelsfrei den einen oder anderen Höhepunkt erleben, doch kann die erzählerische Intelligenz mit der technischen Finesse mithalten? Teilweise. Es gibt zahlreiche Momente, da packt einen die Geschichte und die sich ergebenen Wendungen liefern Zündstoff für eine spannungsgeladene Fortführung. Doch gerade gegen Ende der stellenweise zähen 140 Minuten wirken viele Szenen so als wolle der Regisseur lediglich nochmal sein Können unter Beweis stellen. Konfusion rein um der Konfusion willen, und nicht weil es den Film um eine Sushirolle voranbringen würde. Manchen wird dieses Verwirrspiel möglicherweise gefallen, andere werden entnervt die Essstäbchen ins Korn werfen.

Letztlich drängt sich somit schon die Frage auf ob Park Chan-wook möglicherweise altersmüde geworden ist und nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen kann, die, so gerne man sie verneinen möchte, nicht ganz unbegründet ist. Der Mut seinen Fokus weg von der Story und hin zur Umsetzung zu verlagern bedarf Respekt, doch um die mehr als zwei Stunden Laufzeit mit Unterhaltungswerten zu versehen reicht dieser Ansatz nicht. Dafür fehlt der nüchterne Nihilismus eines „Oldboy“, die atmosphärische Andersartigkeit eines „Die Taschendiebin“ oder auch die schonungslose Skurrilität eines „Durst“. Sein neuer Versuch vermischt all diese Komponenten, lässt seine Zuschauerschaft aber mit der unerklärten Anziehungskraft seiner Protagonisten alleine und kann sich am Ende kein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten, sodass dem Film die emotionale Durchschlagskraft abgeht und man nur schwer mit Kritik hinter dem Berg halten kann. Vielleicht zeigt sich die Genialität jedoch auch erst beim zweiten Durchlauf, der dann hoffentlich etwas weniger überfordernd ist.

Fazit

Die stumpfe Handkante weicht in „Die Frau im Nebel“ endgültig der feinen Klinge und erzählt ein bitteres Liebesdrama unter dem Deckmantel einer wendungsreichen Kriminalgeschichte. Dabei verlässt sich Park Chan-wook leider etwas zu sehr auf seine wahrlich meisterliche Inszenierung und vergisst bei aller technischen Praktik ab und an den Inhalt voranzutreiben. Im ersten Moment tendenziell ernüchternd, von einer Zweitsichtung könnte das Werk aber zweifelsfrei profitieren. Ab dem 2. Februar im Kino!

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

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Bilder: ©Cannes 2022/CJ ENM Co., Ltd., MOHO FILM., Plaion Pictures