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“The Son”: Kritik zum Kinostart

Der langjährige und erfolgreiche Theaterregisseur Florian Zeller wagte 2021 den Sprung ins Filmgeschäft. Sein gefeierter Debütfilm „The Father“, den er von seinem eigenen gleichnamigen Stück adaptierte, wurde später mit zwei Oscars ausgezeichnet. Das klaustrophobisch anmutende, kammerspielartige Demenzdrama mit Oscarpreisträger Anthony Hopkins als pflegebedürftigen Vater bot nicht nur eine beklemmende Atmosphäre. In dem Apartment, in dem sich Erinnerungen verschoben und überlagerten, vermengten sich zeitgleich die Perspektiven der Familienmitglieder zu einem berührenden Porträt einer heimtückischen Krankheit.

von Madeleine Eger

„The Son“ ist nun die zweite Theaterstückadaption aus Zellers Trilogie, die von den Auswirkungen und den Schwierigkeiten im Umgang mit mentalen Erkrankungen erzählt. Während der Filmfestspiele in Venedig uraufgeführt, stützt sich das Familiendrama diesmal auf überforderte Eltern, die mit der Krankheit ihres Teenagers an ihre Grenzen stoßen. Dass Zeller allerdings gleichwohl mit seinem Drehbuch zu „The Son“ an Grenzen stößt, macht sich schnell bemerkbar, wenn das Drama nämlich zunehmend manipulativer auf Emotionsfang geht …

Gerade könnte es für Peter (Hugh Jackman) nicht besser aussehen. Gemeinsam mit seiner neuen Frau Beth (Vanessa Kirby) hat er einen Sohn bekommen und auch im Job warten gutbezahlte Angebote auf ihn. Ohne Vorankündigung steht dann jedoch seine Ex-Frau Kate (Laura Dern) vor der Tür. Aufgelöst berichtet sie ihm davon, dass ihr gemeinsamer 17 Jahre alter Sohn Nicholas (Zen McGrath) schon seit vier Wochen nicht mehr in die Schule war und er sich auch deutlich verändert hätte. Besorgt geben sie Nicholas Wunsch nach von nun an bei Peter und seiner neuen Familie zu leben. Aber auch wenn sein Vater fest entschlossen ist, Nicholas durch die schwere Zeit zu begleiten, geht es dem Teenager nicht besser. Jegliche Versuche, dem Jungen die einstige Fröhlichkeit zu entlocken und ihm wieder auf die Beine zu helfen, misslingen. Die Situation spitzt sich zu und Kate und Peter müssen erkennen, dass sie ihrem Sohn nicht die Hilfestellung bieten können, die er so dringend braucht.

Das Drehbuch zum Familiendrama schrieb Florian Zeller mit Beginn der Pandemie. Zu der Zeit, in der die Einschränkungen immer häufiger zu psychischen Problemen führten und eine weitreichende Krise und Debatte zur mentalen Gesundheit auslöste. Dem Regisseur war es also nun ein Anliegen, das einstige Tabuthema aufzugreifen und mit seinem Film zu verarbeiten. Das größte Manko von „The Son“ ist jedoch, dass Zeller ihn nicht wie noch zuvor „The Father“ aus wenigstens zwei Perspektiven erzählt. Hier schildert er eine schwer in Worte zu fassende Depression ausschließlich aus der Sicht der Angehörigen. Dies erweist sich vor allem für die dargestellte Figur des 17-jährigen Highschoolschülers, der zunächst als gewisser Ankerpunkt der Geschichte fungiert, als fatal. Mehr als einmal macht dieser deutlich, dass er Schwierigkeiten hat, sich noch im Leben zurechtzufinden und sich mit einer erdrückenden Überforderung konfrontiert sieht. Stimmungsschwankungen, Unfreundlichkeit und Verschwiegenheit bis hin zur Selbstverletzung des Jungen als möglichen Schutzmechanismus oder Bewältigungsstrategie einzuordnen und nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen den Szenen herzustellen verpasst Zeller beispielsweise. Nicholas verkümmert so in seiner Eindimensionalität als schnell gereizter, trauriger und sich zurückziehender Teenager, zum bloßen Mittel zum Zweck für das elterliche Leid. Zen McGrath Schauspiel fehlt es durch diese seelenlose Charakterausarbeitung an Nachdruck, und im Zusammenspiel mit den beiden Hollywoodgrößen geht er regelrecht unter. Hugh Jackman und Laura Dern, die hier sichtlich bemüht sind, aus den vielfach mechanischen Dialogen alles herauszuholen, dürfen als besorgte Eltern trotzdem nur mit Hilflosigkeit, (Selbst-)vorwürfen und Schuldgefühlen reagieren. Was im Kontext mit vielen gedankenverlorenen, leeren Blicken ins Nichts zusehends an Gewicht verliert und unterlegt mit überbordendem Score unpassende Melodramatik heraufbeschwört. Eigeninitiative der Eltern, sich beispielsweise weiterführend zu informieren, zeigt dieser Film kein einziges Mal. Stattdessen wird neben dem problemlos organisierten Therapieplatz immer wieder leidvoll darauf gewartet, dass der Sohn schnell zu seiner vorherigen fröhlichen Form zurückkehrt.

Der spätere Erklärungsversuch, warum sich Peter im Umgang mit Nicholas so schwertut, wird mit einem Gastauftritt von Anthony Hopkins als gefühlskalter Vater der älteren Generation eingeflochten. Mit dem in dieser Szene stattfindenden harschen wie schmerzhaften Gespräch verschiebt Zeller nun die Bedeutung seines Filmtitels. Ein aufkeimender Generationenkonflikt, der obgleich seiner starken Relevanz dabei dennoch unverschämt oberflächlich bleibt. Denn obwohl Peter offenbar der in diesem Augenblick zumindest im Ansatz zu verstehen scheint, was er selbst im Umgang mit seinem Sohn und auch seiner neuen Familie ändern müsste, zieht Zeller keine klaren Konsequenzen für dessen Charakterentwicklung. Stattdessen nutzt der Regisseur ähnlich wie auch Lukas Dhont („Girl“ , „Close“) einen manipulativen Höhepunkt, der in „The Son“ zwar schon lange erwartbar war, aber dennoch durch den Schockmoment nur noch entsprechende Sympathien hervorlocken soll. Und das ist insgesamt betrachtet angesichts des dringlichen und wichtigen Diskurses am Thema vorbeierzählt.

Fazit

Keine erkennbare Charakterentwicklung, kein nennenswert wichtiger Beitrag für Betroffene, keine Konfrontation mit einem System, das Menschen mit zu wenigen Behandlungsplätzen und spärlichen Präventionsmaßnahmen viel zu oft im Stich lässt. Ein Film, der ganz offensichtlich ziemlich ahnungslos über Personen mit Depressionen spricht, aber an keiner einzigen Stelle mit ihnen. „The Son“ ist schlussendlich nicht viel mehr als hochgradig manipulativ und maßlos enttäuschend. Seit 26.1. im Kino.

Bewertung

Bewertung: 1 von 10.

(14/100)

Bild: (c) Leonine

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