von Paul Kunz
Film plus Kritik: Hallo, Florian! Vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Gespräch nimmst.
Florian Hoffmeister: Vielen Dank für’s Interesse!
Film plus Kritik: Mich würde zu Beginn interessieren, wie die Arbeit mit dem Regisseur von TÁR, Todd Field, zustande kam. Kanntet ihr euch bereits vor der Zusammenarbeit?
Florian Hoffmeister: Wir kannten uns nicht, ich war aber ein Fan! Ich erinnere mich noch sehr genau als IN THE BEDROOM erschien, Todds erster Film. Das war kurz nachdem ich selber aus der Filmhochschule in Berlin kam und ich dabei war, meinen ersten Spielfilm als Regisseur zu realisieren. Es gab unglaubliche Hindernisse mit der Finanzierung, wir waren kurz davor aufzugeben. Damals habe ich IN THE BEDROOM gesehen. Der Film hatte – mir fällt’s grad nur auf Englisch ein – so eine conviction. Für mich war das ein Ausdruck von: Das ist möglich. Und dann habe ich meinen ersten Film, 3° KÄLTER, gemacht. Ich hätte nie gedacht, dass ich 20 Jahre später mit Todd in dieser Konstellation zusammenarbeiten würde.
Todd wollte explizit mit europäischem Team drehen. Er hat meine Kameraarbeit für die Serie THE TERROR gesehen. Die spielte in der Arktis, wurde aber im Studio gedreht. Todd war beeindruckt von der Natürlichkeit des Lichts trotz der artifiziellen Produktionsbedingungen, daraufhin hat er mich angerufen. Ich hab natürlich nicht lange gezögert!
Film plus Kritik: Wenn du das Drehbuch liest, hast du dann gleich Bilder im Kopf, wie du den Inhalt umsetzen möchtest?
Florian Hoffmeister: Im ersten Kontext lese ich das Buch, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Das ist aber nur der Anfang einer Diskussion. Todd ist ein wirklicher Autor: Er hat das Buch geschrieben, den Film produziert und ist Regisseur. Gerade bei so jemandem ist meine Aufgabe als Kameramann erstmal die, zuzuhören und ein Verständnis dafür zu entwickeln, was er eigentlich vorhat.
Was mich an dem Buch fasziniert hat, ist, dass es sehr dialoglastig war. Aber es hatte zwei Ebenen: Es hatte die sehr authentische Beschreibung der Musikwelt – eine Welt, die mir fremd war, das hat meine Neugierde beflügelt. Aber eigentlich geht es um etwas anderes. Um eine Figur, die in diesem Netz gefangen ist und auch andere Menschen fängt. Es geht um diese andere Realität. Und der Film will das nicht didaktisch verfolgen oder abarbeiten, wie man das in einem Psychothriller machen würde. Diese andere Realität treibt ganz langsam nach oben. Das fand ich großartig.
Film plus Kritik: Es gibt also die Musikwelt, darunter aber diese Fragen um Macht. Wovon war die Kamera denn motiviert? Welche Rolle hat die Musik gespielt?
Florian Hoffmeister: Einerseits wollten wir eine authentische Welt zeigen und andererseits die Dinge objektiv beobachten, die dort langsam in den Vordergrund treten. Diese Vermischung von Authentizität und objektiver Beobachtung hatte klare Konsequenzen für die Kamera.
Mit Authentizität meine ich einfach absolute Authentizität von Licht und Raum. Das musste glaubhaft sein. Man durfte nie das Gefühl haben, dass man ein Filmset betrachtet. Und der Objektivität wollte ich durch eine zurückhaltende Beobachtung Ausdruck verleihen. Und wenn man das macht, darf die Musik die Kamera nicht bewegen. Es ist natürlich der Traum eines jeden Kameramanns, dass die Kamera davonfliegt, wenn Mahlers erster Satz kommt. Das durfte sie absolut nicht. Todd hat immer wieder betont, dass alles aussehen sollte wie Arbeit. Es ist schwere Arbeit, die Tag für Tag bei den Orchesterproben geleistet wird.
Film plus Kritik: Diese Authentizität ist meiner Ansicht nach eine große Stärke des Films! Aber trotz der naturalistischen Ästhetik und der objektiven Beobachtung kommt es zu Brüchen. Einige Bilder sind ja ganz stark symbolisch aufgeladen – etwa, wenn Tár beim Dirigieren aus dieser krassen Untersicht zu sehen ist.
Florian Hoffmeister: Das ist richtig. In der Presse kam manchmal der Vergleich mit dem Dokumentarfilm, aber das würde ich so nicht sagen. Diese Brüche waren für mich Erinnerungshaken, bei denen man die Menschen immer wieder aus der Komfortzone herausholt und sagt: „Hier geht es um etwas anderes. Aber ich will nicht sagen, worum es geht. Das musst du selber entdecken.“
Und das Alltägliche gewinnt nur an erneuter Frische, wenn man immer wieder etwas Ungewöhnliches einschiebt. Insofern ist das eine, was schon stimmt, wenn man über Musik und Bildsprache spricht, dass die Bildsprache einen ähnlichen Fluss hat. Es gibt Kontrapunkte, mal einen Paukenschlag, dann wieder eine Streichsersequenz – ein Auf und Ab wie bei einer musikalischen Dichtung.
Film plus Kritik: Du hast vorhin gesagt, dass du in Berlin studiert hast – und ihr habt auch an echten Schauplätzen in Berlin gedreht. Ich fand die Architektur im Film sehr auffällig. Wie war es für dich in Berlin zu drehen und die Architektur dort einzufangen?
Florian Hoffmeister: Das war ganz toll! Ich habe 20 Jahre in Berlin gelebt aber nie dort gearbeitet, immer nur im englischsprachigen Ausland. Als Todd mich anrief und klarer wurde, dass wir das gemeinsam drehen, habe ich ihn gefragt: „Warum willst du eigentlich nach Berlin kommen?“ Berlin ist schwer zu filmen, das Lebensgefühl der Stadt ist schwer zu greifen. London zum Beispiel hat sofort was Ikonisches, egal wo man sich hinstellt.
Dadurch, dass Todd aber mit dieser Neugierde herkam und auch eine Liebe zu Berlin entwickelt hat, konnte ich meinen eigenen Lebensort neu entdecken. Es gab einige Orte, an denen ich noch nie war, die ich gar nicht kannte. Etwa die die Siedlung, wo Társ Assistentin Francesca lebt. Aber auch das In-Town-Apartment, in dem Tár lebt, ist für mich ein Ausdruck von Berlin: weiße Wände, 3,50m Deckenhöhe,… so etwas wollten wir immer, als wir nach Berlin gezogen sind! Es war wirklich ein persönliches Vergnügen, diese Stadt so zu fotografieren.
Film plus Kritik: Ich hatte das Gefühl, dass über die Gebäudewelten eine Aura der Hochkultur heraufbeschworen wird, die aber sehr kühl und distanziert daherkommt.
Florian Hoffmeister: Absolut! Der authentische Ort wird auch als Spiegel der Person ganz wichtig. Gerade in der Wahl der persönlichen Orte von Tár spielt das eine große Rolle. Einerseits dieses sehr repräsentative Milieu, in dem sie sich bewegt und sich selber darstellt. Dann gibt es diesen Rückzugsort, der viel individueller und brüchiger ist.
Film plus Kritik: TÁR ist, wie du auch schon angemerkt hast, sehr dialoglastig. Aber auch die Dialogszenen haben in ihrer Bildsprache eine große Kraft. Wie gehst du diese Szenen an?
Florian Hoffmeister: Ein Gesicht zu fotografieren ist etwas, wo auf eine subtile Art und Weise Eigenschaften gefragt werden, die Bildgestalter brauchen. Ich mochte diese Herausforderung sehr. In der Interview-Sequenz mit Adam Gopnik ging es darum, das Gefühl zu vermitteln, dass das real passiert. Das hat viele Sachen automatisch ausgeschlossen. Wenn Tár zum Beispiel über Leonard Bernstein spricht, hätte man die Kamera dazu bewegen können, um das zu betonen. Aber uns war klar, dass wir die Kamera nicht bewegen, weil jede Bewegung sofort impliziert hätte: Wir sind hier im Film. Und ich finde es wichtig, dass das Bild eine Unausweichlichkeit bekommt, dass man als Zuschauer gar nichts anderes mehr wahrnehmen kann und sich wirklich darauf konzentriert, was jemand sagt. Dann entwickelt sich diese Kraft automatisch, von der du sprichst. Obwohl man zehn Minuten lang Leuten beim Reden zuhört, fängt man an, da drin zu versinken.
Film plus Kritik: Im Kontrast zu dem statisch gefilmten Interview steht das Streitgespräch zwischen Tár und einem ihrer Studierenden im Uni-Hörsaal: ein Long Take, wo es sehr wohl auch Bewegung gibt.
Florian Hoffmeister: Es war sehr schnell klar, dass wir das so machen wollten. Ich fand das aus zwei Gründen interessant. Zum einen, weil wir zu dem Zeitpunkt schon wussten, dass wir in den ersten 15 Minuten des Films letzten Endes nur Szenen haben, in denen zwei Leute sitzen und sprechen. Zum anderen bewegen wir uns in der Uni-Sequenz mit Tár durch ihre Welt, die für sie ja auch intim ist. Das ist der erste Moment, in dem wir sie in ihrem Milieu erleben, in dem sie sich mit Musik auseinandersetzt und was sie daran fasziniert. Auch daher fand ich es super, hier die Kamera zu bewegen.
Todd hat Cate angerufen und ihr gesagt, dass wir die Sequenz in einer Einstellung drehen wollen. Das ist ein Drahtseilakt für sie als Schauspielerin, was sie aber toll fand. Sie hat nur gesagt: „Aber was ist denn mit dem Knie?“ In der Szene spielt das wippende Knie dieses jungen Dirigenten eine Rolle für sie, weil es sie irritiert. Todd und ich haben uns lang damit auseinandergesetzt und uns gefragt: Wie würden wir die Szene fotografieren, wenn es einzelne Einstellungen wären? Die Szene ist schlussendlich genauso aufgelöst, als hätten wir sie in unterschiedlichen Einstellungen gefilmt. Aber Tár bekommt die Macht über den Schnitt, indem sie uns durch die Sequenz führt. Das war der Grundgedanke.
Das macht technisch natürlich auch Spaß. Häufig ist es so, dass die für die Kamera komplizierten Sachen einfach für die Darsteller sind: Der muss bloß rennen und die Kamera muss durch die Luft fliegen, was weiß ich. Und die Sequenz, die für den Schauspieler kompliziert ist, ist für die Kamera oft einfach: Wir filmen bloß ein Close-Up, aber für den Darsteller ist es emotional komplex, das zu spielen. Die Sequenz im Hörsaal ist eine sehr seltene Angelegenheit, wo es beides ist. Es war technisch sehr anspruchsvoll und ist gleichzeitig eine Masterclass dafür, was eine Performance sein kann.
Film plus Kritik: Dieser Einstellung, wie auch dem ganzen Film merkt man die conviction an, um deinen Begriff aufzugreifen. Es ist eine sehr bestimmte, präzise Kamera. Gab es auch Raum für Improvisation?
Florian Hoffmeister: Im Nachhinein klingt das alles immer sehr intellektuell durchdacht. Und natürlich haben wir viel besprochen, aber der Schaffensprozess ist eigentlich ein sehr intuitiv bewusster Prozess gewesen.
Es gibt diese Sequenz, wenn Tár ins Haus ihrer Kindheit zurückkehrt. Sie kommt durch die Tür, geht ins Wohnzimmer, man hört sie Klavierspielen auf dem verstimmten Klavier und dann geht sie die Treppe hoch. Es war immer klar, dass wir sie beim Klavierspiel nicht sehen. Aber zu Beginn war geplant, dass wir ganz langsam mit der Kamera auf sie zufahren, wenn sie durch die Tür reinkommt. Dann haben wir gemerkt- ah, das wirkt ein bisschen auf die Tränendrüse gedrückt. Lass uns langsamer ranfahren und nur halb so weit. Am Ende haben wir’s als feste Einstellung gedreht.
So strukturiert und sicher das im Endausdruck ist, der Weg dorthin ist der, dass man immer wieder das Instrument stimmt. Das bedeutet auch, dass man mal Sachen ausprobiert und sagt: Das ist es nicht. Ich habe das als sehr freien Prozess erlebt.
Film plus Kritik: Du hast für die Kameraarbeit an TÁR schon Preise gewonnen und bist für weitere nominiert, unter anderem auch für den Oscar. Gratuliere dazu! Wie fühlt sich das an?
Florian Hoffmeister: Das ist ein Film, der dem Publikum nicht das Denken abnimmt. Genau die Art Film, die mich selber als junger Mensch zum Kino gebracht hat. An so einem Projekt mit Todd und Cate mitzuarbeiten, ist ein Riesen-Privileg. Aber auch, dass der Film jetzt so wahrgenommen wird, ist eine große Ehre.
Die Oscars sind eine riesige Marketing-Maschine. Die Filme, die da ausgezeichnet werden, werden in den Monaten davor massiv beworben. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist natürlich toll, dass ich für meine Arbeit gesehen werde, ein Zitat von Béla Bartók rufe ich mir aber immer wieder in Erinnerung: „Competition is for horses, not for artists.“
Film plus Kritik: Und aktuell drehst du dein nächstes Projekt in Island, richtig?
Florian Hoffmeister: Genau, ich drehe die neue Staffel der HBO-Serie TRUE DETECTIVE. Diesmal spielt Jodie Foster die Hauptrolle.
Film plus Kritik: Dann wünsch ich viel Erfolg und sage vielen Dank!
Florian Hoffmeister: Eine Sache muss ich noch sagen! Ihr erscheint ja in Österreich: Ich habe das Œuvre von Monika Willi von Anfang an verfolgt. Sie hat viele von den Filmen geschnitten, die mich tief bewegt haben. Als ich erfahren hab, dass sie TÁR schneiden wird, war ich total glücklich und aufgeregt. Sie ist jemand, der den stillen Schnitt liebt und gerade in einem Film, in dem wenig geschnitten wird, wiegt jeder Schnitt umso schwerer. Ich finde, dass sie diesen Film wahnsinnig toll weitergetragen hat. Das war ein Privileg für mich!
Film plus Kritik: Österreich freut sich auch sehr, dass mit Monika Willi eine österreichische Cutterin oscarnominiert ist!
Florian Hoffmeister: Soll sich auch freuen! Also liebe Grüße an Monika Willi aus Island!
Das Interview fand am 24.02.2023 als Online-Videocall statt.
Bilder: (c) Focus Features