Wer die letzten Worte von „John Wick 3: Parabellum“ noch im Ohr hat, wusste sofort worauf er sich beim Abschluss der Reihe freuen kann. Entgegen der neuesten Entwicklungen innerhalb der Story wird der Gejagte wieder mehr zum Jäger, trifft dabei auf alte Freunde, neue Feinde und altbekannte Probleme. Das, was den durchgestylten Anzugträger dabei am meisten einschränkt, ist die Exkommunikation, einhergehend mit dem Wegfall sämtlicher Vorteile des Continental Hotels. Dementsprechend weit muss Wick reisen um sich irgendwie auf seinen letzten Kampf vorzubereiten.

von Cliff Lina

Und so beginnt das vierte und vermeintlich letzte Kapitel der Actionreihe in der fernöstlichen Fremde, wo John schnell feststellen muss, dass seine Feinde ihm bereits eng auf den Fersen sind. Anders als noch im Vorgänger nimmt sich der neue Teil aber mehr Zeit um Atmosphäre aufzubauen und Charaktere einzuführen. Nicht, dass diese großartig Tiefe zugeschrieben bekämen, aber mit jeder Figur gewinnt die Story zumindest kurzfristig an Vielschichtigkeit, auf die in „Parabellum“ zugunsten der Kämpfe weitestgehend verzichtet wurde.

Mit beinahe drei Stunden Laufzeit hat Kapitel 4 natürlich auch genug Zeit um sich Zeit zu lassen, was gerade zu Beginn den Erzählfluss hemmt, da wir erst mal nicht viel Neues erfahren. Doch als in Osaka die erste Patronenkugel den Besitzer wechselt, ist alles vergessen und Regisseur Chad Stahelski beweist, warum sein Franchise zu Recht abgefeiert wird. Wenn sich Wick und seine Kontrahenten durch die Szenerie rollen, schmeißen und jagen, fängt die Kamera regelmäßig surreal wirkende Bilder ein, fasziniert mit kreativen Aufnahmewinkeln und leuchtet jede einzelne Einstellung versiert aus. In den besten Momenten erinnert dies an den Dänen Nicolas Winding Refn, der die neongeflutete Visualisierung perfektioniert hat. Stahelski kupfert aber nicht ab, sondern greift sowohl auf neue Techniken als auch auf bekannte Verfahrensweisen seiner früheren Kapitel zurück. So werden Fans der Reihe direkt eingefangen und laufen doch nie Gefahr sich zu langweilen.

Generell besticht die neue Geschichte mit einem hohen Maß an Abwechslung und kann sich, gerade im Mittelteil, nochmal in ungeahnte Höhen aufschwingen. Es gibt eine Passage in einem Berliner Nachtclub, die von Anfang bis Ende an der Perfektion kratzt. Während der dröhnende Bass die Backentaschen zum Vibrieren bringt, hetzen die Figuren durch wabernde Menschenmassen und lassen der Zuschauerschaft wahrlich keine Luft zum Atmen. Einziger Wermutstropfen: die bewusste Ausblendung jeglicher, menschlicher Vernunft. Zugegeben, im Club ist es höllisch laut, vielleicht sind auch Drogen im Spiel und die Meute hat sich in Trance getanzt, aber: wenn neben mir ein junger Mann eine Axt mit seiner Schädelplatte fängt, darf man ruhig schon mal eskalieren und das Weite suchen. Stattdessen bleibt es lange Zeit bei verdutzten Blicken, die die Immersion immer wieder bröckeln lassen. Einige Passagen später fliegt das Bildaufnahmegerät jedoch schon wieder über die Kulissen und verzaubert mit einer Verfolgungsjagd aus der Vogelperspektive. Spätestens hier ist der Groll darüber, dass die Reihe sich längst wie ein Videospiel im Godmode anfühlt, längst wieder verflogen. Im wahrsten Sinne.

Es ist wahrscheinlich bereits herauszulesen: Das vierte Kapitel des Franchise ist vor allem auf technischer Ebene ein Genuss. Zur Story selbst soll an dieser Stelle so wenig wie möglich gesagt werden, damit die doch eher erahnbare Entwicklung zumindest noch selber entdeckt werden kann. Dass aus der anfangs sehr persönlichen Rachegeschichte einmal ein ganzes Universum rund um Parallelgesellschaften und High Society Machenschaften entstehen würde, ist absolut beachtlich. Wie viel Potenzial aber aufgrund des immer wieder durchscheinenden Humors und dem fehlenden Gespür für Ernsthaftigkeit liegen gelassen wurde, ist ebenso bedauerlich. Auch im letzten Teil sitzen sich Charaktere minutenlang gegenüber, drücken sich leere Phrasen in den Gehörgang und lassen jegliche Seriosität vermissen. Gerade Bill Skarsgard als neuer „Endgegner“ ist dabei ein Paradebeispiel für lustlose Charakterzeichnung, da er brutal eindimensional durch die Gegend schleicht und für uns überhaupt nicht nachvollziehbar ist, wie und womit er sich diese Stellung erarbeiten konnte. Hier bedarf es einer gehörigen Portion suspension of disbelief, aber dessen ist man sich auf beiden Seiten ja längst bewusst. Oder hat mal jemand gezählt wie viele Kugeln John Wick teilweise in ein Magazin drückt?

Fazit

Mit „John Wick: Kapitel 4“ beschließt Stahelski nun also seine Reihe, die sich mehr und mehr zum modernen Action-Klassiker entwickeln konnte. Das letzte Aufbäumen ist dabei so kraftvoll wie selten, ist nicht auf Baba Yaga komm raus auf Krawall gepolt und bietet die mit Abstand schönsten Bilder des Franchise. Einziger Störfaktor zwischen den farbintensiven Kulissen ist der blasse Bösewicht, der so bedrohlich wirkt wie ein stumpfer Bleistift. Nichtsdestotrotz ein krönender Absch(l)uss.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

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Bilder: ©LEONINE