Seit den späten 1920er Jahren ist der Stummfilm außerhalb mancher Avantgarde-Kreise doch eher aus der Mode gekommen. Am ehesten findet das Medium noch im Bereich des Animationsfilms Verwendung. Dabei ist es schade, den Stummfilm rein auf die Ebene der physischen Comedy – sprich Slapstick – zu reduzieren, er könnte so viel mehr. Ab und an erinnert sich die moderne Filmindustrie aber dann doch zurück an ihre Ursprünge. So wie im Fall von Michel Hazanavicus‘ “The Artist” von 2011. Und das sogar mit ansehnlichem Erfolg – für den Oscar für den Besten Film hat es zumindest gereicht. Doch worum geht es in dem Film überhaupt, von seinem schweigsamen Charakter einmal abgesehen? Und waren die diversen Reaktionen – positive wie negative – gerechtfertigt? Ein Rückblick.

von Christoph Brodnjak

In “The Artist” schreibt man das Jahr 1927 und George Valentin (Jean Dujardin) ist ein Filmstar, wie er im Buche steht. Von den Massen geliebt, feiert er gemeinsam mit seinem Co-Star Clifton – ein kleiner Hund – Erfolg um Erfolg. Das Leben der Rampensau stößt derweil seinen anderen Co-Stars des Öfteren sauer auf – seiner Gattin sowieso. Während eines Drehs lernt er die junge Peppy (Bérénice Bejo) kennen, sie möchte unbedingt Schauspielerin werden. Er lehrt sie ein paar Tipps und Tricks des Showbusiness, und schon bald wird sie zum großen Star. Dass sie gemeinsam mit Valentin bei einer Premiere von Paparazzi abgelichtet wird, ist der Sache natürlich auch einigermaßen zuträglich. Die Gattin wiederum ist weniger begeistert.

Doch George Valentin – eine Akkumulation aus Stars wie Rudolpho Valentino oder Douglas Fairbanks – blickt in eine düstere Zukunft. Es ist 1927, und das heißt: der Tonfilm steht vor der Tür. Und es kommt, wie es kommen muss, bald gehört er zum alten Eisen. Seine Filme sind aus der Mode gekommen, und der Star selbst weigert sich, sich dem Tonfilm zu beugen. Während Peppys Karriere also steil bergauf geht, gerät er langsam aber dennoch in Vergessenheit.

Jean Dujardin

Klingt alles sehr dramatisch, und erinnert 2023 vor allem ein bisschen an Damien Chazelles “Babylon”. Durchaus kann man Parallelen zwischen Valentino und Brad Pitts Charakter ziehen. Was sicher auch daran liegt, dass sich so gut wie alle Filme nach 1930, wenn sie sich mit dem Stummfilm befassen, vor allem für das Ende dieser Ära interessieren. Womit sich die klassischen Charakterisierungen und Konflikte quasi von selbst ergeben.

Man darf hierbei aber dennoch nicht vergessen, dass es sich bei “The Artist” vornehmlich um eine Komödie handelt. Nicht im Sinne des Slapstick, aber des massentauglichen Unterhaltungsfilms. Was man von “Babylon” eher nicht behaupten kann. Und damit eigentlich überraschend, dass ein doch eher „seichter“ Komödienfilm bei den Oscars besser abgeräumt hat als ein eher artistischer Autorenfilm. Was natürlich vor allem seiner Präsentation geschuldet ist: Es handelt es schließlich um einen Stummfilm, 80 Jahre nach dem Ende der klassischen goldenen Ära des Stummfilms.

Auf technischer Ebene ist der Film jedenfalls gelungen. Die Filmemacher haben es geschafft, mit modernen Mitteln den Stil der alten Filme zu kopieren. Bei einzelnen Elementen wurde ein bisschen geschummelt, so manche Überblendung kennt man so eher weniger aus Filmen der 1920er Jahren, beim größten Teil aber hat das gut geklappt, ältere stilistische und technische Elemente einem modernen Kinopublikum schmackhaft zu machen. Auch ist “The Artist” nicht in die Falle getappt, Dialoge mit zu vielen Zwischentiteln zu überladen und jede gesprochene Zeile niederzuschreiben. Besondern hervor sticht allerdings eine Szene, in der es tatsächlich Ton gibt. In dieser wird der Star in seinem Schlaf von Albträumen geplagt, in denen der Ton plötzlich in sein Leben dringt. Das Rauschen des Windes, das Reden der Menschen auf der Straße, eine fallende Feder, all diese Geräusche werden in einer prägnanten Montage zu einem auditiven Albtraum für den Mann, der noch immer in der stillen Vergangenheit festhängt.

Abschließend sei noch etwas zur Rezeption des Films gesagt. Der Zugang der Macher, ihn als Stummfilm zu inszenieren, hat ihn vermutlich über die Schwelle zum Oscar gebracht. Aber auch für sich selbst genommen ist “The Artist” sehr unterhaltsam. Die Darsteller spielen ihre Rollen gekonnt und ehrlich, nie kommt es einem wie die Parodie eines Stummfilms vor. Am ehesten dreht Bejo auf und gibt die körperlich betonteste Performance. Als moderner Zuschauer darf man allerdings nicht in die Rezeptionsfalle tappen, dass es damals nur zwei Genres an Filmen gegeben hätte: den Slapstick a la Charlie Chaplin oder den intellektuellen Arthousefilm a la “Das Kabinett des Caligari”. Damals wie heute war das Kino vor allem mit Filmen gefüllt, die unterhalten wollten. Sei es eine Romanze, ein Melodram, eine Komödie. Und eben solche Werke haben “”The Artist” inspiriert, kein “Nosferatu”, und auch kein “Panzerkreuzer Potempkin”.

Fazit

“The Artist” ist eine wundervoll adäquate Komödie, die 90 Minuten Laufzeit vergehen in Windeseile. Für all jene, denen der Bezug zum Stummfilm fehlt, könnte es ein passender Einstiegspunkt sein, oder zumindest Lust auf mehr wecken. Und eingefleischten Fans dieser “alten Filme tut er auch nicht “weh” – Man darf allerdings eben auch keinen “Dick & Doof” oder einen Vertreter des deutschen Expressionismus erwarten.

“The Artist” ist derzeit u.a. bei MUBI zu sehen.

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Bildquelle (Textbild): imgbin