Eine erfolgreiche Frau, zwei Kinder und ein entspanntes Leben in Haifa samt Wohnung mit Mittelmeerblick: Im Grunde hat Waleed (Amer Hlehel) alles, was sich ein Hausmann wünschen kann. Glücklich ist er trotzdem nicht. Seine Vision vom Schriftsteller-Leben lässt sich ohne Inspiration nicht so wirklich ausleben. Die Depression ist Waleeds täglicher Begleiter, die wöchentlichen Therapieeinheiten zeigen auch keinen Erfolg und Waleed wendet sich immer mehr von der Welt ab.
von Christian Klosz
Als gegenüber ein neuer Nachbar einzieht, ist Waleed erst genervt von dem in seinen Augen unkultivierten Jalal. Unter dem Vorwand, Recherche für sein geplantes Buch zu betreiben, freundet er sich mit dem Kleinkriminellen, der jeden Job annimmt, der ihm Geld einbringt, an und begleitet ihn auf seinen täglichen Touren. Dass all das aber nur Mittel zum Zweck war, offenbart er Jalal erst später: Waleed will nicht mehr leben. Und bittet seinen neuen, besten Freund darum, ihn zu erschießen.
“Mediterranean Fever” spielt größtenteils in palästinensischen Siedlungen Israels und ist so nebenbei auch ein Porträt einer gespaltenen, multiethnischen und komplexen Gesellschaft. Der ewige ethnisch-religiöse Konflikt vor Ort spielt aber nur am Rande eine Rolle – und trägt nichts zu Waleeds Verzweiflung bei. Vielmehr ist es ein Alltag, der in ähnlicher Form fast überall auf der Welt stattfinden könnte, der ihm das Leben schwer macht. Die genauen Hintergründe für seine manifeste Depression kennen wir nicht, sie werden auch nicht erklärt und allgemein hält sich der Film nicht viel mit Psychologie auf. Stattdessen begnügt er sich mit reiner Beobachtung – ohne zu werten. Insbesondere die Darstellung von Amer Hlehel (Waleeed) verleiht der seelischen Kondition aber dennoch glaubhaften Ausdruck.
Allgemein ist die Regie von Maha Haj zurückhaltend, distanziert und forciert nicht zwingend große emotionale Involviertheit des Zuschauers. Das mag aber auch daran liegen, dass der Film von einer tiefen Melancholie durchzogen ist, die sich von seinem Protagonisten auf den Film selbst und auf den Zuschauer überträgt. Der in Momenten eingestreute, schwarze Humor lockert die Grundstimmung meist nur kurzfristig auf. Zu der allgemein eher tristen Grundstimmung, dem Gefühl der Beklemmung trägt auch das überraschende Finale bei.
Die beiden Hauptfiguren – Waleed und Jalal – sind auf den ersten Blick als Gegensatzpaar konstruiert: Waleed war früher Bankangestellter und möchte nun Schriftsteller sein, hat gewisse Ansprüche an sich und sein Leben und gibt sich ernst und kultiviert. Jalal ist ein “Rumtreiber” ohne Plan und Ziel, der es mit der Moral nicht immer so genau nimmt, sich und seine Familie dadurch aber in eine an sich viel verzweifeltere Lage bringt, als Waleeds Situation ist: Schuldeneintreiber sind hinter ihm her und trachten nach seinem Leben – doch Jalal gibt sich lebensfroh. Während Waleed, dessen familiäre und finanzielle Situation eigentlich stabil ist, sterben möchte.
Formal, aber auch dramaturgisch, ist Regisseurin Haj ein sehr solides Werk gelungen, das durchaus universell verständlich ist und sich hinter ähnlichen, prominenteren Produktionen nicht zu verstecken braucht. Ihr Film ist glaubhaft realisiert und profitiert von den durchwegs überzeugenden Darstellerleistungen. Für manche abschreckend mag der düstere Ton, die Hoffnungslosigkeit sein, die von “Mediterranean Fever” ausgeht. Und als kleiner Kritikpunkt bleibt die fehlende Psychologisierung übrig, da man als Zuschauer in gewisser Weise “außen vor” bleibt und keine Möglichkeit bekommt, den Antrieb für Waleeds fehlenden Antrieb nachvollziehen zu können. Für Menschen, denen seine Kondition selbst nicht fremd ist, mag das alles nachfühlbar sein, allen anderen bleibt die Möglichkeit für Verständnis bis zu einem gewissen Punkt verwehrt.
Fazit
“Mediterranean Fever” ist ein gelungenes Porträt von Depression und Suizidalität, wenngleich psychologisch etwas zu oberflächlich. Diese kleinen Schwächen und Kritikpunkte werden aber durch überzeugende Darstellerleistungen, insbesondere von Hauptdarsteller Amer Hlehel, und eine solide und gekonnte Dramaturgie und Inszenierung wettgemacht, sodass der Film sehenswert für alle ist, die sich durch sein düsteres und teils deprimierendes Sujet nicht abschrecken lassen wollen. Seit 4.5. in den deutschen Kinos.
Bewertung
(74/100)
Bild: (c) Neue Visionen Filmverleih GmbH / Pallas