Hans Blix zählte 2003 zu den angesehensten Diplomaten der UNO. Aus diesem Grund beauftragte diese ihn, im Irak nach Massenvernichtungswaffen zu suchen, die die USA unter Präsident Bush und Vize Cheney dort vermuteten – zumindest gaben sie das vor, um einen Grund für die geplante Invasion vorweisen zu können. Hans Blix sollte unparteiisch und neutral nach Belegen für diese Waffen suchen. Oder nach dem Beleg, dass sie nicht existieren würden, was schon um einiges schwieriger zu bewerkstelligen war. Er bekam den nötigen Zugang zu Informationen vor Ort und befand sich plötzlich im Fokus der Weltöffentlichkeit, manche sprachen ihm gar die Position zu, über Krieg und Frieden entscheiden zu können: Würde er keine Waffen finden, hätten die USA keinen Kriegsgrund. Freilich war diese Entscheidung da schon längst andernorts getroffen worden, und mit möglichen Massenvernichtungswaffen hatte sie recht wenig zu tun.

von Christian Klosz

In “Blix Not Bombs” interviewt die junge Filmemacherin Greta Stocklassa, die 9/11 und die Irak-Invasion 2003 als Kind mitbekam, den inzwischen 92-jährigen Hans Blix, begleitet ihn in seinem Alltag und lässt ihn aus seiner Sicht die Vorgänge von vor 20 Jahren rekapitulieren. Dabei werden die Parallelen zur Gegenwart augenscheinlich, in dem bekanntlich auch ein unter fadenscheinigen Gründen vom Zaun gebrochener Krieg die Realität beherrscht.

Postfaktizismus, alternative “Wahrheiten”, Meinung statt Fakten, Populismus, Abkehr von Logik, Evidenz und Wissenschaft: Schlagworte, die die Politik und Gesellschaft der zumindest letzten 7, 8 Jahre prägten wie kein Jahrzehnt davor – und unsere Welt zu einer schlechteren machten und machen. Viele sahen mit Donald Trump den Höhe(oder Tief-)punkt dieser Entwicklung und wähnten dieselbe mit Trumps Abwahl überwunden. Doch dann kam die Pandemie, und schrittweise gewann auch hier postfaktisches Denken (und Handeln) die Überhand. Ähnliche Entwicklungen lassen sich inzwischen bezüglich des Klimawandels oder des Ukraine-Kriegs feststellen.

Der Kern all dieser Entwicklungen liegt in der Abkehr von einem aufgeklärten Weltbild und in der Lüge, die als Wahrheit ausgegeben wird – mit welcher Absicht auch immer. Man kann jedoch 2 Jahrzehnte zurückgehen und dort erstmals in der post-cold war-era ähnliche Mechanismen erkennen. Und genau das macht “Blix Not Bombs”. Denn nichts anderes als die Erfindung einer “alternativen Wahrheit” war die Begründung, die die USA für ihre Invasion im Irak fanden oder erfanden.

Im Mittelpunkt dieser Farce fand sich ein schwedischer Diplomat wieder, der im Mittelpunkt dieses Filmes steht: Hans Blix. Rückblickend muss er als “mahnende Stimme” und Verfechter von Besonnenheit und Faktizismus betrachtet werden, und so sieht er sich auch selbst in dieser erhellenden und informativen Doku über politische Mechanismen, Zeitläufe und einen, der sie hautnah und aus nächster Nähe mitbekommen hat. Die Regisseurin Greta Stocklasse besucht und befragt den inzwischen über 90-Jährigen, um die Vergangenheit und die Gegenwart besser zu verstehen, eine aus den Fugen geratene Welt, die auch ihr Angst macht und wenig Hoffnung lässt – und dokumentiert all das mit ihrer Kamera.

Blix betrachtet seine eigene Rolle als “Waffeninspektor” nüchtern und ohne Reue. Er sah sich als Dienstleister im Auftrag der UNO, der seine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen wollte, und dies, so seine Einschätzung, auch tat. Erhellend sind Blix’ Schilderungen über die Vorgänge in der UNO, seine Treffen mit Diplomaten oder der US-Führung, aber auch seine rückblickende Analyse und die Bewertung der Gegenwart. “Blix Not Bombs” gelingt es ausgezeichnet, Parallelen zwischen 2003 und dieser Gegenwart zu ziehen und die dahinterliegenden (Politik-)Mechanismen offenzulegen. Damit leistet der Film einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und fungiert außerdem als kluger Diskursbeitrag zur Frage, wie sich aus einer mehrfach ver-rückten Gegenwart eine lebenswerte Zukunft gestalten lässt.

Fazit

“Blix Not Bombs” ist ein kleiner, aber äußerst sehenswerter Film, der über den Blick in die nicht allzu ferne Vergangenheit unsere Gegenwart zu erklären versucht. Und das gelingt hervorragend, einerseits aufgrund der erhellenden Schilderungen des Protagonisten, andererseits aufgrund guter technischer Leistungen hinter der Kamera, die sich in einer wertigen Regie und Kameraführung, ausgezeichnetem Schnitt und Montage offenbaren. Ab 18.5. in ausgewählten deutschen Kinos.

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(86/100)

Bild: (c) Cineglobal