Von der Streaming-Plattform schlechthin, die ihren Fußabdruck in der Popkultur hinterlassen hat, zu Password-Sharing Verbot und einer Menge Kritik: Im Hause Netflix muss aktuell kräftig am eigenen Image geschraubt werden. Denn: Das Publikum äußert sich immer häufiger unzufrieden über den Streaming-Giganten. Im ersten Quartal 2023 vermerkte Netflix zwar einen größeren Umsatz im Vergleich zum Vorjahr, die Zahl der Neukunden und der eigentliche Gewinn blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück.
von Lena Wasserburger
Ein Grund hierfür ist, dass der Streaming-Markt heute deutlich stärker umkämpft ist als noch vor einigen Jahren. Mittlerweile muss sich Netflix das Scheinwerferlicht mit Disney Plus, Amazon Prime, Paramount+, WOW, AppleTV+, Hulu und weiteren Mitbewerbern teilen, die ebenfalls ihre eigenen Film- und Serienproduktionen ins Rennen schicken. Das zeichnet sich auch in der Marktanteilentwicklung ab: Seit 2020 verliert Netflix sukzessive, Ende des ersten Quartals 2023 lag Amazon Prime Video erstmals gleichauf. Während die meisten Konkurrenten wachsen oder zumindest stagnieren, geht es für Netflix stetig nach unten. In diesem Licht müssen dann wohl auch die neuen Maßnahmen gegen Account-Sharing betrachtet werden, von denen man sich nicht geringe Mehreinnahmen und idealerweise auch wieder Abo-Zuwächse verspricht.
Netflix-Originals in der Krise
Hinzu kommt, dass die sogenannten “Netflix-Originals” in jüngster Vergangenheit nicht mehr so viele Leute zu begeistern scheinen, wie das einst der Fall war, als ein Hit nach dem anderen veröffentlicht und so manche herkömmliche Fernsehserie oder Kinofilm in den Hintergrund verdrängt wurde. 2014 galt Netflix noch als der mit Abstand beliebteste Streaming-Dienst, als Innovator, heute ist er vor allem einer der teuersten – und das obwohl sich Netflix aktuell in einer “Contentflaute” befindet. Doch was bedeutet das genau?
Das Angebot an Filmen und Serien kann qualitativ nicht mehr vollends überzeugen und immer häufiger werden Serien vorzeitig gecancelt. Ein Beispiel, das für besonders viel Unmut im Internet sorgte, war “1899”, eine Serie, die wie viele andere in letzter Zeit bereits nach einer einzigen Staffel abgesetzt wurde.
Teure Eigenproduktionen: Views statt Qualität
Wenn es um die Produktion von Serien geht, gibt es einen Aspekt, der Netflix von herkömmlichen Fernsehanbietern unterscheidet. Denn anders als bei traditionellen Fernsehserien trägt Netflix bei den eigenen Serien (und Filmen) die Produktionskosten ganz alleine. Die Rechte an einer Serie werden in diesem Fall also nicht einem externen Produktionsstudio abgekauft, wie es bei Fernsehserien oftmals üblich ist. Das bedeutet, dass Netflix, bevor eine Serie im eigenen Angebot erscheint, die Kosten für eine vollständige Staffel einer Serie auslegen muss. Was anschließend im ersten Monat nach Veröffentlichung der vollständigen Staffel einer Serie oder eines Films geschieht, ist von größter Relevanz. Es entscheidet meist schon darüber, ob eine Serie gecancelt oder fortgesetzt wird. Sind die Views in den ersten 28 Tagen nach Release nicht hoch genug, ist es unwahrscheinlich, dass Netflix noch einmal Geld in eine zweite Staffel investiert.
Denn die einzige Art und Weise, wie Netflix wachsen kann, ist, wenn die bisherige Kundschaft erhalten bleibt und gleichzeitig Newcomer dazu stoßen. Es braucht also Material, das den größtmöglichen Pool aus Netflix-Mitgliedern und das Mainstream-Publikum anspricht. Die individuelle Qualität einer Produktion spielt somit, wenig überraschend, kaum eine Rolle für Netflix. Hier heißt es: Quantität der Views über Qualität der Serie oder des Films. Eine reine Business-Entscheidung also.
Die Lösung: Billigeinkauf aus dem Ausland
Dieses Problem führt auch dazu, dass Netflix seit 1, 2 Jahren immer mehr Inhalte – sowohl Serien, als auch Filme – zukauft, denn dabei spart man sich die teuren Produktionskosten. Und nicht aus Zufall bevölkern gerade Produktionen aus Spanien, Polen, Deutschland, Südkorea oder Südamerika das aktuelle Netflix-Programm: Der “Content” von dort ist billiger als teure US-Produktionen, die meist ohnehin anderen großen Studios gehören oder von denen finanziert werden. So kann Netflix seinen Content-Pool füllen und dabei (Produktions-)Kosten sparen. Dass das meist natürlich nur noch recht wenig mit den anspruchsvollen und hochqualitativen Netflix-Serien und -Filmen von zu Beginn zu tun hat, ist offensichtlich.
Hat aber auch die Qualität der Netflix-Eigenproduktionen nachgelassen? Filme wie “Red Notice” oder “The Gray Man” verschlangen ein Millionen-Budget, ohne wirklich mit inhaltlicher Qualität glänzen zu können – und erfüllten doch ihren Zweck. Ob es nun der Algorithmus ist, der diese und andere ähnliche Produktionen ganz oben auf die Startseiten der Userinnen und User setzt oder es sich um Filme handelt, die mit ansprechenden “Zutaten” wie beliebten Darstellern locken – letztendlich geben die Zahlen Netflix in diesem Fall recht.
Die Netflix-Formel
Nach Jahren, in denen Netflix mit eigenproduziertem Content nur so um sich warf, hat man nun scheinbar aus der Not eine Formel entwickelt, die die gewünschten Views zur Folge hat. In der Anfangsphase des Streaming-Dienstes wurde experimentiert, und auch wenn nicht jede Produktion zum Erfolg wurde, waren die Inhalte doch ansprechend genug, um jede Menge neue Netflix-Mitglieder an Land zu ziehen. In der schieren Masse an Content war für alle etwas dabei. Nun setzt man auf eine Kombination aus kalkulierten, teuren und selbst produzierten “Blockbustern”, die nicht immer die nötige Qualität mitbringen, und billig (aus dem Ausland) eingekauften Titeln, dem Füllmaterial also. Denn die alte Vorgehensweise des Streaming-Riesen macht sich mittlerweile nicht mehr so bezahlt wie noch Jahre zuvor. Netflix kann es sich nicht mehr leisten, Unsummen für experimentelle Produktionen oder anspruchsvolle “Nischenfilme” mit begrenztem Publikum zu verpulvern, die nicht die gewünschten Views und Neukunden anziehen.
Ein Teufelskreis
Hinzu kommt, dass sich durch die Erhöhung der Abo-Preise und die neu eingeführten Regelung zum Password-Sharing auch langjährige Netflix-Fans allmählich abwenden. Es ist ein Teufelskreis. Netflix muss Inhalte produzieren, die sich finanziell lohnen und den Mainstream zufriedenstellen, doch mit jeder mittelmäßigen oder negativ bewerteten Produktion leidet das Image des Anbieters ein klein wenig mehr, was wiederum dazu führt, dass Kundschaft verloren geht. Netflix’ ursprüngliche Strategie, Content wie am Fließband zu produzieren, um möglichst viele Menschen anzusprechen, rächt sich nun also.
Und es gibt noch einen weiteren Grund für die zuvor erwähnte Contentflaute: Nämlich die Konkurrenz. Studios wie Paramount Pictures denken nicht mehr daran, ihre Filme an Netflix zu verkaufen, jetzt, wo sie einen eigenen Streaming-Service anbieten (Paramount Plus). Die Auswahl an Blockbustern und Hollywood-Material, das Netflix sich nun einverleiben kann, wird also klar reduziert, natürlich auch, weil Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten inzwischen eine Vielzahl an möglichen Studios, selbst im Streamingbereich, haben, denen sie ihre Ideen vorstellen und anbieten können. Das bedeutet dann allerdings, dass Netflix auf anderem Weg zu Content kommen muss – hier kommen wieder die aus dem Ausland eingekauften Produktionen ins Spiel.
Das Ende einer Ära?
Letztendlich kann nur spekuliert werden, ob die Wände im Hause Netflix wirklich bröckeln oder ob es sich nur um eine vorübergehende Flaute handelt. Vieles wird am verfügbaren Geld liegen, und Einblicke in die finanzielle Situation des Streaming-Dienstes sind von außen nur schwer möglich. Die jüngsten Maßnahmen in Kombination mit der öffentlich einsehbaren Marktanteils-Entwicklung lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass Netflix in Geld schwimmt.
Fest steht aber: Es braucht eine neue Strategie, wenn man sowohl qualitativ, als auch quantitativ mit der neuen Konkurrenz mithalten will. Ob man sich in Zukunft vielleicht doch wieder etwas mehr am traditionellen Medium TV orientieren wird oder sich die anderen Player zum Vorbild nimmt? Oder geht das Netflix-Zeitalter etwa doch langsam zu Ende?
Bild: Pexels / Bearbeitung