Website-Icon Film plus Kritik – Online-Magazin für Film, Kino & TV

Superhero-Naziploitation aus Italien: Kritik zum Heimkino-Start von “Freaks Out”

Nicht erst seit Tarantinos “Inglourious Basterds” weiß das Publikum, dass ein gewisser Spaß am genussvollen Nazis-Töten vermittelt werden kann. Tatsächlich gibt es Naziploitation, also die übertriebene Gewaltdarstellung im inszenierten Kampf gegen die Nationalsozialisten, bereits seit den 1960er Jahren, doch seit dem offiziell siebten Film von Tarantino weiß die ganze Welt davon und findet Gefallen daran. Dementsprechend läuft auf Amazon Prime die Serie “Hunters” und erst vor Kurzem ging Netflix mit der deutschen Produktion “Blood and Gold” an den Start.

von Richard Potrykus

Etwas unter dem Radar der Allgemeinheit, aber eine beachtliche Produktion, die nunmehr auf DVD und Blu-ray erhältlich ist, befindet sich “Freaks Out” von Gabriele Mainetti. Dieser Film wurde auf den internationalen Filmfestspielen von Venedig 2021 uraufgeführt und befasst sich mit einer Gruppe von Menschen, die über besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften verfügen und sich als Artisten in einem kleinen Zirkus über Wasser halten.

Der Film spielt während des Zweiten Weltkrieges in Rom. Fliegerangriffe gehören zum Alltag, ebenso die Deportationen von Jüd*innen und Menschen mit Behinderungen. Gleich zu Beginn stellt sich der Direktor des Zirkus’ (Giorgio Tirabassi) als ein gewisser Israel vor, ein Name, der ihn als Juden definiert, noch bevor dem Publikum kommuniziert wird, wo und wann die Handlung spielt. Nach einem Bombardement, bei dem das Zirkuszelt zerstört wird, verkündet Israel, nach Amerika fliehen zu wollen und überredet sein Team, welches ihm Angestellte und Familie zugleich sind, mit auf die Reise zu gehen.

Benötigt werden Pässe und Israel macht sich auf, diese zu organisieren. Als er nach einer Weile noch nicht zurückgekehrt ist, begeben sich die Artisten rund um die junge Matilde (Aurora Giovinazzo) auf die Suche nach ihm. Parallel dazu gastiert der deutsche Zirkus Berlin in Rom und mit ihm der zwölf-fingrige Klaviervirtuose und Nationalsozialist Franz (Franz Rogowski).

“Freaks Out” genau zu beschreiben, ist gar nicht so einfach, denn für einen Superheldenfilm ist er zu heldenlos, für ein Drama zu absurd und für einen Naziploitationfilm zu harmlos. Der Film hat Anklänge von allen diesen (Sub-)Genres und wirkt daher selbst wie eine Art Zirkusvorstellung, wobei einzelne Szenen und formale Eigenschaften als Kunststücke fungieren. Er löst damit seinen Titel gekonnt ein. In sogenannten Freak Shows wurden in der Vergangenheit andersartige Menschen der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Es gab siamesische Zwillinge, Kleinwüchsige oder gar Menschen, die an Elephantiasis litten. Alle waren sie Fremdkörper, verstoßen von einer Gesellschaft, die mit ihnen nicht umgehen konnte und/oder wollte. “Freaks Out” setzt hier an, romantisiert die Thematik allerdings ein wenig, da die Figuren im Film wirklich Superkräfte haben.

Die Nähe zur Judenverfolgung wird explizit hergestellt. Noch bevor die Gewissheit besteht, wie es um Israel steht, gerät die Gruppe in eine Situation, in der jüdische Menschen zusammengepfercht und verschleppt werden. Wer sich widersetzt, wird erschossen. In Momenten wie diesen zeigt “Freaks Out” deutlich, dass er ein klares Feindbild kommunizieren möchte. Deutsche Wehrmachtssoldaten können nur schreien oder lüsterne Bemerkungen von sich geben und sie schrecken weder vor Mord noch vor Vergewaltigung zurück. Ein Dazwischen gibt es nicht. Eine Ausnahme bildet Franz, der Antagonist des Films, wenngleich die Konsequenzen identisch sind. Das Dutzend Finger sind nämlich nicht sein einziges Talent.

Franz ist abhängig vom Äther und wann immer er sich damit berauscht, empfängt er Visionen, anhand derer er die Zukunft voraussagen kann. In Zeichnungen hält Franz alle Eindrücke fest. Popkulturelle und technologische Errungenschaften sind ihm ebenso bewusst wie Radioheads Song “Creep”, welchen er fürs Klavier adaptiert. Franz sieht aber auch das Ende des Dritten Reiches voraus. Er weiß, dass die Alliierten gewinnen und dass Hitler sich erschießen wird. Doch anstelle diese gottgleichen Möglichkeiten zu nutzen, eins und eins zusammenzuzählen und all das Schöne der Zukunft zum Fixpunkt seines Strebens zu machen, konzentriert er sich darauf, eine Gruppe von Superhelden zusammenzustellen, die als Superwaffe für den Endsieg helfen sollen. Franz ist eine tragische Figur, die sich trotz zahlreicher Talente nicht aus dem ideologischen Strudel befreien kann und schließlich, soviel sei verraten, ins eigene Verderben rennt.

“Freaks Out” hat durchaus blutige Momente und einen beachtlichen Bodycount zu verzeichnen, doch es geht schlimmer: Wer also “Inglourious Basterds” aushalten konnte, wird damit keine Schwierigkeiten haben. Leider ist der Film etwas zu lang geraten. Die 141 Minuten hätten nicht sein müssen. Hier und da gibt es Stellen, derer es nicht bedurft hätte. Dafür gibt es aber auch sehr einfühlsame Momente, die zeigen, dass sich der Film bei aller Liebe zum Skurrilen durchaus ernst nimmt und auch mit der Thematik rund um den Holocaust sensibel umzugehen weiß.

Fazit

“Freaks Out” ist ein amüsanter Film, dem es nicht an Ernst mangelt. Er kommuniziert klar und deutlich, dass dort, wo Diversität und Vielfalt existiert, Leben, Liebe und Farben existieren. Dort, wo Einfalt und Terror vorherrschen, gibt es keine Zukunft, gibt es kein Leben. Er spielt stark mit einer Metaebene, bei der die Fähigkeiten symbolische Züge erhalten und ist als Genre-Hybrid aus Naziploitation, Drama und Superheldenfilm jedenfalls sehenswert. Seit 23.6. auf DVD/BluRay erhältlich.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(75/100)

Bilder: (c) SquareOne

Die mobile Version verlassen