“Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes” ist ein denkbar dummer Titel. Er erinnert an einen Trashfilm, ein B-Movie mit raffgierigen Figuren und Kirchen-Bashing.

Der italienische Originaltitel “Rapito” ist nicht weniger reißerisch, bedeutet er im Deutschen doch so viel wie “entführt”.

Dem Film, seiner Aussage und vor allem seiner Bedeutung für unsere Gegenwart wesentlich gerechter wird hingegen der Arbeitstitel: “La conversione”, die Konversion. Es handelt sich um ein italienisch-französisch-deutsches Historien-Drama aus 2023. Morgen erscheint es für das Heimkino auf Blu-Ray und DVD (und als VOD).

von Richard Potrykus

“Die Bologna-Entführung” beruht auf den wahren Ereignissen rund um die jüdische Familie Mortara, die ein Schicksal durchleben muss, von welchem sie sich nicht erholen sollte. Die Handlung spielt in Bologna und Rom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Eines Abends kommen Soldaten zum Haus der Mortaras und verlangen die Herausgabe eines der Söhne, Edgardo (Enea Sala). Dieser, so heißt es, wäre sechs Jahre zuvor getauft worden, weshalb er nun in kirchliche Obhut genommen und eine christliche Erziehung bekommen müsste. Die Eltern (Fausto Russo Alesi, Barbara Ronchi) sind machtlos und und können die Entführung des Jungen nicht verhindern.

In der Folge unternehmen sie und andere Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft enorme Anstrengungen, um den Jungen freizubekommen, doch obwohl der Fall international bekannt und sogar in den USA diskutiert wird, bekommen die Mortaras den eigenen Sohn nicht zurück, nicht zuletzt deswegen, weil sogar Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) in die Angelegenheit involviert ist und sich persönlich des Jungen annimmt..

Die Jahre vergehen, es kommt zur Firmung und schließlich zur Priesterweihe. Mittlerweile ist Edgardo erwachsen (Leonardo Maltese) und so sehr von seinem ehemals jüdischen Glauben abgefallen, dass er am Totenbett der Mutter versucht, selbige sogar zu taufen.

Den Beginn nimmt die Entführung durch den Befehl des Inquisitors Feletti (Fabrizio Gifuni). Dass hier die Inquisition existiert, irritiert, verbindet man diese doch vorrangig mit Hexenverfolgungen und dem Mittelalter. Tatsächlich aber gab es im italienischen Kirchenstaat noch inquisitorische Autoritäten, die zwar nicht mehr foltern aber durch das Wort Befehle geben konnten.

Mit dem Ende des Kirchenstaates 1870 endete auch die Inquisition, aber noch heute gibt es die Kongregation für die Glaubenslehre, und während Papst Johannes Paul II. Pius IX. im Jahre 2000 seligsprach, war der Nachfolger Johannes Pauls II., Papst Gregor XVI., Vorsitzender eben jener Kongregation. Es kommt somit nicht von ungefähr, dass die Handlung des Films zwar im 19. Jahrhundert spielt, aber noch heute, mehr als 140 Jahre nach Ende des Kirchenstaates und rund 80 Jahre nach Ende des Holocausts mehr als aktuell ist.

Begründet wird die Entführung mit dem kanonischen Recht, also einer kircheninternen Justiz, die über die Menschlichkeit und über den gesunden Menschenverstand gestellt wird. Anstelle den Jungen bei der Familie und seinem Umfeld zu lassen, zu überlegen, ob die jüdische Lebensweise des Sechsjährigen nicht dem Gewohnheits- und damit natürlichen Recht entspricht, wird behauptet, eine Taufe, von der es keine Beweise und nur Hörensagen gibt und die zudem ungenehmigt durchgeführt wurde, könnte nicht rückgängig gemacht werden.

In Rom wird Edgardo daher in der christlichen Lehre unterrichtet. Das Bemerkenswerte daran ist, dass die Lehre nur aus Riten, lateinischen Merksätzen und Bewegungsabläufen besteht. Wann immer der Junge eine neue Situation erleben muss, wird ihm gesagt, er solle einfach das machen, was die anderen Jungen (ebenfalls Juden) machen. Was fehlt, sind die Erklärungen. Warum muss der Junge diese oder jene Uniform tragen, warum muss man an der einen Stelle knien und an der anderen Stelle beten? Die Lehre und die Überzeugung des Jungen werden nicht hinterfragt.

Als Edgardo das erste Mal ein Abbild des gekreuzigten Jesus sieht, wird ihm seitens einer Nonne erklärt: “Jesus war Jude, genau wie Du, und er wurde getauft, genau wie Du. […] Die Juden haben ihn getötet.” Von diesem Moment ist klar, dass es eine strikte Trennung gibt zwischen dem falschen jüdischen Glauben und dem richtigen christlich-katholischen.

Als Edgardo Besuch von seiner Mutter erhält, wird ihm im Vorfeld gesagt, dass Gott alles sehe, auch unsere Gedanken. Und es sind Momente wie diese, die dem Film seine Aktualität verleihen, denn “Die Bologna-Entführung” ist kein Bio-Pic über über Edgardo oder die Machenschaften christlicher Würdenträger und es geht auch nicht um Antisemitismus, denn die jüdischen Figuren werden zu keiner Zeit beleidigt oder bedroht. Auch die Herabwürdigung geht kaum über die Entführung hinaus. Bedeutend ist die Universalität des Konflikts, in den Edgardo hineingezogen wird, wobei die jüdische Religion leicht durch etwas anderes ersetzt werden kann.

Es geht nicht per se um Glauben und Religion, sondern um die Normalität der herrschenden Mehrheit.
Wie bereits beschrieben ist niemand Zeuge der Taufe. Niemand kann in den Jungen hineinsehen und nachschauen, ob er Christ ist oder nicht. Zudem soll die Taufe stattgefunden haben, als der Edgardo ein halbes Jahr alt war. Die Beschneidung findet im Judentum bereits am achten Tag nach der Geburt statt. Gültigkeit der Taufe hin oder her, ist doch die jüdische Erziehung viel früher angelegt worden. Mit einem kriminalistischen Blick betrachtet, dürfte der Junge zu keiner Zeit entwendet werden. Die Beschneidung ist offensichtlich, für die Taufe gibt es keine Zeugen. Außerdem wäre sie, wie bereits erwähnt, ohne Einverständnis geschehen.

Ersetzt man nun die jüdische Religion durch Homosexualität, so ist auch hier keine Durchsichtigkeit des Menschen zu erkennen. Man nimmt an, der Mensch wäre heterosexuell, weil dies einem Normalitätsbegriff der herrschenden Mehrheit entspricht. Ergo wird auf das Mittel der Erziehung gesetzt und etwaige Veranlagungen, die schon viel früher stattgefunden haben, ignoriert. Greift die Erziehung nicht, kann immer noch die Konversionstherapie (La Conversione) in Anspruch genommen werden. Diese ist schwer schädlich und führt immer wieder zu psychischen Erkrankungen und/oder zum Suizid der Patient*innen.

“Die Bologna-Entführung” ist insofern aktuell, als dass Konversionstherapien in vielen Teilen der Welt nicht nur erlaubt sind, sondern gelebte Praxis darstellen. Erst 2018 sprach sich die EU gegen die Therapien aus. Erst 2020 wurden in Deutschland Konversionstherapien für Minderjährige verboten, nachdem der Gesetzesentwurf bereits 2013 auf dem Tisch lag, und in Österreich hat sich das Parlament erst 2021 dagegen ausgesprochen. Ein Verbot gibt es in Österreich noch nicht, lediglich diverse Gebote, psychotherapeutische Behandlungen betreffend.

Fazit

“Die Bologna-Entführung” zeigt weder den Verfall der Familie Mortara im Allgemeinen noch den Verfall Edgardos im Speziellen. Dem Jungen und späteren Erwachsenen wird kein Leid angetan. Er wird weder geschlagen noch anderweitig bestraft, aber ihm wird etwas entrissen. Was der Film eindrücklich porträtiert, ist die Abkehr Edgardos von seinem ursprünglichen Selbst, hin zu jemand anderem. Seine Identität und der Bund mit seiner Familie werden zerstört. Der Film endet mit dem Tod der Mutter und dem Versuch Edgardos, sie zu taufen, und man kann sich nur fragen, was in Edgardo vorgehen muss, dass er so etwas versucht. Selbstverständlich ist es für den Mann möglich, auch als Christ ein gutes Leben zu führen. Aber am Ende fehlt ein entscheidender Teil, damit aus dem Mann Edgardo der Mensch Edgardo wird.

Wertung

Bewertung: 8 von 10.

83/100

Ab 21.3.2024 auf DVD, BluRay und als VOD.

Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes
2023, IT/FRA/DE, Drama / Historienfilm
135 min.
Regie: Marco Bellocchio
Darsteller: Paolo Pierobon, Barbara Ronchi u.a.


Bild: (c) Pandora Filmverleih