„Nobody believes we have the balls to pull this off.“, meint Veronica zu ihren Komplizinnen – und ist dabei, allen das Gegenteil zu beweisen.

Vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, verbindet ein gemeinsames Schicksal: Kürzlich starben ihre Ehemänner bei einem spektakulären Raub im Kugelhagel der Polizei. Neben Familien hinterlassen die Dahingeschiedenen aber auch einen verhängnisvollen Schuldenberg bei einem ungeduldigen Gläubiger, der die Existenz der Angehörigen bedroht. Auf sich selbst gestellt schließen die Witwen einen Bund, um zu vollbringen, was ihre Männer nicht schafften.

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Viola Davis in Steve McQueens „Widows“, ab 7.12. im Kino

Der Plot von Steve McQueens erstem Spielfilm seit „12 Years a Slave“ basiert auf einer britischen TV-Miniserie aus dem Jahr 1983, die 2002 schon einmal fürs amerikanische Fernsehen adaptiert wurde. Die neuerliche Verlagerung bekommt der Story erstaunlich gut und das kontemporäre Chicagoer Setting übersetzt sie in einen immer noch aktuellen Kontext. „Windy City“ wirbelt den Staub auf den Idealen der US-amerikanischen Gesellschaft auf und zieht die Heldinnen in einen Strudel von Chauvinismus, Rassismus und Gewalt. Das von packenden Action-Sequenzen gerahmte Drama zeichnet in seinem Kern ein ungeschöntes Sittenbild verlogener Eliten und demonstriert, in welch unmittelbarer Nachbarschaft die polaren Gegensätze Stigma und Privileg zueinander liegen. Plakativ manövriert eine Kamerafahrt in Rekordzeit von Ghetto zu Villenviertel. Die bröckelnden Fassaden des Problembezirks sind Sinnbild der Vorwände mächtiger Männer, hinter denen sich althergebrachte Konzepte vom Recht des Stärkeren verbergen. Mehrere Handlungsstränge weben sich langsam zu einem komplexen Netz von Beziehungen in einem erbarmungslosen Machtgefüge und halten die Spannung des Konstrukts stets aufrecht.

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Robert Duvall in „Widows“

Neben einem raffinierten Drehbuch ist das Gelingen dieses Unterfangens wohl auch dem erlesenen Ensemble-Cast geschuldet, der sowohl die Oscar-Preisträger Viola Davis und Robert Duvall vereint, sowie mit Michelle Rodriguez und Liam Neeson zwei Action-Ikonen aufs Feld schickt. Erstere beweist erneut, dass sie auch außerhalb ihrer Komfortzone Entertainmentkino ein sicheres Standbein als ernstzunehmende Mimin hat. Ihr männlicher Kollege agiert ganz routiniert in seiner Leibrolle des gediegenen Badass, während Aufsteiger Daniel Kaluuya als eiskalter Gangster schockiert und auf bestem Weg ist, eine Leitfigur in der Renaissance des Black Cinema zu werden. In der Rolle des aalglatten Lokalpolitikers spiegelt Colin Farrell herrlich heuchlerisch Interesse an Schwächeren vor. Heimlicher Star des Films bleibt aber die Stadt Chicago, ein von Widersprüchen gebrandmarkter Lebensraum, dessen ambivalentes Spektrum gekonnt in Szene gesetzt wird.

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Auch visuell sticht das Motiv der Spiegelung hervor, so sieht sich die Protagonistin Veronica in Glasfronten laufend mit sich selbst konfrontiert; Momente, die sie als Anlass zur Reflexion wahrnimmt. Trotz Ergründung des Charakters und der Tatsache, dass wir ihn durch die wohl emotionalsten Augenblicke seiner Biographie begleiten, taut die coole Anführerin aber nur sehr langsam auf. Die vielschichtige Erzählung verliert sie stellenweise aus dem Blickfeld und macht ihre Komplizinnen zu weitaus zugänglicheren Identifikationsfiguren. Dennoch wirken all diese Figuren aus dem Leben gegriffen und auf ein Schachbrett zwischen erbitterten Fronten gestellt.

Fazit:

Widows bietet deutlich mehr als eine Variation des Heist-Movies unter Umkehr etablierter Geschlechterrollen. McQueen entlarvt die sozialen Hierarchien des urbanen Umfelds, die die Leben der Einwohner formen. Er kommentiert ein von Ungleichheit regiertes System, in dem weibliche Selbstbestimmung nur einer der erforderlichen emanzipatorischen Schritte ist, um in die letzte Bastion des (weißen) Mannes vorzudringen.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

von Daniel Krunz

Bilder: © 2018 Twentieth Century Fox