von Cliff Brockerhoff

Fressen oder gefressen werden – ein seit der Antike fest in den Strukturen unseres Seins verankerter Grundsatz, der nahezu überall seinen Anklang findet um das natürliche Gleichgewicht zwischen Jäger und Beute aufrecht zu erhalten. Tendenziell eher mit der Tierwelt verknüpft begegnet uns diese Denkweise aber auch immer wieder in der menschlichen Zivilisation, was unweigerlich dazu führt, dass dieses Thema längst Einzug in die Filmwelt erhalten hat und dem Zuschauer in guten (Snowpiercer) oder weniger guten (High Rise) Werken vor Augen geführt wird.

Nun, im Jahre 2020, versucht sich der Streamingriese Netflix an einer weiteren Abbildung und hält seinen Abonnenten in „Der Schacht“ den Spiegel vor. Örtlich findet sich der Film in einem Gefängnis wieder, das aus einzelnen Ebenen besteht und jeweils zwei Insassen pro Ebene beheimatet. Das Interessante daran: je tiefer die Straftäter sich wiederfinden, umso schwieriger wird das Überleben, da ein vertikal eingelassener Aufzug für die Nahrungsversorgung sorgt. Und wir alle wissen – am Ende der Nahrungskette bleibt nicht viel übrig von dem, an dem sich die Obrigkeiten erfreuen. Schon bei der Zusammenfassung wird klar, dass der spanische Film sich weniger an einer logischen Darstellung, sondern viel mehr an einer allegorischen Inszenierung unserer sozialen Schichtung versucht.

Ein reich gedeckter Tisch, doch nicht für jeden bleibt etwas übrig.

Moralische Grundsätze werden offen diskutiert und der Zuschauer wird Zeuge davon wie schnell sich Menschen an eine neue Lebenssituation anpassen. Etablierte Denkweisen werden zum Schutz der eigenen Person hinterfragt und alsbald offenbart sich das wahre Gesicht desjenigen, der sich in einer Notsituation wiederfindet. Das Kuriose daran ist, dass die Platzierung der Gefangenen vollkommen wahllos vonstattengeht. Hier wird ein in der Sozialwissenschaft angewandter Denkansatz aufgegriffen, dem sich beispielsweise auch Jordan Peele in „Wir“ widmete. Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Chance schlägt sich nieder, dargeboten in der Verzweiflung derer, die am Ende des Aufzugs darauf warten den Teller ablecken zu können und eben denen, die sich oben am reichen Buffet laben. Durchbrochen werden kann dieser Teufelskreis nur durch die Solidarisierung aller, aber wer ist bereit freiwillig auf seinen Kaviar zu verzichten um die Grundversorgung derer sicherzustellen, die weiter unten als gesichtslose Unbekannte um ihr Leben kämpfen? Eine zeitlose Frage, die die Menschheit seit jeher umtreibt.

Verglichen mit dem eben erwähnten Meisterwerk Peeles kommt „Der Schacht“ leider an manchen Stellen etwas zu plakativ, um nicht zu sagen plump daher. Hier wird sprichwörtlich auf die Menschen der unteren Plattformen geschissen. Um den Verfall einzufangen wäre eine solch erzwungen non-metaphorische Darstellung gar nicht von Nöten gewesen, da der Film auch so mit allerlei kreativen Ideen aufwartet und es nicht zuletzt sogar bewerkstelligt in knapp 90 Minuten für Charakterentwicklung und inhaltliche Tiefe zu sorgen. Unisono zum monotonen Schauplatz ist ebenjener Fortschritt zwar teils eher eindimensional, die Abhandlung eines solch komplexen Themas erfordert aber zwangsläufig mehr Zeit als ein einzelner Spielfilm bieten kann. In Anbetracht der Gegebenheiten weiß das spanische Werk also zu überzeugen, was vor allem auch an einer glaubhaften Leistung des Casts, einer wertigen Produktion und den feinen Gewaltspitzen liegt, die sich immer wieder unverblümt in die Nervenzellen der Betrachter schleichen.

Runter kommen sie alle – die Plattform kennt leider nur eine Richtung.

Fazit

In Zeiten von Corona, Fridays for Future und Co. trifft ein Werk wie “Der Schacht” den Nagel auf den Kopf und überrascht mit einer spannenden Zurschaustellung der heutigen Ellenbogengesellschaft. Die Handlung positioniert sich dabei eher im Hintergrund und lässt Platz für eine Parabel auf unsere zivilisatorischen Strukturen, die nur schwerlich zu durchbrechen scheinen. Ein rundum gelungener Mix aus Spielfilm und Sozialkritik, der komplizierte Thematiken zur Not auch einfach mal in seine Zuschauer einprügelt.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: ©Netflix