Seit seinem Karrierestart 1997 mit „La vie de Jésus“ hat der Franzose Bruno Dumont sich ein Repertoire erarbeitet, das sich schwer in Schubladen pressen lässt. Während die ersten Arbeiten noch in der ländlichen Abgeschiedenheit Nordfrankreichs verortet waren, entfernte sich der Regisseur mit den späteren Werken davon und schlug überraschend andere Wege ein. Er erzählte Dramen von ungeahnter und zuweilen expliziter Rohheit, inszenierte dann historische Dramen (unter denen „Jeannette“ als Jeanne d’Arcs Metal Anti-Musical als herausfordernder Sonderling hervorsticht) und machte mit „Slack Bay“ ebenso Ausflüge ins Komödiantische.

von Madeleine Eger

So unterschiedlich die Genreausrichtungen des Regisseurs sein mögen, so viele Gemeinsamkeiten lassen sich doch entdecken. Damit sind aber nicht die Lobpreisungen und Auszeichnungen während der bisherigen Filmfestspiele in Cannes gemeint, bei denen bereits drei seiner der Filme bedeutende Preise gewannen und „France“ gleichwohl erneut im Wettbewerb des Filmfestivals lief. So arbeitet Dumont für seine Filme gern mit Laiendarstellern, widmet sich realitätsnahen und tiefgreifenden moralischen Konflikten, bebildert nackte Körper und versucht mit (provokanten) Extremsituationen Emotionen herauszufiltern – bei seinen Figuren wie auch bei seinem Publikum. „France“ ist nun einmal mehr ein Film, der aus dem bisherigen Portfolio heraussticht. Denn unter dem Deckmantel eines satirischen Melodrams im Hochglanzlook sind die Grenzen zwischen Überspitzung und schlichter Beobachtung kaum klar voneinander zu trennen.

France (Lea Seydoux) ist eine berühmt berüchtigte Journalistin, die vor nichts zurückschreckt, um die besten Storys für ihre Fernsehsendung zu bekommen. Zwischen Kriegsreportagen, Selbstinszenierung und erfolgsorientiertem Arbeiten verliert die Journalistin und Moderatorin zunehmend den Bezug zu Familie und dem alltäglichen Leben. Ein kleiner Unfall bringt die sonst so souveräne Frau nun völlig aus der Fassung und lässt sie zunehmend an sich selbst und an ihrem Job zweifeln. Ein Ausstieg aus dem Geschäft bringt zunächst nicht nur die erhoffte Neuorientierung. Ganz plötzlich wird sie selbst zum Objekt der medialen Begierde.

Während France in ihrem Fernsehformat den Blick auf die Welt wagt, wagt der Regisseur vielmehr einen beobachtenden Blick auf die heutige Medien- und Nachrichtenlandschaft und den Zwiespalt, dem sich der Journalismus ausgesetzt sieht. So werden Reportagen im Hinblick auf Quoten geschickt inszeniert, gescripted und vermeintlich emotionale Höhepunkte besonders gut verpackt, um Zuschauer zu erreichen, im schlimmsten Fall sogar mit Tragik zu unterhalten. Wo eben die Aufmerksamkeit begrenzt ist, Schnelllebigkeit zur Normalität geworden ist und Informationen immer und überall in Masse zur Verfügung stehen, versuchen sich Medien und Nachrichten zu behaupten und nutzen dabei Wege, die die Realität und den Wahrheitsbegriff zunehmend ausdehnen.

So bereist France für kurze Reportagen, manchmal im Tagesrhythmus, Kriegsgebiete und berichtet hautnah von den Geschehnissen. Hier wird man direkt stiller Zeuge davon, dass diese jedoch vielmehr an wirksamen Bildern und an einer gelungenen Eigendarstellung interessiert ist als an der Geschichte selbst. Gleichwohl erweisen sich eine politische Diskussionsrunde und deren hitzige Debattierer hinter der Kamera genauso sensationslüstern, die ebenfalls noch fleißig in der Gerüchteküche mitkochen. Ein mediales Schauspiel folgt dem nächsten, und wenn Lou, die Assistentin von France, mehr als einmal verlauten lässt, dass die Wahrheit dann doch niemanden interessiert, fragt man schon, ob Dumont hier nicht doch nur versucht seine Beobachtungen kritisch zu verpacken. Denn selbst wenn winzige Momente regelmäßig überzogen dargestellt werden, scheint der Grundtenor schmerzlich nah an der Realität.

Im Verlauf entwickelt der Film so eine sehr interessante zweischneidige Dynamik, in der nicht nur die Journalistin zum Spielball vom manipulativen Sensationsjournalismus wird, auch als Publikum sieht man sich wiederum von ihr selbst beeinflusst. Am Ende wird man sich fragen, ob die augenscheinliche persönliche Entwicklung, die die Frau durchmacht, tatsächlich in irgendeiner Art und Weise stattgefunden hat. Denn der Regisseur verwickelt seine Hauptfigur in Momente, die in ihrer Gestaltung und in ihrer dann zugeschriebenen Bedeutung kaum gegensätzlicher sein könnten.

Trotzdem fehlt „France“ als Satire hin und wieder der Biss, bleibt mit seinen Überzeichnungen manchmal zu harmlos und entwickelt im zweiten Drittel eine unangenehme Länge, durch die sich die Erzählung zusehends durchschleppen muss, um erst im letzten Teil noch einmal an Fahrt aufzunehmen. Lea Seydoux spielt ihren Charakter dabei in jeder Minute großartig und nimmt uns mit in eine Welt, die von leeren Worten und Empathielosigkeit dominiert wird, letztendlich aber jedem die eigene Beeinflussbarkeit aufzeigt und die Schwierigkeit offenbart, Inszenierung von Wahrheit unterscheiden zu können.

Fazit

„France“ ist eine manchmal zu zahm geratene Satire auf den modernen Journalismus, die sich im Verlauf zusehends in eine manipulative Seifenoper verwandelt und gerade dadurch zu einem Drama mit fesselnder Doppelbödigkeit entwickelt.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

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