Es ist der Nimbus des Arthouse-Studios A24, dass Filme, die von ihm produziert werden, in irgendeiner Weise etwas Besonderes darstellen. Mal ist es die Farbgebung, mal der unheimliche Handlungsverlauf, mal das Sujet. Egal, um welches Projekt es sich handelt, am Ende kann das Publikum davon ausgehen, dass der jeweilige Film kreativ umgesetzt ist und entsprechend einfallsreich mit der jeweiligen Materie umgeht.

von Richard Potrykus

“Midsommar” (2019), “Der Leuchtturm” (2019, “Minari” (2020) oder der erst vor Kurzem erschienene “Dream Scenario” (2024) sind nur ein paar Beispiele der erstaunlichen Schaffenskraft von A24. Seit kurzem ist nun mit „Civil War“ ist der neue Film von Alex Garland auf der Leinwand zu sehen und beweist, dass das Studio auch auf dem Gebiet des Kriegsfilms in der Lage ist, enorm zu beeindrucken.

“Civil War” handelt von einer Gegenwart, in der auf dem Gebiet der USA ein Bürgerkrieg herrscht. Das Land ist in vier Fraktionen zerbrochen und wird von umfassender Gewalt heimgesucht. Als sich die Ereignisse soweit zuspitzen, dass der Sturz des Präsidenten absehbar wird, bricht eine Gruppe von Journalisten und Kriegsfotografinnen, allen voran Lee Smith (Kirsten Dunst), von New York aus auf, um ein (möglicherweise letztes) Interview mit dem US-Präsidenten zu führen, bevor die Stadt Washington D.C. fällt.

Garland inszeniert den Film dabei, man kann sagen, aus sich selbst heraus. Zwar gibt es ruhige Bilder, die, mit Distanz aufgenommen, das Dargestellte in der gewohnten optischen Auflösung unserer Zeit präsentieren und es gibt auch effektreiche Actionmomente. Aber anders als es gängige Kategorisierungen kommunizieren, ist “Civil War” ausdrücklich kein Actionfilm. Es geht nicht im eine Gruppe Held*innen, die von A nach B müssen, um eine Rettungsaktion durchzuführen, um so den Konflikt siegreich in die Knie zu zwingen und dadurch das System zu bestätigen.

Anders als Filme wie “Olympus has fallen” (2013) oder “Der Staatsfeind Nr. 1” (1998), in denen neben Hochglanz-Action, nähere und intimere Bilder zwar die gefährliche Lage unterstützen, aber auch die Action intensivieren, gibt es in “Civil War” wenig Action um der Action willen. Vielmehr liefern die Bilder Spannung und Aufregung, weil die Handlung es erfordert, nicht weil es dem Publikum gefallen muss. Und genau da liegt auch der visuelle Kern des Films. Er gefällt nicht. Die Bilder beeindrucken zwar, aber sie gefallen nicht. Nicht zuletzt liegt dies an einem Stilmittel, welches immer im richtigen Moment eingesetzt und bis zum Schluss durchexerziert wird.

Man bedenke, dass Lee und ihre junge Kollegin Jessie (Cailee Spaeny) Fotografinnen sind, denen es darum geht, nicht nur die Geschehnisse zu dokumentieren, sondern die Vielschichtigkeit des Moments einzufangen. In diesem Sinne kommt es immer dann zu Standbildern, wenn Lee und Jessie die Auslöser ihrer Kameras betätigen. Garland bzw. Jake Roberts, der für den Schnitt verantwortlich zeichnet, nutzt diese diegetischen Schnappschüsse und inkludiert sie in seine Bildreihenfolge. Für kurze Augenblicke kommt jegliche Bewegung zum Erliegen, wird der Sturz eines Soldaten unterbrochen, um genau die Sekunde hervorzuheben, in der sich herausstellt, dass ein Entrinnen nicht mehr möglich ist; in der die tödliche Kugel trifft; in der der getroffene Soldat auf dem Boden aufschlägt. Man denke hier an die Erschießung eines nordvietnamesischen Widerstandskämpfers in Saigon während des Vietnamkrieges.

“Civil War” setzt damit einen klaren Kontrapunkt zu ästhetisierenden Gewaltfantasien wie “John Wick” (2014) oder allem, was Tarantino auf die Leinwand bringt. Viele Bilder, aufgenommen von Kameramann Rob Hardy, aus dem Film sind bekannt, nicht weil sie aus einem Archiv genommen und für den Film recycelt wurden, sondern weil es sie bereits tausendfach gibt. Jedes Mal, wenn die HD-Optik des Films der einer grobkörnigen Videokamera weicht, könnte der Film genauso auch in Ruanda, dem Kosovo oder der Ukraine spielen. Wenn sich das Gesicht vor Schmerz verzerrt, wenn die Kugel eintritt, könnte die gestellte Aufnahme auch ein echtes Bild aus Tschetschenien oder dem Irak sein. In einer Szene im Film sitzen Lee und ihr Kollege und Mentor Sammy (Stephen McKinley Henderson) auf einem Sofa im Freien und unterhalten sich.

In der Ferne tobt ein Gefecht. Artilleriefeuer schnellt von einer Seite auf die andere und erhellt den Nachthimmel. Die Kamera ist ruhig, genauso ruhig wie das Publikum im Kinosaal. Doch das Publikum wird nicht zum Teil des Films. Vielmehr entfernen sich Lee und Sammy aus dem Film und gesellen sich zu den Zuschauer*innen, die anstelle von “Civil War” auch die Berichterstattung aus dem Golfkrieg 1991 anschauen könnten.

Alles im Film wirkt neu und doch erschreckend vertraut. Das betrifft Flüchtlingslager, die den Inbegriff der Zeitgeschichte bilden, genauso wie Leichen in einem Massengrab, die mit Kalk bestreut werden.
Dabei ergreift der Film zu keiner Zeit politisch Partei.

Es wird nicht verraten, wie lange der Bürgerkrieg bereits andauert, es werden keine Momente ursprünglicher Eskalation genannt; keine Motive; keine Ziele. Stattdessen werden dem Publikum ganz beiläufig Schnipsel zugeworfen, gerade genug, um ein historisches Interesse zu schüren, aber zu wenig, um eine Schlussfolgerung zu ermöglichen. Da wird eine dritte Amtszeit genannt und die Auflösung des FBI. In plakativen Parolen ist von „rechtschaffenen Amerikanern” einerseits und “Sezessionisten” andererseits die Rede. Andernorts gibt es nur das undefinierte “wir” gegen “die” und schließlich führt die Route der Gruppe über das (in der Realität) berüchtigte Charlottesville. Wer dabei auf der vermeintlich richtigen Seite steht, ist unklar. Könnten es die Unterstützer der Loyalist States sein, die zum Präsidenten stehen?

Immerhin bekam er, wie einst Franklin D. Roosevelt, eine dritte Amtszeit. Andererseits ist es genau dieser Präsident, der in seinen Ansprachen all jene, die nicht Teil der Loyalist States sind, diffamiert. Demnach könnten also die Western Forces die Seite der Wahl bedeuten. Unter diesen gibt es jedoch einen Soldaten (Jesse Plemons), der nach willkürlichen Maßstäben entscheidet, wer leben darf und wer sterben soll.

Und genauso überfordert wie das Publikum sind all jene Menschen im Film, die keine Waffe tragen. Denn am Ende ist es schwer, etwas einer anderen Person gegenüber zu artikulieren, wenn man gar nicht weiß, wer die andere Person ist; wenn mögliche gemeinsame gemeinschaftliche Interessen einem wirren Zugehörigkeitsfanatismus gewichen sind. Dementsprechend gibt es keine Infrastruktur mehr. Die großen Straßen, die Highways und Interstates sind nicht sicher befahrbar. Als Konsequenz muss die Gruppe von Norden kommend, einmal um Washington D.C. herum, nach dem bereits erwähnten Charlottesville reisen, um dann von Süden in die Stadt zu gelangen. Anfangs ist noch das WLAN in New York unzuverlässig, später ist selbst einfacher Mobilfunkempfang Luxus.

Durch den Zusammenbruch der Wirtschaft ist der US-Dollar entwertet. Für einen halbvollen Tank Benzin und zwei Reservekanister müssen daher 300 kanadische Dollar investiert werden. So nah kann also der Frieden sein, wenn das unmittelbare Nachbarland, welches eine gemeinsame Grenze zur USA von über 8.891 km Länge hat, unbeeinflusst von dem ganzen Wahnsinn noch immer als Wert für Beständigkeit gelten kann. Das Erreichen von Charlottesville ist an sich unbedeutend. Aber, dass der Name der Stadt im Laufe des Films immer und immer wieder genannt wird, ruft Bilder aus dem Gedächtnis zurück und verknüpft sie mit den Ereignissen aus “Civil War”.

Am Ende verlässt der Film die Schauplätze wieder. Es gibt einen Abschluss, aber fraglich ist, ob es eine Lösung gibt. Das letzte Bild des Films zeigt eine Siegerpose, aufgenommen unmittelbar nach einem Erfolg und erinnert an eine Großwildjagd sowie die kolportierten Bilder aus den Kriegsgebieten dieser Welt, in der Sieger ihre hierarchische Überlegenheit gegenüber den Besiegten konstatieren, doch wie so vieles in “Civil War” bleibt auch dies unkommentiert. Es wird nicht unterfüttert und verbleibt in der vagen Deutungsmöglichkeit anstelle einer klaren Deutungshoheit.

Fazit

Unzweifelhaft wird “Civil War” einer der wichtigsten Filme des Jahres sein und zahlreiche Fraktionen werden den Film für sich und ihre Sicht auf die Dinge reklamieren. Ob sie damit richtig liegen, wird die jeweilige differenzierte Auseinandersetzung mit dem Film zeigen, sofern die Vereinnahmung des Films differenziert erfolgt und mehr umreißt als billige Worthülsen fiktionaler und realer Politiker*innen.

Wertung

Bewertung: 10 von 10.

(96/100)

Bild: (c) A24