Wenn einem das Ende eines Films verraten wird, ist das für gewöhnlich etwas Schlechtes. Wenn der Film zu Beginn selbst das Ende verrät, relativiert das zwar die Situation, weil der Film das mit Absicht macht, aber es entsteht zumindest ein gewisser Beigeschmack. Im Fall von “In der Nacht des 12.” wird das Ende insofern vorweggenommen, als dass gesagt wird, es gäbe keines, und das deprimiert total. Der französisch-belgische Kriminalfilm aus dem Jahr 2022 basiert unter anderem auf dem Sachbuch “18.3 une anée à la PJ” der französischen Autorin Pauline Guéna, die über ein Jahr Polizist*innen eines Pariser Polizeikommissariats begleitete, und erscheint morgen auf DVD und BluRay.

von Richard Potrykus

“In der Nacht des 12.” beginnt an einem Abend im Jahr 2016 mit der feierlichen Verabschiedung des Hauptkommissars in dessen Ruhestand. Der Polizeibeamte Yohan (Bastien Bouillon) wird dessen Nachfolger. Noch in derselben Nacht verstirbt die junge Frau Clara (Lula Cotton-Frapier). Yohan und sein Team übernehmen die Ermittlungen, wobei gerade Yohan und dessen Kollege Marceau (Bouli Lanners) im Fokus des Films stehen. Nachdem sie die Eltern (Matthieu Rozé, Charline Paul) von Clara über deren Tod informiert und auch mit Claras Freundin Nani (Pauline Serieys) gesprochen haben, beginnt eine Schnitzeljagd, bei der sich die Beamten von Hinweis zu Hinweis hangeln und bei der sich mit jeder neuen Antwort nur neue Fragen auftun.

Drei Jahre später beschließt eine Untersuchungsrichterin (Anouk Grinberg), den Fall wieder aufzurollen. Wieder ist es Yohan, der die Ermittlungen leitet. Ihm zur Seite steht mittlerweile Nadia (Mouna Soualem). Beide hoffen auf eine Unachtsamkeit des Täters hinsichtlich des Jahrestages der Tat.

Der deutsche Schauspieler und “Tatort”-Kommissar Jörg Hartmann hat 2018 in der Fernsehshow “Zimmer Frei! – Prominente suchen ein Zuhause” folgendes treffend formuliert: “Wenn wir die Realität der Polizeiarbeit abbilden würden, dann müssten wir in den neunzig Minuten ‘Tatort’ achtzig Minuten Protokolle schreiben.” Zweifellos liegt Hartmann mit seiner Einschätzung richtig, doch, was für Unterhaltung am Sonntagabend undenkbar scheint, wird in “In der Nacht des 12.” haargenau durchexerziert.

Textnachrichten werden gelesen, Sprachnachrichten werden abgehört. Im Film wird jeder noch so kleine Hinweis dokumentiert und jedes Stichwort notiert. Gesucht wird die Nadel im Heuhaufen und während in anderen Formaten das Publikum einen Wissensvorsprung besitzt, so können Zuschauer*innen in diesem Fall nur tatenlos zusehen, wie die Polizisten ihr Bestes geben und doch auf keinen grünen Zweig kommen.

Im Zitat fügte Hartmann damals an: “Das will doch keiner sehen.” Regisseur Dominik Moll scheint hier anderer Meinung zu sein und lässt in seiner Art der Inszenierung nicht locker. Für das Publikum ist “In der Nacht des 12.” ein zermürbendes Spiel gegen die Hoffnungslosigkeit. Von dieser werden auch die Figuren ergriffen und so zeigt Moll Yohan und Marceau ebenso außerhalb des Kommissariats, bei dem Versuch, ein Privatleben zu führen. Um den Kopf frei zu bekommen, fährt Yohan Rad, allerdings kommt er nie voran. Er fährt auf einer Rennbahn und anstelle vom Beruf Abstand zu nehmen, holt ihn der Mord an Clara Runde um Runde immer wieder ein. Doch Yohan ist jung, stark und hat einen (noch) ungebrochenen Willen. Marceau, der älter ist als Yohan und mehr Erfahrung hat, ist derweil am Ende seiner Kraft angelangt. Zu viele Fälle, zu viel Gewalt und private Konflikte lassen ihn schließlich das Handtuch werden.

Es sind gerade diese Momente, die “In der Nacht des 12.” von anderen Kriminalfilmen abheben. Yohan und Marceau sind Männer, die Schwächen haben, keine heldenhaften John Waynes, die von allen respektiert auf der Seite des Rechts stehen, keine hochfunktionalen Soziopathen, deren Privatleben kunstvoll in die Brüche gegangen ist. Yohan scheint keine nennenswerten privaten sozialen Kontakte zu haben und Marceaus Ehe steht vor dem Aus. Beide könnten Besseres mit ihrer Zeit anfangen, doch müssen sie Partei für die junge Frau ergreifen, die nicht mehr für sich selbst sprechen kann.

Und so zieht der Film immer größere Kreise, zeigt auf, dass ein üblicher, stringenter Krimi zwar spannend ist, aber die Realität stark verkürzt, und stößt schließlich in die Metaebene von Ursache und Schuld vor. Könnte es vielleicht sein, dass der Täter zwar ein einzelner Mensch ist, aber nicht ein Mann Clara umgebracht hat, sondern der Mann an sich, und könnte es auch sein, dass Egoismus und Blindheit jedes einzelnen Menschen solche Taten erst ermöglichen? “In der Nacht des 12.” schließt mit stummen Sätzen und der fehlenden Erlösung. Der Film ist beklemmend, nicht zuletzt, weil er, wenn auch nicht in Gänze, wahr ist.

Fazit

“In der Nacht des 12.” beginnt mit der ernüchternden Botschaft, keine Lösung zu liefern, portraitiert die Polizeiarbeit und zeigt auf, dass immer und überall Menschen involviert sind. Der Film grenzt an ein Sittengemälde und zwingt das Publikum, zu reflektieren. Wie gehe ich selbst mit Verlust um? Habe ich selbst schon einmal etwas getan oder gewünscht, dass etwas geschieht? Wie sehr urteile ich über andere?

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(81/100)

“In der Nacht des 12.” lief am 27.1.2023 in den österreichischen Kinos an und erscheint am 14.4. auf DVD und BluRay.

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Bild: (c) © Filmladen Filmverleih bzw. Ascot Elite