“Skinamarink” ist ein experimenteller Horrorfilm aus Kanada und stammt von Regisseur Kyle Edward Ball. Der Film ist Balls Langfilm-Debut. Zuvor hatte der Filmemacher über seinen YouTube-Kanal “Bitsized Nightmares” auf sich aufmerksam gemacht, wo er zumeist Kurzfilme veröffentlichte, die ebenfalls im Horrorgenre zuhause sind.
von Richard Potrykus
In “Skinamarink” spinnt Ball die Gedanken aus seinen Kurzfilmen nun weiter und erstreckt seine besonderen Kombinationen aus eigenwilligen Kameraperspektiven und Voiceover über gut eineinhalb Stunden. Zunächst 2022 auf Festivals gezeigt, holte der Film zunächst die Kritiker auf seine Seite. Dann breitete sich der Film ungewollt im Internet aus und wurde auf verschiedenen Plattformen zum Geheimtipp oder sogar Hit. Erste Kinoaufführungen in den USA und Kanada erfolgten Anfang 2023. Seitdem hat der Film sein Budget von ca. 15.000 Kanadischen Dollars um ein Vielfaches wieder eingespielt und erscheint nun auch bei uns auf den Kinoleinwänden.
“Skinamarink” handelt von den Geschwistern Kevin (Lucas Paul) und Kaylee (Dali Rose Tetreault), die eines Nachts aufwachen und feststellen, dass ihr Vater (Ross Paul) nicht zuhause ist. Zwar kehrt der Vater wieder heim, verschwindet dann jedoch wieder und auch die Mutter (Jaime Hill), die kurz anwesend ist, ist ziemlich bald ebenso abwesend. Zudem hören sie eine unheimliche Stimme und erleben, wie Fenster, Türen und diverse Gegenstände einfach verschwinden. Die Kinder versuchen, sich im Wohnzimmer zu verbarrikadieren, doch die Stimme wird hierdurch nicht ferngehalten.
Als der Film beginnt, ist eine unheimliche Atmosphäre bereits allgegenwärtig, und als der Film endet, kann von einer Lösung des Konflikts nicht wirklich die Rede sein. Ball inszeniert sein Werk wie ein Kammerspiel, wenngleich die einzelnen Szenen eher einzelnen Eindrücken ähneln als aufeinanderfolgenden Ereignissen. “Skinamarink” gleicht hier einer äußerst seltsamen altmodischen Dia-Projektion, bei der die einzelnen Bilder Szenen entsprechen, und es vorkommen kann, dass die Dias falsch eingelegt wurden und nun auf dem Kopf, zur Seite gekippt oder spiegelverkehrt erscheinen.
In “Skinamarink” gibt es beinahe ausschließlich Einstellungen, in denen die Kamera den Boden oder große Teile der Zimmerdecke zeigt, wodurch der Blick auf das vermeintlich Wesentliche verhindert wird. Im Gegensatz zum falsch eingelegten Dia wird das Bild im Film jedoch nicht unter einer peinlich berührt klingenden Entschuldigung korrigiert. Ball, der nur in Ausnahmefällen Kameraschwenks oder -fahrten einsetzt, verharrt in den jeweiligen Einstellungen überdurchschnittlich lang und nicht selten ist nur das laute Atmen der Kinder zu hören.
Überhaupt vermittelt der Film den Eindruck eines durchgängigen Point of View, ausgehend von den Geschwistern. In keinem Moment gibt es eine externe Kameraposition, die einen irgendwie gearteten neutralen Blick auf das Geschehen ermöglicht. Dementsprechend gibt es auch immer nur das Jetzt. Weder springt Ball in den Zeitebenen und gibt in einer Art Expositionen so etwas wie eine Vorgeschichte zu erkennen, noch springt er an einen anderen Ort, an dem eine Form der Erklärung erzählt werden könnte. Der Film ist derart subjektiv angelegt, dass es sogar schwer fällt, zu erkennen, ob die Kamera gerade den Blick von Kevin repräsentiert oder den seiner Schwester Kaylee.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei “Skinamarink” um einen experimentellen Horrorfilm. Reguläre Erzählstrukturen greifen hier nicht. Es gibt keine Drei-Akt-Strukturen, keine Totalen und auch keine bestimmten Heldenfiguren. Die einzelnen Bilder gleichen eher Fotografien geometrischer Formen, bei denen entweder zu viel oder zu wenig Licht eingesetzt wurde. Begleitet von einer grobkörnigen Bildqualität erinnert das Ganze nicht von ungefähr an die Exploitationfilme der 1960er und 70er Jahre und während der Regisseur mit der Kamera stur eine Raumecke filmt, muss das Publikum einen starken Willen aufbringen, um die Leinwand im Blick zu behalten, denn zwei Dinge fallen hier schwer ins Gewicht: Zum einen kann es langweilig sein, einer Ecke beim Beleuchtet-Sein zuzuschauen, und zum anderen bahnt sich mit jeder dieser Einstellungen die Möglichkeit zu einem Schockmoment an.
Ball zieht diese Momente so lang wie möglich in die Länge und scheint dann spontan zu entscheiden, ob er die Erwartungshaltung erfüllt oder mit ihr bricht, nur um an anderer Stelle das Spiel zu wiederholen – dieses Mal mit einer Bettkante und einem Teppichboden.
Wortbeiträge oder gar Dialoge finden in “Skinamarink” stets nur akustisch statt. Zu keiner Zeit wird gezeigt, wie eine Figur spricht. Teile dieses Voiceovers werden dabei untertitelt, andere nicht. Es ist nicht leicht, herauszufinden, nach welchem Muster hier vorgegangen wird, doch könnte die Sichtweise der Geschwister eine Rolle spielen. Jedem ist es in der Kindheit schon einmal widerfahren, dass man nicht schlafen konnte und in diversen Schattenformen und Zimmerecken glaubte, eine Gefahr zu erkennen. Diese offensichtlichen Trugbilder könnten hier gespiegelt werden, insofern, als dass die untertitelten Wortbeiträge einer objektiven Wahrheit entspringen, während die anderen Gesprächsfetzen Hirngespinste oder damit verbundene Selbstgespräche darstellten.
Allein, spätestens, wenn die Mutter Kaylee darum bittet, die Augen zu schließen, ist diese Theorie dahin und ein Geheimnis des Films doch nicht gelüftet…
Fazit:
Grundsätzlich gilt für “Skinamarink”, was allgemein für experimentelle Filme gilt. Sie können nicht nach gängigen Maßstäben bemessen werden. Experimentelle Filme loten Grenzen aus und überschreiten diese im Anschluss. Durch das experimentelle Kino hinterfragt sich das Medium Film selbst und gibt sich die Möglichkeit, sich zu erweitern und das Gewohnte in einem anderen Licht darzustellen.
In Teilen ist die Atmosphäre des Films extrem dicht und die Schockmomente sind wesentlich besser als jene, die im derzeitigen Mainstream-Film zu sehen sind. Andere Momente kostet der Film in Sachen Länge voll aus und nicht selten wird der Horror hier überdimensional groß, wenngleich nichts (wirklich gar nichts) passiert.
In einem Versuch, den Film dennoch auf konventionelle Art zu erfassen, kann allerdings gesagt werden, dass er es leider nicht schafft, eine gute Balance zwischen Dichte und Länge herzustellen, weshalb es immer wieder vorkommt, dass er seinen Rhythmus verliert – und infolgedessen die Aufmerksamkeit des Publikums. Davon abgesehen bieten die 100 Minuten Laufzeit pures Unwohlsein, da gerade der verstellte Blick auf den Raum an sich einen selbst panisch werden und rätseln lässt, ob und wo sich das Grauen gerade befindet. Ab 7.9. im Kino.
Bewertung:
konventionell: 58/100
experimentell: 76/100
Unser Autor Richard Potrykus betreibt auch den Blog Celluloid Papers.
Bild: (c) capelight pictures