Der Brite Graham ist angesehener Pastry-Chef in London, mit seiner Partnerin erwartet er das erste Kind. Die Dinge könnten nicht besser laufen, möchte man meinen, doch Graham trägt ein Trauma in sich, das er nie ablegen konnte: Als er 2 Jahre alt war, wurde er von seiner Mutter getrennt, er lernte sie nie kennen, sein Vater war gewalttätig. Was Familie heißt, durfte er nie lernen.
von Christian Klosz
Es ist Anfang 2020, die Frühphase der Corona-Pandemie, da taucht plötzlich, aus dem Nichts, eine alte Dame auf der Bildfläche auf: Graham erhält eine Mail von „Dionne“, die behauptet, seine leibliche Mutter zu sein. Kann das wahr sein? Doch Dionne hat Infos über Graham, die sonst niemand haben kann. Die beiden vereinbaren ein Treffen, und es macht sofort „Klick“: Graham ist sich sicher, das ist seine 45 Jahre lang vermisste Mama. Auf das Hochgefühl folgt die Ernüchterung: Sie habe schweren Krebs, sagt Dionne, und nicht mehr lange zu leben.
Um die verbleibende Zeit bestmöglich zu nutzen, verbringt Graham jede Sekunde mit seiner wiedergefundenen Mutter und beginnt, seine Frau zu vernachlässigen, sogar als das Baby auf die Welt kommt. Dionne überhäuft ihren Jungen mit Geschenken, zieht von einem teurem Hotel zum nächsten, lässt es sich gut gehen, macht den Eindruck, eine unglaublich reiche Frau zu sein, mit wirtschaftlichen Unternehmungen überall in der Welt, trotz ihres Alters von über 80 und ihrer angeschlagenen Gesundheit. Doch da mehren sich die Hinweise, dass nicht alles an ihren Geschichten stimmen könnte. Vermehrt verlangt sie, dass Graham horrende Hotelkosten für sie übernimmt, doch der ahnt noch nichts. Erst als seine Freunde intervenieren und seine Partnerin Nachforschungen anstellt, wird er dazu gezwungen, sich selbst – und seiner angeblichen (?) Mutter – unangenehme Fragen zu stellen: War all das „too good to be true“?

Derzeit laufen die „True Crime-Tage“ auf Netflix, könnte man meinen: Gestern wurde „Vom Rockstar zum Killer: Der Fall Bertrand Cantat“ veröffentlicht, nächsten Montag folgt „Gone Girls: Der Serienmörder von Long Island“. Und bereits am 25.3. kam „Con Mum: Vermisste Mutter oder Betrügerin?“ heraus. Die knapp 90-minütige Doku erzählt eine unglaubliche, aber wahre Geschichte zwischen persönlichem Drama und riesigem, bisher ungeklärtem Betrugsfall, die immer neue Volten schlägt, sodass bis zum Finale unklar ist, was hier stimmt und was nicht. Das ist extrem spannend und faszinierend, wie das meist bei Erzählungen dieser Art ist.
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„Con Mum“ schlachtet die Geschichte aber nicht sensationslüstern aus, sondern lässt auch jene ausführlich zu Wort kommen, die direkt davon betroffen waren: Eben „Chef“ Graham Hornigold, den wiedergefundenen Sohn, aber auch seine Partnerin aus der Zeit, Heather Kaniuk. Getrennt voneinander werden sie in Interviews befragt und dürfen dabei, durchaus detailreich, schildern, was das ganze emotional mit ihnen gemacht hat. Gerade der sympathische Graham glänzt durch schonungslose Offenheit. Zudem kommen Freunde von Graham zu Wort, die sich zunehmend Sorgen um ihn machten. Und ihn schließlich „retteten“, wie er selbst sagt.
Fazit
„Con Mum: Lang vermisste Mutter oder Betrügerin?“ erzählt eine unfassbare, enorm spannende, aber auch tragische Geschichte eine Mannes, dessen Leben sich innerhalb kurzer Zeit mehrfach ändert. Filmische solide umgesetzt, sind es gerade die psychologischen Aspekte, die am meisten fesseln. Sehenswert! Und für Fans absurder, aber wahrer Geschichten ein Muss.
Bewertung
(81/100)
Bilder: (c) Netflix
