Filme aus Island schaffen es eher selten zu großer internationaler Bekanntheit, noch seltener sind sie im regulären Kinobetrieb zu finden; es sei denn, ein kleiner Verleih (in diesem Fall: der österreichische Filmverleiher Thimfilm) wird auf eine filmische Perle aus dem Norden aufmerksam, und nimmt sie in sein Programm. Geschehen so, dankenswerterweise, mit der schwarzen Komödie „Under the Tree“, gedreht schon im Jahr 2017 und damals im Programm des TIFF, die ab 24.5. in österreichischen Kinos zu sehen ist. Der Film ist eine der positiven Überraschungen des bisher höhepunktarmen Filmjahres, und weiß mit seiner Mischung aus kühlem Drama und tragischer Komik zu überzeugen.

von Christian Klosz

„Under the Tree“ beginnt damit, dass Atli, ein durchschnittlicher Thirty-Something mit Ehefrau und Kind, von seiner Gattin dabei erwischt wird, wie er frühmorgendlich zu einem offenbar selbstgefilmten Video, in dem er mit einer anderen Frau zugange ist, masturbiert (wie sich herausstellen wird: das Video entstand bereits vor seiner Ehe), was die bereits abgekühlte Beziehung der beiden weiter abkühlen lässt, sprich: Atli wird aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Vorübergehend findet er Unterschlupf bei seinen Eltern, die in einer soliden Vorstadtgegend wohnen, wo der Alltag durch für solche Areale typische Konflikte geprägt ist: Der Streit von Atlis Eltern mit den Nachbarn bezüglich eines Baums, der zu weit in deren Grundstück hinüberragt, und der midlifecrisisgeplagten Nachbarin Eybjorg wertvolle Sonnenstunden kostet, steht knapp vor der finalen Eskalation. Als schließlich auch noch die geliebte Hauskatze im Hause Atli & Eltern verschwindet, steht es Spitz auf Knopf: Eine unerwartetes Drama nimmt seinen Lauf.

„Under the Tree“ wurde als Komödie angekündigt, was gewisse Erwartungshaltungen weckt. Dass diese aber schon nach kurzer Zeit enttäuscht werden, spricht in dem Fall für den Film: An Komik ist in den ersten Minuten tatsächlich wenig zu erkennen, die Handlung ist geprägt von kleineren und größeren (universellen) Dramen des Alltags. Doch der angekündigte Humor bahnt sich dennoch immer wieder den Weg durch die an sich tragischen Begebenheiten, er findet sich in der Skurrilität und Bizarrheit der dargestellten Situationen und Aktionen.

Das Attribut „ein isländischer Haneke“, das irgendwo zu lesen war, trifft den Charakter des Films nicht schlecht: „Under the Tree“ stellt, stilistisch durchwegs kühl und trocken, die kommunikative Unfähigkeit und die durch diverse Traumata bedingte emotionale „Vergletscherung“ der Protagonisten in die Auslage, deren Unfähigkeit, an sich banale Konflikte mit Herz und Hirn zu lösen. Dieses Sittenbild, die hochneurotische Ausgangslage, bietet die Grundlage für eine gelungene Tragikkomödie, deren Humor sich insbesondere durch seine Unaufdringlichkeit und seinen Lakonismus auszeichnet.

Obwohl sich die Tragödie bereits länger abzeichnet, ist die finale Eskalation dennoch unerwartet. Der Film gewinnt im Laufe der Spielzeit stetig an Qualität, bis man am Ende mit einem Gefühlsamalgam aus unterhalten, geschockt und konsterniert den Kinosaal verlässt. Die besondere Qualität von „Under the Tree“ liegt darin, dass er so untypisch ist: Die dargestellten Probleme wirken allesamt realistisch und lebensnah, universell, und lassen sich so oder ähnlich wohl auf der ganzen Welt finden. Dennoch lässt sich auch ein typisch nordisch-isländischer Charme ausmachen, der jeglicher Gewöhnlichkeit oder Beliebigkeit entgegen steht. Es ist diese Mischung, die den besonderen Reiz von „Under the Tree“ ausmacht.

Fazit:

Wie lässt sich nun „Under the Tree“ zusammenfassen, wie lässt sich erklären, was die Zuschauer erwartet? Der Film von Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurðsson ist kein Feelgood-Movie, aber dennoch unterhaltsam, die Handlung relativ simpel und universell verständlich, der Film dennoch komplex und originär, der Stil kühl und lakonisch, aber dennoch charmant. Eine positive filmische Überraschung, die die kleinen und großen Dramen des Lebens mitleidslos darstellt, aber dennoch nie ihren Humor verliert. Sehenswert!

Bewertung:

8 von 10 Punkten

Bilder: (c) 2019 Thimfilm