Nachdem „Das Melancholische Mädchen“ beim Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken bereits mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet wurde, ist Susanne Heinrichs Filmkomödie nun auch in den österreichischen Kinos zu sehen. Die 33-jährige Heinrich, die bislang als Autorin arbeitete, führte bei ihrem ersten Spielfilm nicht nur Regie, sie schrieb auch das Drehbuch. Verhandelt werden darin auf skurrile Weise politische Themen rund um Individualität, Feminismus und neoliberalen Kapitalismus – was die postmoderne Gesellschaft der Gegenwart eben bewegt.

In 14 lose zusammenhängenden Episoden sucht das titelspendende melancholische Mädchen (Marie Rathscheck) in der Großstadt nach einem Schlafplatz, denn zurzeit ist sie wohnungslos. Von Beruf ist sie Autorin, doch sie kommt einfach nicht über den zweiten Satz des ersten Kapitels hinaus, wie sie ihren diversen Begegnungen auf Nachfrage erzählt. Zu diesen zählt eine Gruppe von Frauen, die ihren Lebenssinn in der Mutterschaft gefunden haben, sowie eine Reihe von Männern, mit denen sie manchmal Sex hat und manchmal auch nicht:Da ist der Märchenprinz in der Badewanne, der Mann aus der Kunstgalerie, der eine Zeit lang schwul war, oder der Bauarbeiter-Philosoph, der „Pasta mit nichts“ oder „Pasta mit Knoblauch“ anbietet: „Pasta mit nichts klingt gut“, sagt das melancholische Mädchen. Und mehr passiert auch nicht – denn melancholischen Mädchen passiert eben nichts.

Das Mädchen ist keineswegs als psychologische Figur angelegt. Sie ist kein Einzelschicksal, sondern ein abstrakter Prototyp: „Wenn das hier zum Beispiel ein Film wäre“, sagt sie, „würden wir jetzt schon alle die verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizieren wollen.“ Stattdessen bewegt sie sich ohne jede Entwicklung durch die verschiedenen Episoden und stellt die Gesellschaft von heute in Frage. Eine Gesellschaft, in der Feminismus etwas ist, womit man Versandhäuser bewirbt, das KünstlerInnendasein ein Produkt der Diktatur der Selbstverwirklichung, die Meditation aber auch bloß mystische Ich-Vergessenheit. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als in einer Drag-Bar auf das Ende des Kapitalismus zu warten. Derartige Erkenntnisse teilt sie uns mit beständig emotionsloser Stimme mit, manchmal auch mit direktem Blick in die Kamera – Verfremdungseffekte, die sich genauso auf die anderen Figuren im Film erstrecken.
Der hohe Grad an Künstlichkeit endet jedoch nicht bei den Figuren, sondern zieht sich durch sämtliche Ebenen des Films. Die Sets, gänzlich artifizielle Innenräume in pastellfarbenem Rosa und Türkis, durchgestaltet bis ins letzte Detail, versprühen einen schrulligen Charme irgendwo zwischen Gemälde und Schaufenster. Gefilmt sind die Kulissen in ultraflachen Bildern im 4:3-Format. Wenn darin die Figuren gestikulieren, wird das von cartoonmäßigen Soundeffekten begleitetet, dazu erklingt konfuser Big-Band-Sound. Hin und wieder beginnen die Figuren zu singen.

Diese Künstlichkeit, sowie die Tatsache, dass es sich nicht um einen herkömmlichen Erzählfilm, sondern um eine essayistisch angelegte Abrechnung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen handelt, könnte „Das Melancholische Mädchen“ leicht ins Anstrengende abrutschen lassen. Doch überraschenderweise tut es das nie. Denn es ist genau dieser Mix aus Absurdität und Gesellschaftskritik, der den eigenwilligen Witz des Films ausmacht.Zwar kommt auch der Beigeschmack des Überheblichen auf, aber man ist versucht, ihn als weiteres Stilmittel zu interpretieren.
Fazit
„Das Melancholische Mädchen“ ist in gleichem Maße klug und witzig. Susanne Heinrichs Debütfilm setzt ein gewisses Maß an Aufgeschlossenheit gegenüber seiner experimentellen Machart voraus und wird mit Sicherheit nicht jedermanns Geschmack treffen. Wer sich aber darauf einlassen möchte, wird mit einem spannenden Porträt der gegenwärtigen Gesellschaft belohnt, das als Grundlage zahlreicher Diskussionen dienen kann.
Bewertung
8 von 10 Punkten
Bilder: © Stadtkino Filmverleih