Wenig erschütterte die Filmbranche, genauer genommen: Hollywood in den letzten Jahrzehnten mehr als der sogenannte „Weinstein-Skandal“ und die darauf folgende #metoo-Bewegung, die auch weite Kreise in der Gesellschaft zog. Auslöser des Ganzen war die Aufdeckung von diversen Fällen von sexueller Belästung und sexuellem Missbrauch, die dem Filmproduzenten Harvey Weinstein von mehreren Frauen vorgeworfen wurden. Offenbar war Weinsteins Faible für „junge, hübsche Dinger“ ein offenes Geheimnis in der Stadt der Träume gewesen, doch bis dahin hatte sich niemand getraut, offen und öffentlich gegen ihn Stellung zu beziehen. Ein investigativer Zeitungsartikel, der die Aussagen mehrerer Opfer des Filmmoguls sammelte, ließ dann alle Dämme brechen: Die Jagd auf den „alten weißen Mann“, ab nun Synonym für problematisches männliches Verhalten und Feindbild Nummer eins für Frauen weltweit, war eröffnet. Der Film „Untouchable“, erstmals letzten Herbst öffentlich aufgeführt und ab 9.4. bei uns unter dem Titel „Unantastbar“ auf DVD und BluRay und seit kurzem als VOD auf diversen Plattformen verfügbar, versucht, den Beginn bzw. Ausgangspunkt der „Weinstein-Affäre“ dokumentarisch zu rekonstruieren.

von Christian Klosz

Die Regisseurin Ursula MacFarlane befragte für ihren Film 2 Gruppen Menschen: Zum einen Frauen, die behaupten, Opfer von Weinsteins Treiben gewesen zu sein, die von unangenehmen Situationen, (sexuellen) Übergriffen und Gewalt erzählen. Die Geschichten ähneln einander stark: Meist handelte es sich um junge Frauen, die voller Hoffnung und vom Traum beseelt, Schauspielerin zu werden, nach L.A. kommen, und irgendwie die Gelegenheit erhalten, Weinstein zu treffen. Der ist stadtbekannt und gilt als großer Filmmogul, der „Träume wahr werden“ lässt – wenn man sich auf sein Spiel einlässt. Die von den Frauen geschilderten Situationen entgleiten dann irgendwann, die oftmals alleine in Hotelzimmern stattfindenden Treffen „eskalieren“ insofern, als Weinstein – so erzählen es seine Opfer – auf die eine oder andere Weise Gefallen von ihnen erwartet: Das reicht von Berührungen über Massagen bis zu Sex. Der Umgang der Frauen damit ist unterschiedlich, einige erzählen davon, ihn zurückgewiesen zu haben – in der Angst, die gewünschte Rolle doch nicht zu erhalten -, andere spielten „irgendwie mit“, ließen es über sich ergehen, wieder andere sprechen von manifesten Gewalthandlungen, die gegen ihren Willen geschahen.

„Unantastbar“ dokumentiert die Aussagen der Betroffenen glaubhaft, muss sich aber dennoch 2 Kritikpunkte gefallen lassen: Zum einen treten keine der bekannteren Schauspielerinnen auf und erzählen von ihren Erfahrungen, obwohl es auch viele Vorwürfe aus der A-Liga Hollywoods gab. Die Frauen, die im Film ihre Erfahrungen schildern, sind dem Publikum großteils unbekannt. Das führt direkt zu Problempunkt 2: Der Film hinterfragt die offenbar in Hollywood über Jahre vorhandene Praxis, die den Grundstein für solches Verhalten legt, nicht. Die Vorstellung eines perfiden Tauschgeschäfts – „dieser oder jene Gefallen gegen Filmrolle“ -, das anscheinend gelebte Praxis in Hollywood war, und lange Jahre stillschweigend geduldet wurde, ist an sich problematisch: Verfehlungen geschehen nicht im „luftleeren Raum“, es braucht Strukturen, die diese Handlungen zulassen, ja: fördern, und oft finden sich solche toxischen Strukturen gerade dort, wo es um viel Macht, Geld und Ansehen geht. Die Verfehlungen Weinsteins sind nicht nur die Verfehlungen eines einzelnen Individuums, sondern einer ganzen Industrie, die über Jahre kollektiv wegschaute. Auch hier müsste man nun genauer hinschauen, mit der Verurteilung Weinsteins wird das Problem nicht plötzlich schwuppdiwupp verschwunden sein, die Tendenz zu Machtmissbrauch lauert immer und überall.

Die zweite Gruppe Menschen, die die Regisseurin für ihren Film befragt, sind ehemalige Weggefährten von Harvey Weinstein: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seiner Produktionsfirma Miramax, Kollegen, Sekretärinnen, Assistentinnen, Geschäftspartner. Das macht das gezeichnete Bild von Weinstein insgesamt vielschichtiger, bringt interessante Perspektiven zum Vorschein, die sonst oft vernachlässigt werden, und illustriert, dass der Mann eben nicht nur ein „Monster“, als das er nun gilt, war, sondern auch ein geradezu genialer Filmpromoter mit einem unübertroffenen Gespür für Storys, der sich insbesondere als Wegbereiter des US-amerikansichen Independent-Kinos in den 90ern und 2000ern einen Namen machte: Die Karrieren von Steven Soderbergh oder Quentin Tarantino wären ohne Weinstein nicht vorstellbar, Filme wie „Der englische Patient“ oder „Good Will Hunting“ brachten schließlich auch eine Menge Preise und großen Mainstream-Erfolg. Die Weinstein-Brüder versuchten, die Regeln des Systems Hollywood zu brechen, finanzierten und produzierten Stoffe, die sonst kaum eine Chance gehabt hätten, boten jungen Filmemachern und deren Vision eine Plattform. Der Preis dafür ist heute bekannt.

Die Befragten, die allesamt auch die „Schattenseiten“ von Weinsteins Persönlichkeit kannten, sprechen retrospektiv von einer gewissen, nachvollziehbaren Ambivalenz in Bezug auf ihre frühere Tätigkeiten, denn viele von ihnen konnten von ihrer Arbeit von und mit Weinstein aus professioneller Sicht profitieren.

Fazit

„Unantastbar – Der Fall Harvey Weinstein“ ist insgesamt eine gelungene, dokumentarische Rekonstruktion von Aufstieg und Fall des berühmten US-Filmproduzenten, der über seine problematischen Vorstellungen von Machtgebrauch stolperte, der meinte, in seiner Rolle als übermächtiger Filmmogul untouchable, also unantastbar zu sein, sich alles erlauben zu können, und damit davonzukommen, der gar davon spricht „the sheriff in town“ zu sein. Leider beleuchtet die Regisseurin nicht die hinter diesen Handlungen wirksamen Strukturen, bietet aber dennoch ein durchaus multiperspektivisches Bild, da sie auch ehemalige Weggefährten und – gefährtinnen Weinsteins zu Wort kommen lässt, die die Vorgänge aus einer „Insider“-Perspektive betrachten.

Bewertung

7 von 10 Punkten (72/100)

„Unantastbar“ erscheint am 9.4. als BluRay/DVD und ist seit kurzem als VOD bei diversen Anbietern zu sehen, u.a. bei Amazon.