von Cliff Brockerhoff

Keine Klage erfüllt die sterbensstille Nacht so laut mit ihren Rufen, wie die Klage des Herzens über eine unerwiderte Liebe. Was wie Poesie aus der Feder eines renommierten Dichters klingt, entstammt in Wahrheit der Gedankenwelt des Autors dieser Zeilen und soll einleiten in die Besprechung eines Werkes, das in seiner Art für Aufsehen hätte sorgen können – wenn es nicht komplett unter dem Radar fliegen würde.

Die Rede ist von „Ungehorsam“, einer Romanverfilmung aus dem Jahre 2017, die ein Jahr später als direct-to-dvd Veröffentlichung ihren Weg in den deutschsprachigen Raum fand. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei auf drei alten Freunden, die nach Jahren der Trennung aufgrund eines tragischen Zwischenfalls erneut zueinander finden. Zwei von ihnen verbindet eine romantische Liaison aus alten Tagen, Zwei von ihnen verbindet der heilige Bund der Ehe. Das Problematische daran ist, dass es sich dabei nicht um die gleichen Paarungen handelt. Zwischen neu entflammter Sehnsucht und alltäglichen Verpflichtungen branden längst begrabene Gefühle wieder auf und sorgen so für allerlei Probleme.

Trauer verbindet – Ronit, Esti und Dovid müssen einen Verlust verkraften

Auslöser jener Zusammenkunft ist der Tod eines hoch angesehenen Rabbis, der wie ein Ziehvater für Dovid gewesen war, gleichzeitig aber der leibliche Vater von Ronit ist, die anlässlich der Trauerfeier in ihre jüdisch-orthodoxe Heimat in London zurückkehrt. Sie, die aufgrund der Vorfälle in ihrer Jugend fortan an schwarzes Schaf der Familie galt, sieht sich der Ehe von Dovid und Esti gegenüber, wobei Letztere die bereits erwähnte Jugendliebe darstellt. Das so alltäglich wirkende Szenario bekommt durch seine religiöse Einordnung natürlich nochmal eine ganz andere Tragweite, da Ronits offensichtliche Vorliebe für das eigene Geschlecht schon damals verpönt war und auch Jahre später, zwischen all der Trauer um den Verstorbenen, noch immer für hochgezogene Augenbrauen und missmutige Anspielungen sorgt.

Doch der Film macht nicht den Fehler zu sehr in den Konflikt zwischen sexueller und religiöser Orientierung abzugleiten, viel mehr bettet er die amourösen Gedanken zärtlich in die Haupthandlung ein, die nach und nach in den Hintergrund tritt und der emotionalen Ausrichtung Luft zum Atmen gewährt. Die zwei zentralen Figuren, verkörpert von Rachel Weisz und Namensvetterin Rachel McAdams, spielen sich mit sehr minimalistischer Gestik dabei nahezu in einen Rausch, der in einer gewagten, jedoch keinesfalls geschmacklosen Liebesszene gipfelt. Insbesondere Weisz sind die Spuren der Vergangenheit förmlich ins Gesicht geschrieben. Ihre Unsicherheit ist in jeder Szene greifbar, wird mit jeder Konfrontation unterfüttert und lediglich dann unterbrochen, wenn McAdams ihr einen Blick schenkt. Der restliche Cast verkommt so beinahe zum Beiwerk, soll aber nicht unerwähnt bleiben da auch er sich nahtlos in die Leistung einreihen kann.

„Ungehorsam“ ist aber bei weitem nicht nur eine Geschichte über verloren geglaubte und neu aufbrandende Liebe. Der inhaltliche Subtext reicht viel tiefer und kann durch die Vermengung einzelner Genrekomponenten sowohl belehren, als auch unterhalten. Naomi Alderman, die den Roman im Jahre 2006 veröffentliche, ist die Tochter eines britischen Historikers, der sich größtenteils mit dem Judentum beschäftigte – was letztlich gerade in den religiös geprägten Szenen zum Vorteil avanciert, da so auch hier ein Höchstmaß an Authentizität gegeben ist. Der Kampf gegen die eigenen Gefühle, gepaart mit dem Schwermut des eigenen Seins, erhellt durch die Hoffnung auf Freiheit und inneren Frieden;  daraus ergibt sich ein Werk zwischen Leid und Leidenschaft, dem nur sein eigenes Erzähltempo im Wege steht.

Das eigene Leben aufgeben? Esti (Rachel McAdams) am Scheidepunkt

Fazit

Was leicht schleppend beginnt und eher wie eine koschere Dokumentation über jüdische Bräuche anmutet, nimmt spätestens dann Fahrt auf als sich die Liebesgeschichte der beiden Hauptdarstellerinnen offenbart. Wer die spezielle Thematik nicht als Ausschlusskriterium auffasst, wird mit einem außergewöhnlichen Spielfilm über eine Dreiecks-Beziehung belohnt, der gegen Ende dann sogar ziemlich emotional, ja fast sogar versöhnlich wird. Eine verquere Genremischung, die trotz wenig Dialog einiges zu sagen hat.

Bewertung

7 von 10 Punkten

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Bilder: ©Sony Pictures