Aufreizend arrangierte Genremischungen sind heutzutage keine Seltenheit mehr. Wo sich Filme damals noch klar einer Gattung zuordnen ließen, lassen Filmemacher heute ihren Gedanken und Ideen freien Lauf und präsentieren uns mitunter seltsam anmutende Vermengungen von Stilen, Stimmungen und Schwerpunkten. Dass das nicht immer den Geschmack der Masse trifft ist wenig verwunderlich. Oftmals begründet sich die Herangehensweise in der Verarbeitung persönlicher Erlebnisse, die einen Stilbruch unabdingbar macht.

von Cliff Brockerhoff

Eine solch cineastische Anomalie begegnet der Zuschauerschaft auch in „The Long Walk“, einem laotischen Science-Fiction-Arthouse-Drama-Gruselfilm. Ja, ihr habt richtig gelesen. In seinen fast zwei Stunden Laufzeit vermischt Mattie Do, die amerikanische Regisseurin mit laotischen Wurzeln, verschiedenste Tonalitäten und erzählt dabei eine sehr innige Geschichte, in die sie und ihr Ehemann persönliche Schicksalsschläge einfließen lassen haben. Nicht zufällig behandelt auch die Story per se schwermütige Thematiken und eröffnet Perspektiven auf das Leben, den Tod und die Grenze dazwischen.

Zusammenfassen lässt sich die Erzählung dabei mit wenigen Worten. In seiner Kindheit entdeckt ein Junge mitten im laotischen Dschungel das Opfer eines Verkehrsunfalls. Bei näherer Betrachtung merkt er, dass die Frau noch lebt und leistet ihr beim Eintritt in das Land der Toten Gesellschaft. Als der Junge den Ort des Geschehens verlässt, bemerkt er, dass der Geist der Verstorbenen noch unter den Lebenden weilt und ihn fortan begleitet. Was ihn anfangs ängstigt erweist sich als Segen, denn mittels ihrer Fähigkeiten gelingt es ihm die Barriere zwischen verschiedenen Zeitebenen zu durchbrechen und sich beispielsweise selber in der Zukunft zu besuchen.

Der Fokus liegt allerdings nicht auf dem jungen Abbild, sondern auf seinem erwachsenen Selbst, dem Old Man, aus dessen Sicht der Gros der Narration stattfindet – allerdings auch immer wieder in die Vergangenheit wechselt und so identische Ereignisse durch verschiedene Augen schildert. Das ist bisweilen ziemlich verwirrend, erweckt gleichzeitig in der ersten Hälfte aber eine große Neugier darauf, was der ansonsten so geerdete Film inhaltlich ansteuert. Die Science-Fiction Einschübe verstärken diese Begierde, fußen jedoch tatsächlich auch auf einem Ereignis im Leben der Regisseurin, die einst beobachtete wie ihre Tante auf einem Markt Gemüse via QR-Code-Scan bezahlte. Ein seltsames Erlebnis, von dem uns die Regisseurin selbst bei Instagram erzählte, welches so Einzug in den Film erhielt. Dieser entstand nach dem Verlust geliebter Menschen und entfaltete therapeutische Wirkung – was dem Film anzumerken ist.

Denn auch wenn die behandelten Themen voll von Melancholie und Sehnsucht sind, ist die Stimmung nicht gänzlich negativ. Die groß aufgezogenen Bilder der wundervollen Szenerie sind ein Fest für die Sinne, die unaufgeregte Inszenierung erreicht stellenweise sphärische Ausmaße und die Art und Weise wie dieses Werk erzählt wird, ist schmerzhaft und doch nicht frei von Hoffnung. Wer hinter „The Long Walk“ nun einen Film erwartet, der nebenbei zur Berieselung geschaut werden kann, wird sich aber schnell im Dickicht verlieren. Das Werk taugt nicht zur geistlosen Unterhaltung, sondern erfordert, allein aufgrund der Zeitsprünge und der buddhistisch geprägten Auslegung von „Zeit“, die volle Aufmerksamkeit seiner Betrachter. Vieles muss erarbeitet, ineinander verwoben und logisch verknüpft werden. Dann, und nur dann entfaltet der Film seine volle Strahlkraft. Ob die spezielle Form der Darbietung den persönlichen Geschmack trifft, muss und darf ein jeder für sich selber entscheiden – eins ist jedoch unzweifelhaft: die Sichtung hallt nach und hinterlässt die Zuschauerschaft noch neugieriger als zuvor. 

Fazit

„The Long Walk“ ist asiatisches Erzählkino der Extraklasse. Ein außerordentlich intimer Film über Trauer, Reue, Einsamkeit und die Loslösung von allem irdischen, der narrativ permanent die chronologischen Ebenen wechselt und so trotz ruhigem Fahrwasser für durchgehende Spannung sorgen kann. Bei all der technischen Finesse vergisst das Werk leider die bebilderte Eleganz letztlich auch zu einem für alle Seiten befriedigenden Abschluss zu führen. Angesichts der kathartischen Wirkung aber lediglich ein marginaler Kritikpunkt, der am Ende des Weges von der Sehnsucht nach weiteren, solch mutigen Filmen, überstrahlt wird.

Bewertung

Bewertung: 7 von 10.

(73/100)

„The Long Walk“ ist einer von 9 Filmen, die ihr in der Zeit vom 19. bis zum 24. April im Rahmen des SHIVERS Film Festival sehen könnt. Alle Infos, Filme und Tickets bekommt ihr hier.