Kenneth Branagh ist unbestreitbar ein umtriebiger Mann. Den meisten wohl als Regisseur des ersten „Thor“ bekannt, schippert er aktuell noch vor lieblosen CGI-Kulissen durch die zweite Agatha Christie Neuverfilmung, hat aber postwendend das nächste Eisen im Feuer. Die Destination in seinem neuen Werk „Belfast“ ist dabei eine ganz andere: er reist zurück in seine eigene Kindheit in den späten Sechzigern. Aufarbeitung statt Ägypten.

von Cliff Brockerhoff

Dementsprechend kindlich geprägt ist der siebenfach oscarnominierte Film, den er selbst als Mischung aus Autobiographie und Fiktion einordnet. Erzählt wird dabei die Geschichte des neunjährigen Buddy, einem filmverrückten Tagträumer, der inmitten von Schule, Familie und erster Liebe mit dem Ausbruch konfessioneller Gewalt auf den Straßen seiner geliebten Heimatstadt konfrontiert wird.

So oder so ähnlich angelegte Filme gibt es derweil häufig, selten sind sie jedoch aus der Perspektive eines Heranwachsenden geschildert. „Belfast“ eröffnet damit automatisch eine zweite Ebene, die neben der sich offensichtlich abzeichnenden Handlung auch immer wieder in die kindliche Konfrontation abtaucht und uns unumwunden das Unverständnis darlegt, welches Buddy irritiert zurücklässt. So gut Eltern und Großeltern auch versuchen den Schützling vor derlei Unheil zu schützen, die aufkeimende Unsicherheit wird zusehends stärker und findet in Debütant Jude Hill einen stark aufspielenden jungen Mann, der sowohl den leichtfüßigen Nachbarsjungen als auch den verschreckten Realisten überzeugend zu mimen vermag. Die bekannten Namen um ihn herum rücken so größtenteils in den Hintergrund, womit wir aber auch schon bei einem der Hauptprobleme des Dramas angelangt wären.

Branaghs Erzählung wirkt oft seltsam lückenhaft. Die von ihm gezeigten Charaktere interagieren zwar häufig und auf verschiedenste Art miteinander, doch egal wie sehr sie sich ereifern oder Buddy mit (pseudo-)philosophischen Lebensweisheiten überhäufen; irgendwie wirkt das alles wie Beiwerk, das rund um eine Geschichte herum erzählt wird, diese aber nie wirklich vorantreibt. Insbesondere im Mittelteil geht so viel von der anfänglich aufgebauten Spannung verloren. Tonal tauchen immer wieder Dissonanzen auf, die die Wucht der bürgerkriegsähnlichen Zustände abschwächen und die eigentliche Stärke ausbremsen. Womöglich bewusst so angelegt um zur Schau zu stellen wie problematisch es für einen unschuldigen Neunjährigen ist die Tragweite zu erfassen, fühlt es sich für den erwachsenen Zuschauer weitestgehend eigenartig an die Aufstände lediglich als Randnotiz gezeigt zu bekommen.

Kompensiert wird dieser Umstand durch immer wieder sehr herzliche Momente und einer versiert eingefangenen Atmosphäre. Wenn Buddy und sein Bruder beispielsweise in der Kirche sitzen und ein verschwitzter Pfarrer ihnen bei einer falschen Wegwahl die ewige Verdammnis prophezeit, ist das intensiv und lässt sich problemlos mitfühlen. Die Straßen des Arbeiterviertels vermitteln zudem durch ihre Enge und den Charme der dort lebenden Personen stets ein Gefühl von Heimat und Zusammenhalt, welcher auf eine harte Probe gestellt wird. Auch wenn Branaghs Erinnerungen an die Zeit sicherlich verschwommen sein werden, wirken die Ausflüge in das Nordirland von 1969 zumindest inszenatorisch präzise und authentisch. Dench, Dornan und Co. fällt es schwer sich hier einzufügen, vor allem weil ihre Hintergründe und Intentionen auf ein Minimum begrenzt werden. Je mehr der Film voranschreitet und sich, trotz gerade mal knapp anderthalb Stunden Laufzeit, durch diverse Längen kämpft, umso eher verliert sich das emotionale Band in den Gassen – mühevoll zusammengehalten von Hill, dessen Leistung als einzige im Gedächtnis bleibt.

Fazit

Kenneth Branagh entführt uns in „Belfast“ via farbloser Bildästhetik in seine von überbordenden Ereignissen geprägte Kindheit, vermittelt durch generationenübergreifende Sichtweisen verschiedenste Gefühlsregungen, lässt den geneigten Zuschauer aber nahezu gefühllos zurück. Dafür ist sein Werk zu steril, zu zerstreut und am Ende einfach auch zu zahm. Für ihn womöglich eine kathartische Erfahrung, für sieben Oscar-Nominierungen jedoch zu schwach. 

Bewertung

Bewertung: 6 von 10.

(61/100)

Bilder: (c) Universal Pictures / Focus Features

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