Was ist das Erste, was man tut, wenn man im Kleiderschrank der Mutter ihre Gebetskleidung findet? Richtig, man zieht sie an und nimmt gemeinsam mit seinen besten Freundinnen ein Musikvideo zu R.E.Ms “Losing My Religion” auf. Eine harmlose jugendliche Blödelei eben. Das kommt natürlich ganz darauf an, wen man fragt: Mit dieser Szene beginnt „Sonne“, das Langfilm-Regiedebüt von Kurdwin Ayub, das ab 9.9. in der österreichischen Kinos startet.

von Christoph Brodnjak

Eigentlich leben die drei Freundinnen, um die es in „Sonne“ geht, das typische Jugendleben in Wien: Die kurdisch-stämmige Yesmin (Melina Benli), die “Halbjugo” Bella (Law Wallner) und Nati, “von da” (Maya Wopienka). Neben der Matura tut man, was man in dem Alter eben so tut, geht auf Partys, chillt mit Freundinnen, streitet mit dem Bruder und filmt sich gegenseitig beim Tanzen und Speiben. Bis das oben erwähnte Musikvideo plötzlich viral geht, und die drei zu kleineren Internet-Persönlichkeiten werden. Ganz zum Missfallen von Yesmins Mutter. Ihr Vater hingegen findet das eigentlich ganz lustig.

Regisseurin Kurdwin Ayub packt in ihrem Debütfilm aus dem Hause Ulrich Seidl, der bekanntlich aktuell ganz andere Probleme hat, sehr vieles an Thematiken und Konflikten an. Einerseits die üblichen pubertären Alltagsproblematiken, aber auch die Themen Religion und Migration. Yesmins Mutter ist stark religiös, während ihr Vater in dieser Hinsicht viel offener und sorgloser ist. Probleme innerhalb der Familie gibt es immer wieder, wenn zum Beispiel der Bruder wieder mal einen Blödsinn dreht, und der Vater das lachend abtut. Das Thema Selbstbestimmung ist eines der prominentesten und spannesten im Film, gerade im Hinblick auf das Thema Kopftuch oder Frauenkörper im Allgemeinen.

Ayub inszeniert diese Flut an gesellschaftlich doch sehr relevanten Themen aber keineswegs verstaubt ernst oder betont getragen. Ständig wird der Film durch Montagen von Handyaufnahmen von Partys oder Snapchat-Filtern durchbrochen – übrigens von den Darstellerinnen selbst gefilmt. Und auch ansonsten handelt es sich um kein konservatives Drama, sondern ist die meiste Zeit über wirklich lustig, dynamisch und kurzweilig. Wobei dennoch ein gewisser Spannungsbogen gegeben ist und sich die Dramatik gegen Ende zuspitzt, aber nie zu viel oder gar melodramatisch.

Mit den vielen Themen, die hier angeschnitten werden, geht natürlich auch das Problem einher, dass nicht immer alles einen formvollendeten Abschluss mit Masche obendrauf bekommt. Was allerdings auch die Intention zu sein scheint, so wie Ayub selbst sagt, dass es ein Film der Fragen sein soll, da sie die Antworten ja selbst nicht immer kennt. So bleiben für die Zuseher auch viele Fragen offen, oder sie müssen selbst in sich gehen und nachforschen, wie sie zu gewissen Themen, wie Migration, Selbstbestimmung, Pakistan und dergleichen stehen.

Am deutlichsten zeigst sich dieser offene und damit auch authentische Zugang in der Beziehung zwischen Yesmin und ihrem Vater (übrigens im echten Leben Kurdwin Ayubs eigener Vater). Die beiden stehen sich sehr nahe, sie ist eindeutig ein Papakind. Er ist der coole, entspannte Vater, der allem sehr sorglos und gutmütig entgegentritt – und das eben vielleicht doch etwas zu sehr. So sieht es jedenfalls die Mutter, und auch der Zuseher muss manches Mal überlegen, ob diese Entspanntheit nicht schon an Verantwortungslosigkeit grenzt.

Fazit

„Sonne“ ist ein sehr eindrucksvolles Erstlingswerk, welches – niemals bieder und ernst – durchgehend unterhält, und stets die richtige Balance zwischen Komik und Drama halten kann. In seiner Form sehr dynamisch und authentisch auftretend, was auch damit zusammenhängt, dass vieles der Charakterisierungen von den Darstellerinnen selbst kommt, findet man hier beinahe keine Längen. Die Priorisierung von Fragen über Antworten kann aber dennoch sicher für viele Zuschauer dazu führen, sich gegen Ende einen etwas abgerundeteren Abschluss zu wünschen.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(75/100)

Bild: © Stadtkino Filmverleih