Harter Schale, weicher Kern. Während die begehrten Meeresdelikatessen von Natur aus ihr weiches Inneres gut zu beschützen wissen, verzweifelt der Austernzüchter Az immer wieder an seinem ungeschützten Kern und Gefühlen. Oder seiner Zerbrechlichkeit, wie es seine Clique nennt und die sie ihm erst Recht attestieren, als für den hoffnungslos romantischen Mittzwanziger die Welt in sich zusammenstürzt, weil ihm das Herz gebrochen wird. Herzzerreißender Liebeskummer, eine Ladung Schokolade und Make-over inklusive. Ein vertrautes Szenario, das im RomCom-Genre üblicherweise Frauen auf den Leib geschneidert wird. Die französich-algerische Regisseurin Emma Benestan verpasst diesem jedoch in ihrem Langfilmdebüt „Fragil“ mit einem Rollentausch der Geschlechter einen sehr amüsanten wie charmanten Neuanstrich.
von Madeleine Eger
Der Austernzüchter Az (Yasin Houicha) ist seit zwei Jahren mit der aufstrebenden Schauspielerin Jess (Tiphaine Daviot) liiert. Er glaubt mit ihr die Richtige gefunden zu haben und will mit einer Hochzeit die Liebe besiegeln. Und dafür kommt natürlich nur ein superromantischer Heiratsantrag infrage. Was wäre also besser geeignet als ein Abendessen, bei dem der Ring in einer Auster versteckt ist. Jess, die völlig ausgehungert von Dreharbeiten im Restaurant erscheint, schlingt die Vorspeise hinunter und verschluckt sich nicht nur an dem Ring, sondern auch an der entscheidenden Frage. Denn die will entgegen der Hoffnung von Az nicht die Heirat, sondern eine Beziehungspause. Im Liebeskummer versunken, versuchen seine Freunde alles, um ihn wieder aufzubauen. Dazu gehört auch Tänzerin Lila (Oulaya Amamra), die erst vor Kurzem aus Paris zurück in den Süden gezogen ist und einwilligt ihm dabei zu helfen, Jess zurückzuerobern. Und das, obwohl die sich bereits mit ihrem Schauspielkollegen Giaccomo (Guillermo Guiz) tröstet. Für die selbst gebackenen Kekse bringt sie Az dann trotzdem das Tanzen bei. Der entdeckt allerdings dabei nicht nur seine Sinnlichkeit und Akzeptanz, sondern auch eine neue Liebe …

Im nächsten Leben wäre Az gerne eine Frau, meint er irgendwann unter den letzten spätsommerlichen Sonnenstrahlen an der französischen Mittelmeerküste zu seiner Freundin Lila. Es wäre so viel einfacher. Dass das nicht so ist, weiß Lila natürlich nur allzu gut und beäugt ihn nach der Aussage auch dementsprechend ungläubig. Aber schaut man sich an, wie Regisseurin Benestan ihren Protagonisten Az inszeniert, erkennt man genau, was dahinter steckt. Denn als Frau müsste er sich nicht für seine Sensibilität und romantische Ader rechtfertigen. Auch nicht dafür, dass ihn die Trennung so sehr mitnimmt und er lieber im abgedunkelten Zimmer zu „Bodyguard“ mit Schokolade und Tränen dem Kummer freien Lauf lässt, als mit seinen drei Kumpels den harten, unangreifbaren Mann zu spielen. Das kann die kleine Gruppe Möchtegern Machos nämlich von Zeit zu Zeit auch ganz gut. Sich vor Fremden (oder Lila) mit stereotyper, harter Schale präsentieren und Geschlechterklischees rauskramen, die sie zum „Mann“ machen. Nur um die weiche Seite zu verstecken. Regisseurin Emma Benstan hinterfragt in ihrer romantischen Komödie mit fortlaufend herzlicher Situationskomik und durchweg liebenswerten, manchmal schusseligen Charakteren alte Geschlechterrollen und angestaubte Erwartungen.
Ihre Darsteller agieren hierbei mit einer unglaublich sympathischen Dynamik und vor allem Yasin Houicha und Oulaya Amamra (Az und Lila) entwickeln eine Strahlkraft und Chemie, die das Paar leichtfüßig von verspielt bis ausgelassen, über sinnlich bis sexy porträtiert. Dafür greift die Regisseurin auf bekannte Subplots zurück, die hier zu einer Geschichte verknüpft werden, bewusst mit Klischees spielen und erstaunlich gut zusammen funktionieren. Tatsächlich erinnert „Fragil“ zunächst ein wenig an den ersten „American Pie“, als noch Alison Hannigan dem vertrottelten Jason Biggs dabei half, seine Angebetete zu beeindrucken. Beginnend mit den Tanzstunden bedient man sich danach auch einigen Merkmalen aus „Dirty Dancing 2“. Und dann wäre da auch noch das kleine Make-over, das die Suche nach dem perfekten Abschlussballkleid mit etlichen, zuweilen absurden Kostümproben aufgreift. Das alles macht trotz der Vertrautheit unfassbar viel Spaß, ist rührend niedlich und wirkt mit keiner Minute abgedroschen oder gar kitschig. Und während die sonnendurchflutete Szenerie des Mittelmeers die Körper umschmeichelt und das Tanzpaar erst langsam ihre Gefühle füreinander entdeckt, ist man selbst schon lange dabei, mit den zwei hervorragend geschriebenen Figuren mitzufiebern. Nämlich dann, wenn Unsicherheit und Unbeholfenheit nach und nach dem Knistern und der Zärtlichkeit weicht.
„Fragil“ erzählt aber nicht nur von Liebe, sondern auch davon wie vorgefertigten Definitionen von Männlichkeit und Frausein noch immer im Weg stehen und wie Klassenunterschiede für Scham und ein angeknackstes Selbstwertgefühl sorgen. Denn auch wenn sich Az anfänglich noch sicher ist, dass er mit Jess den Rest seines Lebens verbringen will, ist ihm schon beim Setbesuch die Verunsicherung anzumerken, als sie ihn distanzierter begrüßt als sonst. Die französische Küstenstadt Sète entwickelt mit ihrer flachen Meeresbucht und den dort angesiedelten passionierten Austernzüchtern sowie dem mit Villen besetzten Berg der augenscheinlichen High-Society einen nahezu symbolischen Charakter für die aufeinandertreffenden Konflikte. Es ist diese stimmige Mischung aus leichtfüßiger Unbeschwertheit und amüsant unschuldiger Situationskomik, mit der die Regisseurin Geschlechterkonventionen und soziale Unterschiede herausarbeitet, und die ihren Debütfilm so unwiderstehlich charmant werden lässt.

Fazit
„Fragil“ spielt mit Stereotypen, nimmt sich Gesellschaftsthemen an und verortet darin eine zuckersüße Romanze, die sich mit einem fantastisch aufgelegten jungen Cast, maghrebinischen Rhythmen und einer warmen Spätsommerbrise von einengenden Klischees befreit sowie Zerbrechlichkeit und Sinnlichkeit zelebriert. Der Film wurde auf der Französischen Filmwoche gesehen und startet am 1. Dezember landesweit in den Kinos!
Bewertung
(88/100)
Bilder: ©UNITÉ – France 3 Cinéma
